DDr. Christa Eder zum Thema orale Präkanzerosen (Teil 2)
Die sichere Unterscheidung zwischen harmlosen und prämalignen Veränderungen der Mundschleimhaut bereitet auf Grund der oft uncharakteristischen Morphologie Schwierigkeiten und erfordert neben einer differenzialdiagnostischen Ersteinschätzung durch den Zahnarzt meist eine zusätzliche pathohistologische Abklärung der Dignität.
Eine einfache Hilfe bei der Beurteilung der oft unscheinbar imponierenden Läsionen ist die Färbung von verdächtigen Arealen mit 1-prozentigem Toluidinblau. Zellen von präkanzerös-dysplastischen und bereits invasiven Malignomen haben einen vermehrten Gehalt an Nukleinsäuren, zu welchen der blaue Farbstoff eine hohe Affinität hat. Zusätzlich bindet Toluidinblau an sulfatierte Mukopolysaccharide des pathologisch veränderten Epithels.
Eine weitere hilfreiche Methode ist „Autofluoreszenz Imaging“, wobei mittels Licht unterschiedlicher Wellenlängen endogene Fluorophoren wie Kollagen, Elastin, Keratin und vermehrter Gehalt an elektronenübertragenden Coenzymen wie NADH und FAD dargestellt werden. Dysplastische Zellen verursachen Veränderungen in der Fluoreszenz der Mukosa und haben eine Sensitivität von 91 Prozent, allerdings liegt die Spezifität bei nur 58 Prozent, weshalb eine zusätzliche Biopsie zur Bestätigung und endgültigen Diagnose unbedingt erforderlich ist.
Speichel-Biomarker sind Indikatoren für den Nachweis beteiligter onkogener Viren und vermehrter assoziierter Zytokine wie IL-1b. IL-8 und TNF-alpha, welche bei prämalignen und malignen Prozessen überexprimiert werden. Eine routinemäßige Verwendung dieser Marker bedarf allerdings noch weiterer Forschungsergebnisse.
Erythroleukoplakie: der gar nicht harmlose „rote Fleck“
Besonders häufig manifestieren sich mögliche Vorläuferläsionen des oralen Plattenepithelkarzinoms als weiße oder rötliche, teils flache, teils erhabene Läsionen, häufig unter dem klinischen Bild einer Leukoplakie.
Eine spezielle Form davon ist die mit hohem malignen Transformationspotenzial einhergehende Erythroleukoplakie. Makroskopisch imponiert sie als samtartige, kräftig rot gefärbte, meist gutumschriebene Veränderung der Mukosa. In manchen Fällen kann sie auch wechselnde rote und weiße Areale beinhalten und wird dann als „Leukoerythroplakie“ bezeichnet.
Irrtum mit fatalen Folgen
Betroffen sind bevorzugt Männer zwischen dem 50. und dem 70. Lebensjahr. Ein enger Zusammenhang mit Tabak- und Alkoholkonsum ist nachgewiesen. Prädilektionsorte sind der weiche Gaumen und die ventrale Zunge, gefolgt von Mundboden und Tonsillenpfeilern. Die Erythroleukoplakie ist fast immer asymptomatisch, nur selten werden brennende Sensationen oder Schmerzen beschrieben. Da die Läsion meist nur solitär in einem kleinumschriebenen Bereich auftritt und den Patienten kaum irritiert, wird sie häufig übersehen oder als lokale Entzündung eingestuft und unterschätzt.
Dieser Irrtum kann allerdings fatale Folgen haben, da die Erytholeukoplakie häufig in ein invasives Plattenepithelkarzinom übergeht. Bei einer Biopsie findet man in bis zu 80 Prozent der Fälle bereits histologische Kriterien der Malignität mit schwerer Dysplasie entsprechend einem Carcinoma in situ oder sogar einem bereits invasivem Plattenepithelkarzinom. Die Frühdiagnose hat daher besonderen Stellenwert. Wegen der hohen Rezidivrate ist eine regelmäßige Langzeitkontrolle erforderlich.
Lichen planus mucosae: eine fakultative Präkanzerose
Diese erstmals von Erasmus Wilson 1869 beschriebe fakultative Präkanzerose ist eine autoimmune, chronisch inflammatorische Erkrankung, welche neben der Schleimhaut in ca. 50 Prozent als integumentaler Lichen auch die Haut und die Nägel betreffen kann. Dort findet man als Primäreffloreszenz kleine rötliche Knötchen mit schuppigen, fest haftenden Epithelien.
