„Ist dir eigentlich auch oft so langweilig?“ Diese Frage stellen sich nur miteinander vertraute Menschen. Und die Antworten sind verblüffend. 10 bis 15 Jahre nach einer Praxisgründung beginnt das erste Unwohlsein. Jeden Tag aufstehen, jeden Tag ähnliche Abläufe – und auch spannende Patienten und herausfordernde Teamsituationen bietet nur einen kurzen Lichtblick.
Manchmal liegt man nachts wach und überlegt sich, ob das nun alles gewesen ist. Eine gut laufende Praxis, ein nettes Team, angenehme Patienten in der familiären Kleinstadt. Alles passt gut zusammen, die Familie hat sich eingerichtet, und es könnte nun weitere 20 Jahre so weitergehen. Klar gibt es interessantere Praxen mit spannenderen Fällen und einem weniger gleichförmigen Umfeld. Aber sollte man all das, was man sich erschaffen hat, aufs Spiel setzen und mit einem Relaunch noch einmal neu durchstarten? Sind der Kick, die Lust an der Herausforderung und der Spaß an Neuem das wert? Aber andererseits: Wenn jetzt nichts mehr passiert? Was passiert dann mit einem selbst in den kommenden 15 bis 20 Jahren? Das sind die Nächte, in denen man wach liegt, aus dem Fenster schaut, durchs Haus spaziert und keine Ruhe findet. Soll ich? Oder besser nicht? Und es entsteht eine latente Unzufriedenheit, die bestenfalls in einer leichten Gereiztheit und im schlechtesten Fall in dauerhaft schlechter Laune und Unmut mündet.
Der amerikanische Psychologe Robert Biswas-Diener bringt es auf den Punkt: „Ohne Mut können wir kein erfülltes Leben führen. Wir schöpfen unser Potenzial nur aus, wenn wir fest daran glauben, dass wir etwas bewirken können, und unsere Ziele nicht vorschnell aus Angst aufgeben.“ Ängste bereiten die Basis für Mut. Wer keine Angst vor Neuem hat, braucht auch nicht den Mut aufzubringen, diese zu überwinden. Die Möglichkeit zu scheitern fordert uns. Sie lässt uns unsere Grenzen spüren. Jeder sichere Ausgang einer Aktion mutet eher langweilig an. Mut bedeutet also, trotz ungewissem Ausgang und trotz Angst, einen bewussten Entschluss zu fassen. Und das nicht erst dann, wenn es keine andere Wahl mehr gibt. Weil weniger Patienten kommen, es immer schwerer wird, Mitarbeiter zu finden oder umfassende Reinvestitionen anstehen.
Oft bemerkt das Umfeld schneller als wir selbst, dass der Alltag für uns nicht mehr stimmig ist. Denn wir senden entsprechende Signale. Patienten und Mitarbeiter reagieren sehr sensibel auf unsere Ausstrahlung. Sie bemerken im Zweifel zuerst, wie unser Energieniveau sinkt, wir lustlos agieren und nicht mehr richtig hinhören. Es macht keinen Spaß mehr, weil der Ablauf zur Routine geworden ist und nicht mehr viel Neues passiert, außer vielleicht ein paar Änderungen, die wir nicht willkommen heißen. Wir müssen uns beispielsweise mit Begehungen befassen, mit Datenschutz oder mit der Gesundheitskarte. Das macht vielen Ärzten wenig Spaß und zehrt an den ohnehin angespannten Nerven. In solchen Situationen vermisst man die Möglichkeit, mal wieder etwas aktiv zu gestalten, genau wie damals bei der Praxisgründung. Das Reaktive allein macht nicht glücklich. Schließlich leiten Sie ein Unternehmen.
Letztlich findet sich für alles eine Lösung
Der Mutige bleibt in der aktiven Rolle. Geprägt durch eine optimistische Sichtweise schreckt er vor möglichen Unwägbarkeiten nicht zurück. Er packt ein Projekt nicht deswegen an, weil alles prima laufen wird, sondern weil er Spaß daran hat, sich einer Herausforderung zu stellen. Und weil er sich sicher ist, dass er damit umgehen kann, wenn nicht alles nach Plan läuft. Und weil er sich dann selbst wieder lebendig fühlt.
Um ein neues Projekt anzugehen, braucht man nach Biswas-Diener zwei Fähigkeiten: Zum einen ist eine Entschlossenheit zum Handeln notwendig, und zum anderen muss man in der Lage dazu sein, seine Angst in Schach zu halten. Beides kann man aktiv trainieren. So begegnen wir beispielsweise der Angst am besten, indem wir nicht auf die Mühen und Kosten des neuen Projekts achten, sondern uns vielmehr mit dem erwarteten Nutzen beschäftigen. Und es ist auch hilfreich zu überlegen, wie man mit möglichen Schwierigkeiten umgehen könnte. Denn letztlich findet sich für alles eine Lösung.
Viele Menschen haben keine Angst davor, sich in ihr Auto zu setzen und beim Sturm auf die Autobahn zu fahren. Wenn sie aber 10.000 Meter über dem Atlantik im Flugzeug sitzen, das wackelt, bekommen sie schweißnasse Hände. Der Unterschied ist hier nur, dass wir im ersten Fall selbst am Steuer sitzen und im zweiten vertrauen müssen. Insofern unterstützt es mutiges Handeln, wenn wir ausreichend dafür sorgen, dass wir am Steuer bleiben. Nicht zu viel aus den Händen geben, immer noch selbst das Projekt leiten und alle relevanten Entscheidungen selbst treffen, entspannt. So können wir dafür sorgen, dass unser Relaunch zwar mutig, aber nicht tollkühn geplant und durchgeführt wird. Und langweilig wird es mit einem solchen Projekt, in dem wir neue Ideen verwirklichen können, die auf solider Erfahrung fußen, nicht.