KZVWL und ZÄKWL: Nicht ausreichend funktionstüchtig und sicher
Forderung nach einer gründlichen Prüfung
Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KZVWL) und die Zahnärztekammer Westfalen-Lippe (ZÄKWL) fordern eine sorgfältige Fortsetzung der Testphase und eine gründliche Prüfung der elektronischen Patientenakte (ePA), bevor diese bundesweit eingeführt wird. Angesichts erheblicher technischer und sicherheitsrelevanter Mängel sei es unverantwortlich, die ePA ohne vollständige Funktionsfähigkeit und Sicherheit in den Praxen flächendeckend zu verpflichten.
„Die Erfahrungen aus den Testregionen zeigen deutlich, dass die ePA in der aktuellen Form noch nicht ausreichend funktionstüchtig und sicher ist. Eine bundesweite Einführung ohne die nötige Anpassung und Prüfung gefährdet die Versorgung und den Datenschutz der Patienten“, erklärt Michael Evelt, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KZVWL.
Dr. Gordan Sistig, Präsident der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe (ZÄKWL), ergänzt: „Die ePA darf nicht zu einer zusätzlichen Belastung für die Praxen werden. Wenn die Technik nicht ausgereift ist, gefährdet dies nicht nur die Arbeitsprozesse in den Praxen, sondern verursacht auch eine erhebliche Mehrbelastung im administrativen Bereich.“
Um eine sichere und effektive Einführung der ePA zu gewährleisten fordern KZVWL und ZÄKWL gemeinsam:
- Verlängerung der Testphase bis zur Erreichung definierter Qualitätskriterien.
- Beseitigung von Sicherheitsmängeln, insbesondere der vom Chaos Computer Club aufgedeckten Schwachstellen.
- Bestätigung durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und die Bundesdatenschutzbeauftragte, dass alle Sicherheitslücken geschlossen sind.
- Sofortige Aussetzung von Sanktionen und TI-Pauschalen-Kürzungen
- Einführung von Anreizsystemen, anstatt Sanktionen, um die Akzeptanz zu fördern.
- Usability vor Geschwindigkeit – nur vollständig getestete und benutzerfreundliche Anwendungen dürfen eingeführt werden.
Die KZVWL und ZÄKWL wollen sich weiterhin dafür einsetzen, dass alle Anforderungen an Datenschutz, Sicherheit und Usability vollständig erfüllt werden.
Hintergrund: Die Forderungen der KZVWL und ZÄKWL decken sich zu 100 Prozent mit denen der AG KZVen, einem Zusammenschluss der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen aus Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe. Das Positionspapier der AG KZVen zur ePA steht auf der Website der zahnärztlichen Körperschaften in WL zur Verfügung.
FVDZ: Klarer Fahrplan in ungewisse Zukunft
Sanktionen in keinem Fall ein angemessenes Mittel im Gesundheitswesen
„Nach dem ganzen Hin und Her um die ePA in den vergangenen Wochen gibt es nun immerhin etwas mehr Klarheit und einen Fahrplan, an dem man sich entlanghangeln kann“, sagt der Bundesvorsitzende des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte (FVDZ), Dr. Christian Öttl, zum ePA-Start.
Ausgesprochen kritisch sieht Öttl jedoch, dass die Nicht-Nutzung der ePA ab Anfang 2026 sanktioniert werden könne. Die möglichen Sanktionen waren mit dem Digitalgesetz in der vergangenen Legislaturperiode beschlossen worden: Allen, die in ihrem Praxisverwaltungssystem zum Stichtag kein Modul für die ePA-Nutzung installiert haben, drohen Honorarkürzungen. Auch der neue Koalitionsvertrag sieht Strafen vor.
Sanktionen halte der FVDZ in keinem Fall für ein angemessenes politisches Mittel im Gesundheitswesen, betont Öttl. Ein funktionierendes, nutzbringendes System sei viel überzeugender als jede Sanktion. „Leider gibt es das nicht, und es besteht immer noch das Problem, dass nicht alle PVS-Hersteller das entsprechende Modul überhaupt liefern können“, macht der FVDZ-Bundesvorsitzende deutlich. Völlig unklar sei nach den zu wenigen Erfahrungen aus den Testregionen der ePA, wie und ob das System unter „Volllast“ überhaupt laufe. „Wir befürchten, dass ganz viel Behandlungszeit für die Patienten verloren geht, weil uns die ‚Kinderkrankheiten‘ des Systems in die Praxen getragen werden“, kritisiert Öttl. Auch die Suche von Daten in der ePA sei mit hohem Zeitaufwand verbunden, solange es weder Volltextsuche noch strukturierte Daten gebe.
Der für Digitales zuständige Bundesvorstand, Dr. Kai-Peter Zimmermann, mahnt ebenfalls zur Vorsicht mit der ePA. „Nach wie vor herrscht Unklarheit, was den Schutz der Gesundheitsdaten unserer Patienten angeht. Die Lücken, die der Chaos Computer Club aufgedeckt hat, sind noch nicht umfassend und überzeugend geschlossen“, betont Zimmermann. Die Patienten seien zudem oft nur unzureichend über die Funktionen der ePA und ihre Rechte – auch die zum Widerspruch – aufgeklärt worden. Die oft grundlegenden Fragen könnten nicht in den Praxen beantwortet werden, sondern die Krankenkassen seien verpflichtet, die Patienten umfassend und neutral zu informieren. „Da besteht immer noch Nachholbedarf. Die Informationen können wir nicht im laufenden Praxisbetrieb individuell liefern.“
Ein stufenweiser Rollout der ePA sei durchaus zu befürworten, sagt Zimmermann, „aber nur, wenn die Parameter wie Datensicherheit, Datenschutz und Freiwilligkeit stimmen“. Da müsse im nächsten halben Jahr noch einiges geschehen, um im „Hochlaufen der ePA“, wie Minister Lauterbach es nannte, nicht ins Stolpern zu geraten.
