Traditionell bietet der Österreichische Kongress für Zahnmedizin, der Ende September 2024 in Vösendorf/Niederösterreich stattgefunden hat, ein breites Themenspektrum. Die Veranstaltung setzte ein klares Zeichen: Traditionelle zahnmedizinische Praktiken und neueste Technologien lassen sich sinnvoll verbinden, um die Herausforderungen und Chancen der modernen Zahnheilkunde zu beleuchten. Expert:innen präsentierten eine Vielzahl an Themen, die den Wandel und die Weiterentwicklung der Zahnmedizin aufzeigen.
Amalgam-Aus und die Folgen
Ein Thema, das tatsächlich nicht nur die Praxisteams in Österreich beschäftigt, ist das aktuelle Amalgam-Aus und die damit verbundene Grundversorgung der Gegenwart und der Zukunft. Ab dem 1. Januar 2025 ist die Verwendung von Dentalamalgam in der gesamten EU gänzlich verboten, es sei denn, es ist medizinisch notwendig. In seinem Vortrag „Das Amalgamverbot steht fest: Welche Alternativen gibt es?“ informierte ao. Univ.-Prof. DDr. Andreas Schedle, Leiter des Kompetenzzentrums für Dentalmaterialien an der Universitätszahnklinik Wien, die langjährige Anwendung von Amalgam in der Zahnheilkunde und hob dessen Vorteile hervor, wie Langlebigkeit, einfache Verarbeitung und antimikrobielle Eigenschaften.
Er verglich die Eigenschaften von Amalgam mit alternativen Füllungsmaterialien wie Glasionomerzementen (GIZ), Kompositen und anderen Hybridmaterialien und diskutierte deren mögliche Einsatzmöglichkeiten in der zahnärztlichen Praxis. Dabei ging er auch auf die engen Indikationsgrenzen der GIZ ein und stellte die Überlegenheit der Komposite dar. Mit den Bulk-Fill-Materialien haben die Praktizierende eine attraktive Versorgungsmöglichkeit.

Blick in die Dentalausstellung des Österreichischen Kongresses für Zahnmedizin 2024
KI und Deep Learning
Dem vieldiskutierten Trendthema künstlicher Intelligenz (KI) nahm sich OÄ Priv.-Doz.in Dr.in scient. med. Dr.in med. dent. Barbara Kirnbauer von der Medizinischen Universität Graz an. Sie diskutierte den Einsatz von KI zur Verbesserung der Effizienz und Sicherheit in der Zahnmedizin. Deep-Learning-Modelle wie Convolutional Neural Networks (CNNs) können radiologische Bilddaten schneller und präziser analysieren und so den Diagnoseprozess optimieren und die Sicherheit erhöhen. Insbesondere in der 3-D-Röntgendiagnostik könnten diese Systeme wertvolle Unterstützung leisten und die Ausbildung von Fachkräften fördern.
Univ.-Prof. Dr. Dritan Turhani, Direktor des Zentrums für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie an der Danube Private University (DPU) Krems, beleuchtete in seinem Vortrag die chronisch sklerosierende Osteomyelitis (CSO), eine potenzielle Komplikation nach der Extraktion von Weisheitszähnen. CSO ist eine entzündliche und fortschreitende Erkrankung des Knochenmarks, die sowohl die kortikalen Knochenplatten als auch das Periost betreffen und durch verschiedene Mikroorganismen, wie Corynebacterium spp., verursacht werden kann.
Die Behandlung von CSO bleibt auch heute eine Herausforderung im klinischen Alltag, da es kein allgemein anerkanntes Behandlungsprotokoll gibt. Turhani diskutierte diese Thematik anhand eines Patientenfalls, der über 20 Jahre verfolgt wurde, und beleuchtete sowohl die Therapieansätze als auch die Rehabilitation nach erfolgreicher Behandlung. Zusätzlich bot er eine aktuelle Literaturübersicht und kontrastierte unterschiedliche Meinungen in der wissenschaftlichen Diskussion zu CSO.
