DDr. Christa Eder zum Thema orale Präkanzerosen (Teil 1)
Das Plattenepithelkarzinom der Mundschleimhaut ist mit einem Anteil von 92 bis 95 Prozent das häufigste Malignom der Mundhöhle. Es kann zwar de novo auf der Mukosa entstehen, entwickelt sich aber nicht selten in typischen Vorläuferläsionen. Seit 2005 werden orale Läsionen mit Prädisposition für maligne Entartung unter dem Begriff „potential malignant disorders (PMD)“ zusammengefasst.
Die Ätiologie derartiger Mundschleimhautveränderungen ist heterogen. Exo- und endogene Faktoren begünstigen sowohl Genese und Ausprägung als auch die Häufigkeit einer möglichen dysplastischen Transformation. Die Risikofaktoren für Präkanzerosen sind, ähnlich wie für invasive Karzinome, Tabakkonsum, Alkohol, Drogen und Betelkauen, aber auch chronische Entzündungen und Infektionen mit Papillomaviren aus der „high risk“-Gruppe wie HPV 16, sowie genetische Aberrationen und idiopathische Ursachen.
Eine Früherkennung ist besonders wegen der schlechten Prognose des oralen Plattenepithelkarzinoms und seines hohen Metastasierungsrisikos von höchster Wichtigkeit. Viele Vorläuferläsionen werden, weil zunächst klein und unauffällig, übersehen oder wegen des meist asymptomatischen Frühstadiums ignoriert.
Die gesamte Mundhöhle inspizieren
Bei Zahnarztbesuchen muss daher regelmäßig die gesamte Mundhöhle inklusive der Zunge, des Gaumens und des Mundbodens inspiziert und beurteilt werden. Verdächtige Läsionen, welche nicht sicher hinsichtlich ihrer Dignität eingestuft werden können und länger als zwei Wochen persistieren, sollten nach Empfehlung der WHO unbedingt mittels Biopsie histopathologisch abgeklärt werden. Bei Einhaltung dieses Standards können invasive Malignome zu 99 Prozent vermieden werden.
Lediglich bei Verdacht auf ein orales Schleimhautmelanom muss eine Biopsie unterbleiben. Hier besteht sonst Gefahr der Streuung bei Irritation durch eine Gewebeentnahme. Dunkel pigmentierte, suspekte Veränderungen müssen daher entweder primär vollständig exzidiert werden, oder der Patient ist zur weiteren Abklärung an ein entsprechendes Zentrum zu überweisen.
Vermeidung von Dysplasie und maligner Transformation
Das Screening der Mundschleimhaut setzt profunde Kenntnisse der Morphologie, der bevorzugten Prädeliktionsstellen und der Differenzialdiagnosen oraler Präkanzerosen voraus. Ebenso ist die Überwachung von bereits bestätigten, nicht vollständig exzidierbaren Risikoläsionen ein wesentlicher Bestandteil der zahnärztlichen Prophylaxe.
Die wichtigsten Präkanzerosen der oralen Mukosa, ihr Stellenwert für die Karzinogenese und die möglichen therapeutischen Interventionen zur Vermeidung schwerer Dysplasie sollen hier vorgestellt und diskutiert werden.
Zu den „potential malignant disorders“ der oralen Mukosa zählen mehrere Kategorien unterschiedlicher oraler Läsionen:
- orale Leukoplakie
- Erythroleukoplakie
- oraler Lichen planus
- aktinische Cheilitis
- orale submuköse Fibrose
- palatinale Dyskeratose
- kongenitale Dyskeratose
- diskoider Lupus erythematodes
- Epidermiolysis bullosa
Orale Leukoplakie: eine Ausschlussdiagnose
Sie manifestiert sich, ähnlich wie viele andere orale Läsionen, als weißes, meist plaqueartiges hyperkeratotisches Areal. Die Bezeichnung „Leukoplakie“ ist daher ein rein deskriptiver klinischer Begriff, wenn vom makroskopischen Bild her keine andere Diagnose möglich ist. Häufige, meist schon anamnestisch bestätigbare Differenzialdiagnosen sind chemische Verätzungen inklusive dem Aspirinulkus, Friktionen, Morsicatio, der weiße Schwammnaevus, aber auch nur histologisch abgrenzbare Läsionen wie die HIV-assoziierte, nicht präkanzeröse Haarzellleukoplakie, der orale Lichen planus und lichenoide Schleimhautreaktionen.
