Anzeige

Dysgnathie-Operation als Chance sehen

Harald Eufinger

Prof. Dr. Dr. Harald Eufinger setzt auf dem KfO-Symposium zwei Schwerpunkte.  

Im Interview erläutert Prof. Dr. Dr. Harald Eufinger, Leiter der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Knappschaftskrankenhauses in Recklinghausen, welchen Kompetenzgewinn die Teilnehmer des 44. KfO-Symposiums der Haranni Academie, das vom 27. Januar 2019 bis zum 1. Februar 2019 in Lech stattfindet, erwarten können.

Mit seinen Referaten „Praktische Aspekte der Dysgnathie-Chirurgie 2018“ und „Kieferorthopädisch relevante Entwicklungen der MKG-Chirurgie im Wandel der vergangenen 15 Jahre“ wird Eufinger gleich zwei Höhepunkte für die „Kieferorthopädie auf Passhöhe“ setzen.

Sie haben mit Ihren Referaten zwei Schwerpunkte gesetzt – warum?

Prof. Dr. Dr. Harald Eufinger: Einerseits möchte ich zeigen, wie Dysgnathie-Operationen heute tatsächlich ablaufen und damit den Zuhörern ein Update geben, um ihre eventuellen Bedenken zu zerstreuen und eine objektive erste Beratung ihrer Patienten zu ermöglichen. Andererseits möchte ich über Entwicklungen unseres Fachs informieren, die ich in den vergangenen 15 Jahren während meiner Tätigkeit als Chefarzt als bereichernd und für die Kollegen der Kieferorthopädie wissenswert erlebt habe. Wichtig sind aber auch die Entwicklungen, die wir an unserer Klinik in Recklinghausen nicht nachvollzogen oder wieder aufgegeben haben, und die Gründe, warum dies so war oder ist. Mir ist es sehr wichtig, nicht nur die extremen Verbesserungen der MKG-Chirurgie zu vermitteln, sondern auch, dass die Dysgnathie-Operation als Chance und zusätzliche Therapieoption begriffen wird und nicht als etwas Gefährliches und Belastendes, das man möglichst vermeiden sollte. Das Gegenteil ist der Fall – selbst bei Grenzfällen kann die Operation eine kieferorthopädische Behandlung oft wesentlich unterstützen oder überhaupt erst ermöglichen. Das gilt auch für die Behandlung eingeengter Atemwege im Bereich von Nase und Rachen, sodass neben kieferorthopädischen Maßnahmen auch eine kausale Therapie des Schnarchens und der obstruktiven Schlafapnoe erfolgen kann.

Gibt es neue praktische Aspekte in der Dysgnathie-Chirurgie und warum sind diese interessant für Ihre Kursteilnehmer?

Eufinger: Neue praktische Aspekte betreffen vor allem die Frage, wie mit Weisheitszähnen umzugehen ist. Früher wurde deren Entfernung mindestens sechs Monate vor Umstellungsoperationen gefordert. Bei uns hat es sich in den vergangenen Jahren durchgesetzt, eingestellte, teilretinierte oder „einfache“ vollständig retinierte Weisheitszähne gleichzeitig mit der Dysgnathie-Operation zu entfernen, was die Abläufe und die Patienten wiederum sehr entlastet. „Schwierige“ untere Weisheitszähne überführen wir heute in vielen Fällen mit einer Koronektomie in „einfache“. Ein weiterer Aspekt ist die Chirurgie als erster Schritt der gemeinsamen Maßnahmen, das Surgery First-Prinzip. Dies vereinfacht die kieferorthopädische Behandlung und verkürzt sie, sodass wir heute in jedem Fall prüfen und interdisziplinär besprechen, ob Surgery First möglich ist. Der Anteil entsprechender Fälle steigt somit jedes Jahr leicht an. Ebenso erfragen und überprüfen wir neben Nasenatmungsbehinderungen und nächtlichem Schnarchen heute bei jeder Erstberatung von Dysgnathiepatienten die Länge des Zungenbändchens, das Schluckmuster und die Größe der Gaumenmandeln. In fast der Hälfte aller Dysgnathiebehandlungen führen wir eine Verlängerung des Zungenbändchens durch und empfehlen logopädisches Zungenfunktionstraining danach. Mehrfach im Jahr kombinieren wir zur Verbesserung der Zungenlage und der Dimension der Atemwege auch eine operative Mandelentfernung, zum Beispiel mit einer vorgeschalteten chirurgischen GNE oder der abschließenden Metallentfernung. Wir glauben, dass das Behandlungsergebnis nur in der Balance freier Nasen- und Rachenatmung, eines entspannten Lippenschlusses sowie einer richtigen Zungenlage und -funktion über Jahrzehnte stabil sein kann.

Wo sehen Sie die markantesten Entwicklungen in der MKG-Chirurgie?

Eufinger: Am meisten beeindruckend und praxisrelevant waren für mich in den vergangenen Jahren Entwicklungen von Nachbarfächern, oft auf der Basis technischen Fortschritts: Die Möglichkeiten der Pränataldiagnostik von LKG-Spalten mit deutlich höherer Detektionsrate und zum Teil fotorealistischer Darstellung sowie der Diagnose isolierter Gaumenspalten haben zu einer erheblichen Zunahme von Schwangerenberatungen in meiner Sprechstunde geführt und bedeuten für die werdenden Eltern eine enorme Unterstützung. Die Verfügbarkeit der einfachen dreidimensionalen Hartgewebsdiagnostik in Form der Digitalen oder Dentalen Volumentomographie als Teil der zahnärztlichen Radiologie hat in unserer Klinik zur arbeitstäglichen Nutzung von DVT geführt. Auch aus der Behandlung unserer Tumorpatienten werde ich über neue Entwicklungen berichten.

Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und einer überweisenden KfO-Praxis ab?

Eufinger: Die Zusammenarbeit kann optimal gestaltet werden, wenn alle drei Partner – KfO, MKG und Patient – nach Erstellung der diagnostischen Grundlagen das Erstgespräch gemeinsam führen. So kann jede Partei Erwartungen, Bedenken und Ideen einbringen und man erzielt eine optimale Therapieplanung, in die alle eingebunden sind. Bis heute gibt es fast keine gemeinsame Sprechstunde, aus der ich nicht auch für mich Neues und Unerwartetes mitnehme. Das macht unter anderem den besonderen Reiz der Dysgnathiebehandlung und des interdisziplinären Zusammenarbeitens aus.