KfO und 3-D-Druck
Dr. Alexander Schwärzler von der Universitätszahnklinik der Medizinischen Universität Wien präsentierte seinen Vortrag „Skelettale Verankerung und 3-D-Druck in der Kieferorthopädie: Effizienz durch digitale Technologie“. Er erklärte, dass kieferorthopädische Implantate mechanische Kraftsysteme ermöglichen, die auf die individuellen anatomischen Gegebenheiten der Patient:innen abgestimmt sind. Durch digitale 3-D-Bildgebung können diese Minischrauben präzise geplant und mithilfe von 3-D-gedruckten Bohrschablonen genau positioniert werden. Diese innovative Methode erhöhe die Planungssicherheit und erspare Zeit. Anhand einer Mikro-CT-Studie diskutierte er die Genauigkeit dieser Verfahren, und praktische Fallbeispiele demonstrierten die Effizienz der Kombination von kieferorthopädischen Implantaten und CAD/CAM-Technologien.
Zukunft Keramik-Implantate?
Dr. med. dent. Dr. med. univ. Dr. scient. med. Alwin Sokolowski präsentierte in seinem Vortrag „Keramikimplantate – Liegt darin die Zukunft?“ die Behandlungsempfehlung der Österreichischen Gesellschaft für Implantologie (ÖGI) zu Keramikimplantaten aus Zirkoniumdioxid (ZrO2). Einteilige ZrO2-Implantate zeigen vergleichbare klinische Ergebnisse wie Titanimplantate, insbesondere bei Einzelzahnkronen und dreigliedrigen Brücken. Während die Evidenz für zweiteilige Keramikimplantate derzeit noch begrenzt, jedoch vielversprechend ist, wird die uneingeschränkte Verwendung einteiliger Systeme empfohlen. Für zweiteilige Implantate wird aufgrund der mangelnden Datenlage eine zurückhaltende Anwendung angeraten. Sokolowski betonte die Notwendigkeit weiterer prospektiver Studien, um die klinische Zuverlässigkeit von zweiteiligen ZrO2-Implantaten zu validieren.
Notfallmanagement in der Praxis
OA Dr. Christoph Buchinger-Alder von der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin des Landesklinikum Mistelbach-Gänserndorf beschäftigte sich in seinem Workshop mit dem Notfallmanagement in der zahnärztlichen Praxis. Obwohl lebensbedrohliche Notfälle wie Anaphylaxie oder Kreislaufstillstand selten sind, erfordern sie schnelle und effektive Erste-Hilfe-Maßnahmen, die entscheidend für das Wohl der Patient:innen sind. Der Workshop zielte darauf ab, zahnärztlichen Teams praktikable Strategien zur Vorbereitung auf häufige Notfälle zu vermitteln. Durch konkrete Übungen an Reanimationspuppen zur Wiederbelebung kann nicht nur die Sicherheit in der Praxis, sondern auch die Teamkompetenz im Umgang mit Notfallsituationen verbessert werden.
„SEX“ in der oralen Medizin
Die Bedeutung von „Gender Dentistry – ‚SEX‘ in der oralen Medizin“ thematisierte Univ.-Prof.in Dr.in Margrit Ann Geibel, MME, Leiterin der Abteilung Genderspecific Dentistry an der Danube Private University (DPU) Krems, zu einem gendersensiblen Ansatz in der Zahnmedizin. Sie argumentierte, dass die moderne Zahnmedizin, die sich zunehmend auf Individualisierung stützt, auch geschlechtsspezifische Besonderheiten berücksichtigen muss.
Gender Dentistry umfasst sowohl physiologische Unterschiede (Sex) als auch geschlechtsspezifische Verhaltensweisen (Gender). Geibel hebt hervor, dass eine geschlechtersensible Perspektive in der Zahnmedizin, insbesondere bei Krankheitsbildern wie Parodontitis und hormonmodulierten Knochenveränderungen, entscheidend für die Behandlungsergebnisse ist. Diese Perspektive ist besonders relevant in der Implantologie und Oralchirurgie, wo präventive Maßnahmen und deren Erfolge verbessert werden können. Sie betont die Notwendigkeit einer evidenzbasierten Zahnmedizin, die den gendersensiblen Blickwinkel integriert, um eine bessere Therapie und Prognose für Patientinnen und Patienten zu ermöglichen.
