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­Fazialisparese birgt erhöhtes Risiko für die Zähne

Die meisten von Fazialisparese Betroffenen fühlen sich schwer beeinträchtigt, wenn durch eine Erkrankung des Gesichtsnervs die Muskulatur im Gesicht unbeweglich wird. Das Sprechen fällt schwer, die Mimik ist eingeschränkt, Essen und Trinken bereiten Probleme. Das führt dazu, dass die auf eine Gesichtshälfte beschränkte Lähmung auch als psychisch sehr belastend empfunden wird und sich Patienten sozial zurückziehen. Wegen der Komplexität der Erkrankung, die zum Beispiel nach Operationen oder Infektionen auftreten kann und in einem Drittel der Fälle nicht vollständig abklingt, kümmert sich im Fazialis-Nerv-Zentrum am Universitätsklinikum Jena ein interdisziplinäres Team um die Betroffenen.

Halbseitige Gesichtslähmungen wirken sich auch auf den Gesundheitszustand von Zähnen und Zahnfleisch aus. Eine Fallkontrollstudie des Universitätsklinikums Jena zeigte, dass die Mundgesundheit von Patienten im Vergleich zu Gesunden vermindert ist. Auch im Seitenvergleich schnitt die gelähmte Gesichtshälfte schlechter ab als die nicht betroffene Seite. Das Autorenteam der in „PLOS ONE“ veröffentlichten Studie empfiehlt deshalb die Ergänzung der Behandlung um zahnmedizinische Kontrollen.

Vermeidung von Folgeschäden

Ein wichtiger Aspekt dieser Behandlung ist die Vermeidung von Folgeschäden. Dazu zählt zum Beispiel eine regelmäßige augenärztliche Kontrolle, weil auf der gelähmten Seite Lidschluss und Tränenproduktion beeinträchtigt sein können. „Es wird auch beobachtet, dass die Patienten Probleme mit der Mundhygiene und daraus resultierend mit der Zahn-und Mundgesundheit haben“, so die inzwischen approbierte Zahnärztin Lisa Strobelt. „Dazu gab es aber unseres Wissens noch keine systematischen Analysen.“ Sie machte deshalb eine Untersuchung der Mundgesundheit von Patienten mit Fazialisparese zum Thema ihrer Doktorarbeit.

Insgesamt 86 Personen nahmen an der Studie teil, die Hälfte mit einer Fazialisparese, die andere mit gesunder Gesichtsmuskulatur. Strobelt bestimmte bei allen mehrere zahnmedizinische Indizes, um die Mundgesundheit einschätzen und vergleichen zu können. Sie untersuchte, wie fest die Zähne sitzen, wie viel Zahnbelag und Zahnstein vorhanden ist, ob Zähne kariös sind und wie viele Füllungen sie aufweisen, wie tief die Zahnfleischtaschen sind und ob das Zahnfleisch zu Blutungen neigt. In der Paresegruppe erhob sie diese Werte sowohl für die gelähmte als auch für die andere Gesichtshälfte. Außerdem beantworteten die Studienteilnehmer Fragen zu ihrer Zahnhygiene und der Einschätzung der eigenen Mundgesundheit.

Seitenunterschied bei Männern höher als bei Frauen

Das Ergebnis: In der Studiengruppe mit Fazialisparese traten deutlich häufiger Zahnbelag, Zahnfleischbluten und unbehandelte Karies auf als in der Kontrollgruppe. Zahnstein und Zahnlockerungen waren jeweils etwa gleich häufig. Der Vergleich der Gesichtsseiten in der Paresegruppe zeigte, dass die gelähmte Seite weitaus mehr von Zahnbelag, Zahnfleischbluten und -taschen, von Parodontitis und daraus folgend von einem Abbau des Zahnhalteapparates betroffen war als die gesunde Seite. Dieser Seitenunterschied war bei Männern deutlicher als bei Frauen. Es spielte auch eine Rolle, welche Seite gelähmt ist und mit welcher Hand die Zahnbürste geführt wird: Bei Rechtshändern mit einer linksseitigen Parese fiel der Seitenunterschied geringer aus. Dieser Effekt war jedoch nicht signifikant.

Seltener zum Zahnarzt

Die Einschätzungen der Studiengruppen zu ihrer Mundhygiene ergänzen diese Befunde. Über die Hälfte der Paresegruppe behielt mit Einsetzen der Lähmung die Zahnputzgewohnheiten bei, ein Teil wechselte wegen der veränderten Empfindlichkeit von der elektrischen auf eine Handzahnbürste. Die mangelnde Beweglichkeit und Lippenschluss führten dazu, dass manche Patienten Zahnseide und Mundspülung seltener einsetzten. Die Mehrzahl der Paresebetroffenen berichtete von häufigen Bissen in die Wange, Speiseresten in der Wangentasche und Speichelfluss im Mundwinkel auf der gelähmten Seite. Zahnarztbesuche waren seltener als in der Kontrollgruppe.

„Mit unserer systematischen Untersuchung konnten wir detailliert belegen, dass eine Fazialisparese durch die veränderte Motorik und Speichelproduktion die Mundgesundheit deutlich beeinträchtigt“, fasst Strobelt zusammen. „Deshalb ist es wichtig, dass die Betroffenen ihre Mundhygiene nicht vernachlässigen.“

Den gesamten Menschen sehen

„Das ist eine wichtige Ergänzung für unser Behandlungskonzept. Wir weisen unsere Patientinnen und Patienten jetzt auf dieses vorher kaum bekannte erhöhte Risiko für ihre Zähne hin und raten, zahnärztliche Kontrollen, aber auch das vor der Fazialisparese gewohnte Zähneputzen nicht aufgrund der Lähmung zu vernachlässigen“, ergänzt PD Dr. Fabian Volk, der Leiter des Jenaer Fazialis-Nerv-Zentrums. Der HNO-Arzt betreute das Projekt gemeinsam mit der Zahnärztin PD Dr. Ina Schüler, die die Sektion Präventive Zahnheilkunde am Uniklinikum Jena leitet. Sie betont die Interdisziplinarität der Studie: „Sie zeigt, wie wichtig es ist, dass sowohl die Zahnmediziner den gesamten Menschen als auch die Humanmediziner die Mundhöhle im Blick haben und die möglichen Auswirkungen von Erkrankungen auf die Mundgesundheit berücksichtigen können.“ Dieser Aspekt gewinnt auch im Zahnmedizinstudium an Bedeutung.

Strobelt, die inzwischen ihr Studium abgeschlossen hat und als Zahnärztin arbeitet, hat in einem Flyer für Patienten mit Gesichtslähmung hilfreiche Tipps für tägliche Mundpflege zusammengestellt. Sie schreibt an ihrer Doktorarbeit, die sie 2023 einreichen möchte. Weitere Informationen

Originalpublikation: Strobelt L, Kuttenreich AM, Volk GF, Beurskens C, Lehmann T, Schüler IM. Oral health and oral health-related quality of life in patients with chronic peripheral facial nerve palsy with synkineses-A case-control-study. PLoS One. 2022 Nov 17;17(11):e0276152. doi: 10.1371/journal.pone. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36395343/

Titelbild: Astrid Wetzel/UKJ