„Erziehung ist Beispiel und Liebe, sonst nichts“. Dieses Zitat des deutschen Pädagogen Friedrich Fröbel (1782 bis 1852) enthält alles, was Eltern wissen müssen, um ihre Kinder gut begleiten zu können. Was der Gründer des ersten Kindergartens beobachtete, stützt die heutige Hirnforschung: Ein liebevoller Umgang, gepaart mit einem guten Vorbild, macht alles reden darüber, wie man sich verhalten sollte, überflüssig. Vorbild statt Moralpredigt. So einfach kann Erziehung sein.
Viele Eltern haben das noch nicht verstanden. Sie reden und reden und reden – und ihre Kinder lernen dadurch vor allem eins: Sie müssen nicht reagieren, denn alles wird mehrfach dargeboten. Sie können getrost auf „Durchzug“ stellen und das machen, worauf sie gerade Lust haben. Dabei ist es ganz leicht, Kinder dazu zu bringen, das zu tun, was man als in der erziehenden Rolle für richtig und wichtig hält: Man muss es selbst vorleben.
Die Geheimnisse der Spiegelneuronen
2008 schwappte die Neuigkeit von Italien nach Deutschland: Unsere Neuronen werden nicht nur dann aktiv, wenn wir eine Handlung selbst vollziehen, sie „feuern“ auch ihre Signale, wenn wir jemanden beim Tun beobachten. Diese sogenannten Spiegelneuronen sind für das empathische Nachvollziehen von Handlungen anderer verantwortlich. Und sie lösen sogar kleine, unmerkliche Muskelkontraktionen aus, die uns das Gefühl geben, tatsächliche selbst zu handeln.
Eine vollständige eigene Handlung wird durch entsprechende Neurone im Rückenmark wieder blockiert. Sonst wäre es sehr lustig zu beobachten, was in Zuschauersälen von Theatern und Kinos passierte. Auch würde es Ihre Arbeit nicht unbedingt erleichtern, wenn jeder Patient „mitbohren“ würde. Es reicht, dass er dieses gedanklich tut.
Dabei können wir genau unterscheiden, ob ein Handlung, die wir beobachten, tatsächlich ausgeführt wird oder nicht. Selbst Primaten können das schon. Greift beispielsweise ein Versuchsleiter hinter einer blickdichten Leinwand nach einer Frucht, werden die Spiegelneuronen eines ihn beobachtenden Primaten aktiviert. Imitiert der Versuchsleiter diese Geste nur und greift tatsächlich ins Leere, bleiben die Spiegelneuronen still. Und nicht nur das. Auch können Menschen sehr gut antizipieren, was eine Person als Nächstes tun wird. Das bedeutet, wir vervollständigen neuronal unvollständige Handlungen. So können Eltern ihre Kinder nur dann beeindrucken, wenn sie tatsächlich ihr Handy ausschalten. Nur vorzugeben, es abzuschalten und neben den Ausschaltknopf zu drücken, reicht nicht aus.
Mitarbeiter kopieren Verhaltensweisen
Genauso wie Kinder ihre Eltern beobachten, schauen Mitarbeiter ihren Vorgesetzten auf die Finger. Sie lernen Abläufe und Verhalten durch Vormachen und kopieren Verhaltensweisen, die sie sehen. Denn ihr neuronales Netz bereitet sie unmerklich auf das vorgelebte Verhalten vor. Dazu kommt noch der nachgewiesene Effekt, dass in dem Moment, in dem die Spiegelneuronen aktiviert werden, die Selbstwahrnehmung sozusagen runtergefahren wird. Wir sind ganz beim anderen und nehmen eigene Wünsche und Bedürfnisse nicht mehr so stark wahr. Diesen Zustand kennt man aus der Hypnose. Wir fokussieren uns voll und ganz. Und in diesem Zustand gelingt Lernen wie von alleine. Auch wenn wir etwas beobachten, das wir eigentlich nicht lernen sollten …
Das vorleben, was man haben möchte
Für eine Führungsperson bedeutet die Aktivität der Spiegelneuronen, dass sie einfach nur genau das vorleben muss, was sie gerne haben möchte – und schon funktioniert das Praxisteam wie von alleine in ihrem Sinne. Die Herausforderung liegt in den Wörtchen „einfach“ und „nur“. Denn einer guten Führungsarbeit geht immer eine optimale Selbstführung voraus. Wenn ich erwarte, dass jemand freundlich ist, dann ist es wichtig, selbst auch – sogar unter Stress – freundlich zu bleiben. Und das gelingt vermutlich nicht immer, denn wir sind alle Menschen.
Jeder hat mal einen schlechten Tag
Wenn ich es aber selbst nicht konsequent vorlebe, dann kann ich es auch nicht verlangen. Ich kann aber überlegen, wie es gelingen kann, dass sich das Praxisteam immer wieder gegenseitig an einen freundlichen Ton erinnert. Denn jeder hat mal einen schlechten Tag. Und so ist dieses Prinzip auf alle Themen der Zusammenarbeit übertragbar. Wer Pünktlichkeit erwartet, muss pünktlich sein, wer Ordnung erwartet, selbst ordentlich, wer Zuverlässigkeit haben will, muss auch seine Zusagen einhalten usw. Da haben es Menschen, die eine gute Selbstkontrolle haben, deutlich leichter.
Selbstkontrolle ist der Schlüssel
Selbstkontrolle ist ein Konzept, über das wir in schon sehr früher Kindheit verfügen – oder eben nicht. Menschen mit einer hohen Selbstkontrolle – das zeigte das berühmte Marshmallow-Experiment – haben es im Leben deutlich leichter. Und sie sind erfolgreicher: Im Beruf und im Leben. Sie bleiben gesund, sind gewappnet vor Süchten, werden weniger delinquent und leben dadurch länger. In längeren Versuchsreihen, zum Beispiel in Neuseeland, haben Forscher vierjährigen Kindern folgende Aufgabe gegeben: „Du bekommst hier von mir ein Marshmallow. Du kannst es essen. Wenn du es nicht isst, bis ich wieder komme, erhältst du ein zweites geschenkt“. In den mehr als vierzigjährigen Nachuntersuchungen dieser Versuchsteilnehmer zeigte sich deutlich: Wer schon mit vier Jahren in der Lage war, seine spontanen Bedürfnisse aufzuschieben, um mehr zu erreichen, der ist insgesamt in seinem Leben zufriedener und erfolgreicher. Die Fähigkeit zur Selbstkontrolle stach sogar Merkmale wie Intelligenz oder soziale Herkunft aus. Und eine gute Selbstkontrolle ist unbedingte Voraussetzung, um ein gutes Vorbild zu sein – ob in der Praxis oder zu Hause. So könnte man das Zitat des Pädagogen Fröbel umformulieren in: Führung ist Vorbild und Respekt – sonst nichts.
(wird fortgesetzt)