OA Ass.-Prof. Dr. med. dent. Florian Pfaffeneder-Mantai, MA, Krems an der Donau/Österreich
Über den Autor
OA Ass.-Prof. Dr. med. dent. Florian Pfaffeneder-Mantai, MA studierte an der Danube Private University (DPU), Krems an der Donau/Österreich, Zahnmedizin, ist dort heute stellvertretender ärztlicher Leiter des Zahnambulatoriums Krems und absolviert parallel an der DPU den Bachelorstudiengang Medizinjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit.
Drei Fragen an:
Dr. Wolfgang Gruber zum Stellenwert des Österreichischen Kongresses für Zahnmedizin 2024 und seiner Vision dazu
Herr Doktor Gruber, im Jahr 2024 hat man Sie besonders als Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Zweigverein Niederösterreich und damit als Organisator des Österreichischen Kongresses für Zahnmedizin 2024 in Vösendorf/Niederösterreich wahrgenommen. Ist Ihre Kongress-Vision, die Brücke zwischen bewährten Praktiken der Vergangenheit und innovativen Möglichkeiten der Zukunft zu schlagen, aufgegangen?
Dr. Wolfgang Gruber: Ja, auch aus Sicht der Teilnehmer:innen. Der erwähnte Brückenschlag ist die Grundidee dieser Veranstaltung überhaupt. Auf der einen Seite steht ein Konzept, das schon seit Jahrzehnten mehr oder weniger unverändert existiert: Der traditionelle Kongress als Zusammenkunft eines Fachpublikums mit der Möglichkeit des in erster Linie Austauschs und der Präsentation von Fachvorträgen. Auf der anderen Seite werden moderne Formen der Kommunikation im Vorfeld eingesetzt. „Soziale Medien“ wie Facebook oder Instagram ermöglichen eine bessere thematische Auseinandersetzung bereits vor der Veranstaltung, die in einer intensiveren oder nachhaltigeren Nutzung des Angebots vor Ort resultiert.

Foto: Marius Höfinger
Welche Rolle spielen heute „Social Media“ und Newsletter, wenn man auf Fachveranstaltungen und Kongressen informiert? Gelingt es, dass Interessenten via Instagram und Facebook live folgen, an Diskussionen teilnehmen, ihr Wissen teilen und von den Erkenntnissen ihrer Kolleg:innen profitieren?
Gruber: Sie kennen vielleicht die Situation: Am Ende eines brillanten Referats heißt es „Noch Fragen?“, und es herrscht peinliches Schweigen. Das liegt oft daran, dass die Eindrücke auf Hörer:innen schlichtweg zu intensiv waren. Eine vorbereitende Diskussion über „Soziale Medien“ kann hier das Eis brechen. Wie überall im Leben gibt es Kolleg:innen, die eine neue Situation oder Technologie rascher für sich nutzen, und solche, die sich die Sache erst mal ein wenig in Ruhe anschauen wollen. Das ist nicht nur, aber auch ein Generationenthema. Dennoch kann ich sagen, die rege Teilnahme an Diskussionen während des Kongresses via Facebook und Instagram gibt uns Recht, diese Möglichkeiten angeboten zu haben.
In diesem Jahr findet der Österreichische Kongress für Zahnmedizin in Innsbruck statt. Warum sollten sich die Kolleg:innen den Termin schon heute vormerken?
Gruber: Ich würde sagen, je früher man Highlights im Fortbildungskalender notiert, desto besser. Darüber hinaus gibt es gerade durch die frühe Anmeldung die Möglichkeit, sich intensiver mit den angebotenen Fachreferaten auseinanderzusetzen und so bei der tatsächlichen Veranstaltung einfach mehr für sich selbst mitzunehmen. Ich freue mich jedenfalls, Sie nächstes Jahr in Innsbruck sehen zu dürfen!
Vom 25. bis 27. September 2025 wird der nächste Österreichische Kongress für Zahnmedizin unter dem Titel „Wissenschaf[f]t Lösungen“ in Innsbruck/Tirol unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Adriano Crismani, Kongresspräsident und Präsident ÖGZMK Verein Tiroler Zahnärzt:innen, sowie Univ.-Prof. Dr. Ines Kapferer-Seebacher, M.Sc., Kongresspräsidentin, stattfinden. www.zahnmedizin2025.at