Was wir nicht wollen dürfen, ist ein staatliches Gesundheitssystem. Verglichen mit einem nationalen Gesundheitssystem wie beispielsweise in England hat sich die Selbstverwaltung in Deutschland bewährt, was Versorgungssicherheit und Wartezeiten angeht. Doch vor einigen Jahren ist Sand ins Getriebe geraten. Es läuft nicht mehr rund. Ein Hauch von Hybris liegt in der Luft. Ein schönes Beispiel hierfür ist die elektronische Gesundheitskarte. 2006 sollte sie eingeführt werden. Heute schreiben wir den November 2018. Und die Standesvertreter alle so: Das war ich nicht, das war schon kaputt. Oder wörtlich die Vorsitzende der KV Thüringen, Dr. Annette Rommel: „Für mich ist es unerträglich, mit welcher Arroganz die Industrie hier den Ärzten und Psychotherapeuten den Schwarzen Peter zuschiebt“, zitiert sie der „Ärztenachrichtendienst“. Bitte wer? Die Industrie ist schuld? KBV-Vorstand Dr. Thomas Kriedel stößt ins selbe Horn: „Ärzte und Psychotherapeuten zwingen zu wollen, eine Konnektorbestellung verbindlich zu vereinbaren, auch wenn es gar keine passenden Angebote für alle gibt, ist nicht akzeptabel.“ Nur zur Erinnerung: Vier Wirtschaftsunternehmen sind in Vorleistung gegangen, um den überschaubaren Markt des Gesundheitswesens mit TI-Konnektoren zu versorgen. Zugelassen werden sämtliche TI-Komponenten von der Gematik – Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH. Sie wurde 2005 von den Spitzenorganisationen des deutschen Gesundheitswesens gegründet. Aha, hat man hier vielleicht den Bock zum Gärtner gemacht? In 13 Jahren ist nicht viel Konkretes zustande gekommen. In der Industrie wäre ein solches Unternehmen heute längst insolvent. Zwei Konnektoren sind mittlerweile zugelassen, zwei weitere warten noch. Die Hersteller würden lieber heute als morgen ausliefern und Geld verdienen. Der Verhinderer ist jedenfalls nicht die Industrie. In den gemütlichen FDP- und Gröhe-Jahren konnte sich die Selbstverwaltung das Aussitzen offensichtlich leisten.
„Wenn ich eines nicht leiden kann, dann ist es eine Selbstverwaltung, die nicht funktioniert“, sagte der amtierende Gesundheitsminister Jens Spahn kürzlich in Berlin. In einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ fügte Spahn hinzu, dass seine Geduld mit der Selbstverwaltung endlich sei: „Deshalb meine klare Ansage: Wenn die Selbstverwaltung nicht liefert, werde ich das Parlament öfter als bisher bitten, uns im Gesundheitsministerium entscheiden zu lassen.“ Das klingt nicht nach einem Weiter so. Doch die Standesvertreter haben den neuen Ton anscheinend noch nicht in aktives Handeln umsetzen können. Stattdessen Gemaule und Forderungen. Gewinnt Spahn die Wahl zum CDU-Vorsitz, werden auch keine Zeiten wie unter Gröhe zurückkehren. Der Merkel-Vertraute, Kanzleramtschef und Bundesminister für besondere Aufgaben Helge Braun wäre ein Nachfolgekandidat für Spahn, der sich dringend für eine nahende Post-Merkel-Ära positionieren müsste. Der studierte Humanmediziner kennt das Gesundheitswesen aus eigener praktischer Arbeit. Braun gilt als Problemlöser – und Probleme löst man nicht mehr, indem man sie aussitzt. Allen Verweigerern bleibt nur die Hoffnung auf Neuwahlen und ein FDP-geführtes Gesundheitsministerium.