Die Manifestation in der Mundhöhle wird als oraler Lichen planus (OLP) bezeichnet und eilt möglichen Hautläsionen oft um Monate voraus. OLP verursacht 10 Prozent aller weißen Schleimhautveränderungen und betrifft bevorzugt Frauen (60 Prozent) um das 5. bis 6. Lebensjahrzehnt. Am häufigsten findet man ihn auf der bukkalen Mukosa nahe der Mundwinkel, gefolgt von Gaumen, Zunge, Lippen und Alveolarschleimhaut.
Geringes Entartungsrisiko
Das Entartungsrisiko ist verglichen mit der Erythroleukoplakie und der verrukösen Leukoplakie mit 0,5–3,7 Prozent relativ gering. Die klassische und daher einfach zu diagnostizierende Form ist der retikuläre Typ mit streifig weißer Zeichnung (Wickham-Streifen) in filigranen netzartigen Mustern auf der oralen Mukosa. Schwieriger wird die richtige Einschätzung beim papulösen und beim plaqueartigen Typ, welche klinisch kaum von praktisch ident imponierenden Läsionen einer Leukoplakie zu unterscheiden sind. Auch atrophische und erosive Formen treten auf und bedürfen wegen erhöhter Entartungsgefahr immer einer bioptischen Abklärung.
Seltene bullöse Form
Die seltene bullöse Form kann mittels direkter Immunfluoreszenz differenzialdiagnostisch von einem Pemphigus vulgaris oder einem oralen Schleimhautpemphigoid unterschieden werden. Beim OLP findet man IgA-, IgM- und C3-Deposits und irreguläre Fibrinogenablagerungen entlang der Basalmembran. Histologische Kennzeichen sind eine Degeneration und Homogenisierung der Basalzellen des Epithels mit Einlagerung von Kolloidkörperchen, den sogenannten Civette bodies, sägeblattartige Reteleisten und ein subepitheliales dichtes Infiltrat von T-Lymphozyten (vorwiegend CD8-Zellen) mit perivaskulärer Akzentuierung.
Es kommt zu einer gesteigerten Zytokinexpression, einer Hochregulation von Adhäsionsmolekülen an den Membranen der Keratozyten und zu einer erhöhten Freisetzung von Metalloproteinasen. Das Zusammenwirken dieser Prozesse verursacht die Apoptose der basalen Epithelzellen und löst die typische Entzündungsreaktion aus. Zusätzlich können genetische disponierende Faktoren eine Rolle spielen.
Molekularer Mimikry begünstigt Lichen planus
Studien zeigen auch Zusammenhänge mit zahnärztlichen Werkstoffen wie Komposit, Gold und Amalgam, Medikamenten, systemischen und autoimmunen Erkrankungen wie Diabetes mellitus I, Hashimoto Thyreoiditis und dem Sjögren-Syndrom.
Eine interessante Verbindung besteht zu chronischen Infektionen mit dem Hepatitis-C-Virus. Die virale RNA ist in 60 Prozent der Fälle nicht nur in den Hepatozyten, sondern auch im Sulkusfluid nachweisbar. Durch eine strukturelle Übereinstimmung von Bestandteilen der Viren mit molekularen Strukturen der Keratinozyten kommt es zu einem Mimikry-Effekt und zu einer Kreuzreaktivität zwischen Virusepitopen und körpereigenen Geweben.
Für die Erstellung der Verdachtsdiagnose empfiehlt sich eine exakte Anamnese, die endgültige Abklärung muss aber auch hier mittels Biopsie und anschließender histopathologischer Beurteilung erfolgen. Da besonders der retikuläre Typ große Areale umfassen kann, müssen wegen einer möglichen inhomogenen Differenzierung der Läsion multiple Gewebeproben entnommen werden.
Antiphlogistische und immunsupprimierende Glukokortikoide
Die Therapie erfolgt, besonders bei den erosiven Varianten, mittels antiphlogistischen und immunsupprimierenden topischer Glukokortikoide in Form von Haftsalben oder eingebettet in Lipid-Mikrosphären.
Alternativ kommen in einigen Fällen auch Retinoide und lokale Spülungen mit Cyklosporin A zum Einsatz, in schweren Fällen kann eine systemische Behandlung erforderlich werden. Cyklosporin A hemmt inflammatorische Zytrokine und Calcineurin/Calmodulin und damit einen Signalweg der T-Lymphozytenaktivierung. In jedem Fall sind auch bei noch benignem OLP engmaschige Kontrollen notwendig, um eine mögliche malig- ne Transformation frühzeitig zu erkennen.
DDr. Christa Eder, Wien
(wird fortgesetzt)
Lesen Sie dazu auch Teil 1: Frühdiagnose verhindert orale Karzinome