VdK: Gute Idee mit Schwächen
Sorgen um Datenschutz bleiben bestehen – Bentele: „Barrierefreiheit fehlt, viele könnten ausgeschlossen werden“
Sozialverband VdK Deutschland: Ab dem 29. April startet der bundesweite Rollout der elektronischen Patientenakte (ePA). VdK-Präsidentin Verena Bentele sieht zwei Gefahren für die breite Akzeptanz in der Bevölkerung:
„Die elektronische Patientenakte bietet viele Vorteile: Alle wichtigen Gesundheitsdaten – wie Arztbriefe oder Befunde – sind an einem Ort gespeichert und beim Arztbesuch sofort abrufbar. So können beim Besuch verschiedener Arztpraxen unter anderem unnötige Doppeluntersuchungen vermieden und gefährliche Wechselwirkungen von Medikamenten verhindert werden. Allerdings sehen wir zwei große Herausforderungen.
Aus unserer Sicht war es ein großer Fehler, die Krankenversicherungen nicht von Anfang an zur Barrierefreiheit bei der elektronischen Patientenakte gesetzlich zu verpflichten. Stattdessen wurde sogar eine barrierearme Lösung ins Spiel gebracht. Der Erfolg der ePA hängt jedoch in hohem Maße davon ab, wie viele Menschen dieses neue Instrument nutzen werden.
Aktuell sieht es so aus, dass Menschen mit einer Behinderung vielfach von der Nutzung der ePA ausgeschlossen werden, weil der Zugang zur ePA nicht barrierefrei ist. Dieser Ausschluss von Patientinnen und Patienten mit einer Behinderung ist eine nicht hinnehmbare Benachteiligung. Denn die ePA hätte insbesondere Menschen mit Behinderungen, die vielfach von mehreren beziehungsweise schweren Erkrankungen betroffen sind, zugutekommen können. Teilhabe ist kein Geschenk an eine Minderheit, sondern eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Fairness und muss im Gesundheitssystem zwingend gegeben sein. Wir fordern daher dringend eine schnelle Lösung des Problems, damit Menschen mit Behinderung keine Nachteile haben.
Die Akzeptanz der ePA hängt zudem vom Schutz der sensiblen Patientendaten ab. Auch wenn der geschäftsführende Bundesminister für Gesundheit betont, dass Sicherheitslücken geschlossen wurden, verspüren viele Menschen dennoch einen Rest von Unsicherheit. Schließlich haben die meisten nach wie vor die Warnungen von Computerspezialisten und verschiedenen Organisationen aus dem Gesundheitswesen im Ohr, dass die Datensicherheit nicht gewährleistet sei. Das Wissen um die Datensicherheit muss dringend bei den Nutzerinnen und Nutzern ankommen, damit die ePA ein Erfolgsrezept wird.“
AOK Rheinland/Hamburg: ePA darf nicht scheitern
Ernst machen mit der Digitalisierung
Die Verzögerung beim Rollout der elektronischen Patientenakte treibt die Krankenkassen um. Günter Wältermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg, sagt zu den neuen Ankündigungen bei der ePA:
„Kurz vor dem Ausscheiden aus dem Amt, steckt Gesundheitsminister Lauterbach nun doch noch einen groben Zeitrahmen für den Roll-out der elektronischen Patientenakte ab. Statt die Entwicklung zu beschleunigen, wird die Einführung der ePA mit der monatelangen Freiwilligkeit für Leistungserbringer weiter ausgebremst. Dabei müssten wir im Vergleich zu anderen Ländern aufholen und auf das Gaspedal drücken.
Die Krankenkassen haben geliefert: Wir haben seit Sommer letzten Jahres alle Versicherten informiert und im Januar für alle, die nicht widersprochen haben – und das sind bei der AOK Rheinland/Hamburg über 97 Prozent der Versicherten – die elektronischen Patientenakten angelegt. Wir sind in Vorleistung gegangen, die Politik muss jetzt nachziehen. Jedes weitere Aussitzen ist im Sinne der investierten Beitragsgelder und der Hoffnung der Versicherten auf eine Verbesserung der Versorgung unverantwortlich.
Den Versicherten über Monate keinen Mehrnutzen bieten zu können und abhängig von der zunächst freiwilligen Umsetzung durch die Ärztinnen und Ärzte zu sein, das ist kontraproduktiv und schädigt das Vertrauen in die ePA und den Digitalisierungswillen der Regierung im Allgemeinen. Selbstverständlich müssen digitale Anwendungen funktional, ausreichend getestet und sicher sein. Aktuell aber beugt sich die Politik einmal mehr den Skeptikern und Verhinderern. So wird das nichts mit der Digitalisierung in Deutschland!
Die ePA ist der Schlüssel zur Digitalisierung des Systems und wird nur dann zum ,Game Changer‘ im Umgang mit Gesundheitsinformationen werden, wenn die Arztpraxen sie verbindlich befüllen. Der künftige Gesundheitsminister muss sicherstellen, dass der neue Fahrplan eingehalten wird, um weiteren Reputationsschaden von der ePa abzuwenden.“
Titelbild: Andrea Gaitanides – stock.adobe.com