Im 13. Teil der Reihe Stichpunkt Anästhesie spricht Lothar Taubenheim über das Thema der Komplettierungen partieller Anästhesieversager.
Unzureichende Schmerzausschaltung vor einer anstehenden, für den Patienten mit hoher Wahrscheinlichkeit schmerzhaften Behandlung, ist eine Herausforderung für jede behandelnde Zahnärztin/jeden Zahnarzt. Der Grund für ausbleibende Anästhesieerfolge der üblicherweise praktizierten Methoden der Lokalanästhesie – der Leitungs- und der Infiltrations-Anästhesie – besonders bei angezeigten endodontischen Behandlungen lässt sich dabei auf die pulpale Entzündung und dem daraus resultierenden sauren pH-Wert des Gewebes zurückführen, der ein Anfluten einer ausreichenden Menge Anästhetikum am Wirkort erschwert oder unmöglich macht.
Im Verlauf der konventionellen Lokalanästhesie und im Anschluss sind Probleme und Komplikationen unterschiedlichster Art möglich. Das Ausbleiben der Analgesie beim zu behandelnden Zahn kann sehr vielfältige Ursachen haben, meistens eine Kombination aus abnormen anatomisch-morphologischen Verhältnissen, unzureichender Applikationstechnik, nur bedingt geeignetem Anästhetikum und dem aktuellen Zustand des Patienten.
Zusätzliche ILA führt zu Schmerzfreiheit
Bei der Injektion in entzündliches Gewebe ist der anästhetische Effekt vermindert oder er bleibt ganz aus. Zur Komplettierung partieller Anästhesieversager bei einer apikalen Parodontitis führt eine zusätzliche intraligamentale Injektion vielfach zur Schmerzfreiheit [1].
Je nach Injektionsmethode und individuellen Gegebenheiten kann es zu einem hohen Prozentsatz von partiellen Anästhesieversagern kommen, was besonders bei einer Leitungsanästhesie die konkrete Frage nach dem weiteren Vorgehen stellt: Der Versuch einer Komplettierung des partiellen Anästhesieversagers durch eine weitere Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior ist wegen des gegebenen Risikos eines Nervkontakts ohne Reaktionsmöglichkeit des Patienten kontraindiziert.
Aktuelle Urteile zu persistierenden Nervschädigungen verursacht durch den Versuch einer Komplettierung mittels einer weiteren Leitungsanästhesie haben die Rechtslage gefestigt. Im Urteil des OLG Hamm (26 U 199/15) wird die intraligamentäre Anästhesie als „Alternative zur Leitungsanästhesie“ explizit angeführt. Bereits 1983 konnten Smith et al. beweisen, dass die „periodontale Ligament-Injektion“ – die ILA – in einem sehr hohen Maße unvollständige Pulpaanästhesien komplettieren konnte [2]. Bei 120 dokumentierten Fällen war eine Komplettierung durch intraligamentale Nachinjektionen bei 92 Prozent der Patienten vor endodontischen oder restaurativen Behandlungen erfolgreich.
Weber et al. (2006) erreichten im Rahmen ihrer Vergleichsstudie mit jeweils 85 Fällen pro Lokalanästhesie-Methode (Leitungs-, Infiltrations- und intraligamentäre Anästhesie) bei 49 Fällen (57,6 Prozent) unzureichender Leitungsanästhesien vor angezeigten Vitalexstirpationen eine ILA-Komplettierungsrate von 77,6 Prozent [3, 4]. Die hohe Versagerrate ist ursächlich bedingt durch die apikale Parodontitis und den dadurch abgefallenen pH-Wert des entzündeten Gewebes. Das intraligamental injizierte Anästhetikum findet in diesen Fällen einen Zugang zur Pulpa, der oft von der Entzündung nicht unmittelbar betroffen ist und gegebenenfalls auch über Seitenkanäle oder Ramifikationen des Wurzelkanals einen direkten Weg zu den pulpalen Nervenfasern gestattet.
Prothmann et al. (2010) schreiben, dass durch intraligamentale Nachinjektionen die Versagerrate der Leitungsanästhesie (im Rahmen der Prothmann-Studie 10 Prozent) vollständig komplettiert werden konnte. Dies trifft auch auf die Infiltrationsanästhesie zu, wo die Versagerrate bei 4,7 Prozent lag; durch intraligamentale Komplettierungen konnte eine vollkommene Desensibilisierung erreicht werden [5].
Konklusion
Anästhesieversager der Infiltrations- und vor allem der Leitungsanästhesie können durch intraligamentale Injektionen weitgehend komplettiert werden. Wenn dies so ist, dann stellt sich die Frage, warum denn überhaupt der Versuche gemacht wurde, durch Infiltrations- oder Leitungsanästhesien eine ausreichende Schmerzausschaltung zu erreichen – die intraligamentäre Anästhesie könnte in sehr vielen Fällen die konventionellen Lokalanästhesie-Methoden kompensieren.
Voraussetzung dafür ist die sichere Beherrschung der Applikation bewährter Anästhetika mit Adrenalin ins Desmodont via Sulcus gingivalis mit Injektionssystemen, die dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen. Die Injektionstechnik ist leicht und schnell zu erlernen, da der gesamte Vorgang: Insertion der Kanüle in den Desmodontalspalt, langsame Applikation des Anästhetikums und gegebenenfalls Umpositionierung der Kanüle bei einem zweiten Injektionspunkt unter vollständiger Sichtkontrolle des Behandlers erfolgt.
Immer öfter organisieren Zahnärztekammern und zahnärztliche Arbeitskreise Hands-on-Seminare mit praktischen Übungen am frischen Schweinekiefer (Abb.).
Die intraligamentäre Anästhesie ist eine sichere Alternative der Leitungs- und auch der Infiltrationsanästhesie – ohne die bekannten Risiken und Komplikationen der konventionellen Lokalanästhesie-Methoden.
Lothar Taubenheim, Erkrath
Literatur
[1] Schwenzer, N., Ehrenfeld, M.: Zahn-Mund-Kiefer-Heilkunde. Chirurgische Grundlagen. Georg Thieme Verlag, Stuttgart – New York 2008.
[2] Smith, G. N., Walton, R. E., Abbott, B. J.: Clinical evaluation of periodontal ligament anesthesia using a pressure syringe. J Am Dent Assoc 107, 953-956 (1983).
[3] Weber, M.: Reduzierung der unerwünschten Nebeneffekte bei der zahnärztlichen Lokalanästhesie unter besonderer Berucksichtigung der Erfordernisse für endodontische Maßnahmen. Diss, Friedrich-Schiller-Universität Jena, 2005.
[4] Weber, M., Taubenheim, L., Glockmann, E.: Schmerzausschaltung vor indizierten endodontischen Behandlungen. ZWR deutsch Zahnärztebl 115 (10), 421-433 (2006).
[5] Prothmann, M., Taubenheim, L., Rossaint, R.: Alternativen zu Leitungs- und Infiltrationsanästhesie. ZWR Deutsch Zahnärztebl 119 (9), 398-405 (2010).