Eine weitere Differenzialdiagnose betrifft die pseudomembranöse Candidiasis, welche sich ebenfalls als weißer plaqueartiger, aber meist abziehbarer Belag darstellt. Der Nachweis von Candidaspezies in oralen Läsionen schließt allerdings eine Leukoplakie (ebenso wie einen Lichen) nicht von vornherein aus. Candida, besonders C. albicans besiedelt bevorzugt loci minoris resistentiae und somit auch sämtliche präkanzeröse Läsionen der Mundschleimhaut. Eine Persistenz der weißen Beläge nach antimykotischer Therapie erfordert daher immer weiterführende diagnostische Maßnahmen.
Leukoplakien findet man bei 1,1 bis 11,7 Prozent der Bevölkerung. Sie können solitär oder multipel im gesamten Mund/Rachenraum und auch pharyngeal auftreten und betreffen Raucher sechsmal so häufig wie Nichtraucher. Morphologisch unterscheidet man die homogene und die inhomogene Leukoplakie. Erstere hat ein uniformes Muster im gesamten Bereich der Läsion, während bei der zweiteren unterschiedlich differenzierte Areale nebeneinander auftreten. Die flache, plaqueartige inhomogene Leukoplakie zeigt gemischte weiße und rote Flecken, die noduläre Form polypoide Erhabenheiten auf weißem oder gerötetem Grund und die verruköse proliferative Form (PVL) eine gefältelte oder gefurchte warzenartige Oberfläche.
C. albicans und high risk HPV erhöhen das Krebsrisiko
Während die homogene Leukoplakie nur in seltenen Fällen malign entartet, ist die inhomogene Leukoplakie ein deutlich höheres Risiko für die betroffenen Patienten. Im histologischen Bild findet man neben einer Hyperkeratose vom ortho- oder parakeratotischen Typ und einer Akanthose des Epithels auch dysplastische Zellveränderungen. Die proliferative verruköse Form hat ein Transformationsrisiko zu einem invasiven Plattenepithelkarzinom oder verrukösem Karzinom von bis zu 61 Prozent innerhalb von sieben bis acht Jahren. Begünstigt wird dies durch gleichzeitige chronische hyperplastische Candidiasis durch C. albicans, besonders durch den Genotyp A in der inhomogenen Leukoplakie. Das Krebsrisiko wird durch die Hefe versechsfacht. Im Frühstadium kann durch antimykotische Therapie das Entartungsrisiko minimiert werden.
Die Ätiologie der PVL ist nicht vollständig geklärt, eine zusätzliche Beteiligung von high risk HPV16 wird diskutiert. Da die verruköse Leukoplakie im Frühstadium eher klein, unauffällig und noch flach imponiert, wird sie häufig übersehen. Die Diagnose muss daher aus einer Kombination klinischer und histopathologischer Kriterien erstellt werden. Durch die hohe Rate an Feldkanzerisierungen besteht Gefahr der gleichzeitigen malignen Transformation an mehreren Lokalisationen der Mundhöhle. Daher ist es notwendig, multiple Biopsien zu gewinnen, um der unterschiedlichen Differenzierung innerhalb der Läsion Rechnung zu tragen. Therapeutisch steht, zumindest bei geringer Größe der Läsion, die chirurgische Exzision an erster Stelle. Auch CO2-Laser oder bei ausgedehnten Veränderungen Kryotherapie und photodynamische Therapie kommen in Frage. Alternativ kann für bestimmte Patientengruppen auch eine Behandlung mit Retinoiden, Karotinoiden oder Bleomycin in Erwägung gezogen werden. Wegen der hohen Rezidivrate ist ein long-term-follow-up erforderlich.
DDr. Christa Eder, Wien
DDr. Christa Eder
ist Fachärztin für Pathologie und Mikrobiologin. Seit vielen Jahren schreibt sie für das österreichische Fachmagazin „Zahn.Medizin.Technik“ und die deutsche Fachzeitung „dzw – Die ZahnarztWoche“. Auch ist sie als Vortragende im Bereich der zahnärztlichen Mikrobiologie international bekannt.
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