Die Zeckensaison 2018 startet mit neuen Empfehlungen für die Diagnose und Therapie der durch Zecken übertragenen Erkrankung Neuroborreliose. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat die erste S3-Leitlinie Neuroborreliose veröffentlicht. Sie bezieht Stellung zu vermeintlichen Spätfolgen einer Borrelieninfektion, die Jahre nach dem Zeckenstich auftreten sollen.
„Krankheitsbilder mit anhaltenden unspezifischen Symptomen sind häufig keine Borreliosen“, so Professor Sebastian Rauer vom Universitätsklinikum Freiburg, der die Leitlinienarbeit gemeinsam mit PD Dr. Stephan Kastenbauer aus München koordiniert hat. Die Leitlinie gilt erstmals auch für die Neuroborreliose im Kindes- und Jugendalter. Sie erläutert, welche Schritte und Labortests die Diagnose Neuroborreliose sichern, und bietet einen Überblick über wirksame Therapien. Außerdem enthält sie ein Informationsblatt für Patienten zur Nachbeobachtung eines Zeckenstichs und gibt Empfehlungen zur Prävention einer Borrelieninfektion.
Die S3-Leitlinie ist eine Weiterentwicklung der bisher gültigen S1-Leitlinie. Die Empfehlungen basieren auf einer systematischen Auswertung der wissenschaftlichen Literatur zur Neuroborreliose. An ihrer Entwicklung waren Vertreter aller Fachrichtungen beteiligt, die mit dem Krankheitsbild zu tun haben: 20 wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften, das Robert-Koch-Institut, die Paul Ehrlich Gesellschaft, drei Patientenorganisationen sowie die Deutsche Borreliose-Gesellschaft e.V. (DBG). „Im Hinblick auf die späte Neuroborreliose und vermeintliche latente Langzeitinfektionen besteht zwischen den wissenschaftlichen Fachgesellschaften und den Patientenorganisationen beziehungsweise der DBG eine große Kontroverse“, erläutert Rauer. Die DBG und der Borreliose und FSME Bund Deutschland e.V. versuchten, die Leitlinie mit einer einstweiligen Verfügung zu stoppen. Das Landgericht Berlin hat diese mit Urteil vom 12. März 2018 aufgehoben.
3 bis 15 Prozent der Infektionen betreffen das Nervensystem
Die Lyme-Borreliose ist die am häufigsten durch Zecken übertragene Krankheit in Europa. In Deutschland erkranken jährlich zwischen 60.000 und mehr als 200.000 Menschen. Eine frühzeitige Entfernung der Zecke, bevor sie sich mit Blut vollgesaugt hat, kann die Übertragung des Erregers verhindern. Die Borrelien, spiralförmige Bakterien, befallen vorwiegend die Haut. Typisches Erkennungszeichen ist die Wanderröte: Um den Zeckenstich bildet sich ein roter Rand, der sich langsam nach außen ausweitet; oft kommen Muskel- und Gelenkschmerzen und andere grippeähnliche Beschwerden hinzu. Die Borrelien können Gelenke, das Nervensystem und selten das Herz befallen.
In 3 bis 15 Prozent der Fälle ist das Nervensystem betroffen, man spricht dann von einer Neuroborreliose. Typisch in diesen Fällen sind nächtlich betonte, brennende und stechende Schmerzen, die häufig gürtelförmig verteilt sind und schlecht auf Schmerzmittel ansprechen. Auch Lähmungen können vorkommen, vor allem der Gesichtsnerven, der Arme und Beine. Bei Kindern äußert sich die Neuroborreliose am häufigsten in einer Gesichtsnervenlähmung oder Meningitis. „Anhand der typischen Symptome in Verbindung mit entzündlichen Veränderungen im Nervenwasser und dem positiven Antikörpernachweis lässt sich eine Neuroborreliose in der Regel zweifelsfrei feststellen“, erklärt Rauer. Von Blut- oder Liquortests auf Borreliose bei unspezifischen Beschwerden rät der Experte ab: „Laboruntersuchungen sind nur bei ausreichendem klinischem Verdacht sinnvoll.“
Schlechte Langzeitverläufe basieren auf Fehldiagnosen
Zu den umstrittenen vermeintlichen chronischen Neuroborreliosen liefert die S3-Leitlinie wissenschaftliche Fakten. Nicht haltbar sei die Theorie, wonach Erschöpfung, Konzentrationsstörungen, chronische Müdigkeit, wandernde Schmerzen, Gedächtnisstörungen, Kopfschmerzen und andere schwer greifbare Beschwerden trotz unauffälliger Liquordiagnostik auf eine nicht erkannte oder unzureichend behandelte Infektion des Nervensystems mit Borrelien zurückzuführen sind. „Die Neuroborreliose verläuft überwiegend gutartig“, betont Rauer. „Schlechte Langzeitverläufe, von denen immer wieder berichtet wird, sind zum erheblichen Teil auf Fehldiagnosen zurückzuführen. Das Nichtansprechen auf die Therapie liegt in diesen Fällen nicht daran, dass die Borrelien überleben. Der Grund ist vielmehr, dass die Patienten keine Neuroborreliose haben, sondern eine andere Erkrankung, die nicht auf Antibiotika anspricht.“
Auch den Lymphozyten-Transformationstest, der bei diffusen Beschwerden wie chronischer Müdigkeit, muskuloskelettalen Schmerzen, Abgeschlagenheit oder Konzentrationsstörungen eine chronische Borreliose nachweisen soll, halten die wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften für nicht aussagekräftig.
Aktuelle Empfehlungen zur Art und Dauer der Antibiotikatherapie
Die Antibiotikabehandlung sollte mit Doxycyclin, Penizillin G, Ceftriaxon oder Cefotaxim erfolgen. „Diese Substanzen sind bei gleicher Verträglichkeit gleich gut wirksam gegen Borrelien“, erklärt Rauer. „Über die Wirksamkeit von anderen Substanzen oder Antibiotika-Kombinationsbehandlungen liegen zu wenige auswertbare Studiendaten vor.“ Die Leitlinie betont, dass eine medikamentöse Therapiedauer von 14 Tagen bei früher und von 14 bis 21 Tagen bei später Neuroborreliose im Regelfall ausreichend ist. „Eine längere Behandlung bringt keinen Mehrwert, sondern setzt die Patienten einem unnötigen Risiko von schweren Nebenwirkungen aus. Wenn die Antibiotika nach zwei bis drei Wochen nicht anschlagen, bringen auch weitere Wochen oder gar Monate nichts.“