Von einer konzertierten Aktion ist nicht die Rede, aber die Zeichen in Sachen rein zahnmedizinischer Versorgungszentren (Z-MVZ) stehen auf Sturm. Da sind zum einen die jüngsten Reaktionen der Standesvertreter auf den Entwurf des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG). Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZBV) applaudierten brav und in sparsamen Worten in eigenen Pressemitteilungen über die angekündigten Neuerungen wie Erhöhung des Festzuschusses für Zahnersatz, die Abschaffung der Punktwertdegression und die Ausweitung der Mehrkostenvereinbarung nach GOZ auf den kieferorthopädischen Bereich.
Doch dann folgt jeweils wortreicher eine beklagte Leerstelle im Gesetzentwurf: „TSVG: Ein guter Schritt, aber an entscheidender Stelle nicht“, heißt es bei der BZÄK und die KZBV schießt frontal „Ausverkauf tradierter Praxisformen stoppen!“. Der Bezug zum TSVG findet sich dann im Kleingedruckten.
Im Gesetzentwurf fehlt der politische Wille, Z-MVZ zu verhindern, zu verbieten oder einzuschränken. Das kommt nicht gut an. Die BZÄK appelliert an die Politik, die „Zahnärzte sind sich einig, dass arztgruppengleichen MVZ die gesetzliche Grundlage entzogen“ werden müsse, da die MVZ-betreibenden Großinvestoren Freiberuflichkeit, Versorgungsqualität und die Versorgung in ländlichen Regionen bedrohten. Der Vorstandsvorsitzende der KZBV, Dr. Wolfgang Eßer, lässt sich fast augurenhaft zitieren: „Leidtragende sind letztlich die Patienten, deren Versorgung einem ungezügelten Gewinnstreben untergeordnet wird. Wir beobachten diese fatale Entwicklung mit wachsender Sorge und fordern den Gesetzgeber deshalb erneut auf, entschlossen zu handeln und die Zerstörung tradierter Praxisstrukturen wirkungsvoll zu unterbinden!“
Z-MVZ im Visier
Zum anderen wendet sich die KZV-BW-Vorstandsvorsitzende Dr. Ute Maier, ausgestattet mit vielen Fakten und Argumenten in Sachen Z-MVZ, an ihren Landesminister Manfred Lucha. In einem offenen, gut vierseitigen Brief fordert sie das Ende reiner Z-MVZ. Ihre Argumentation ist stringent. Allein in Baden-Württemberg sind demnach 80 Z-MVZ seit 2015 entstanden. Die Einführung arztgruppengleicher MVZ sollte nach politischen Vorstellungen die Versorgung im ländlichen Bereich sichern. Das Gegenteil ist der Fall. Die Z-MVZ entstehen in den Städten und Ballungsräumen – das war eigentlich vorhersehbar. Waren es anfangs vorrangig Zahnärzte, die Z-MVZ gründeten, sind es mittlerweile Groß- und Finanzinvestoren, die profitorientiert in den Gesundheitsmarkt eintreten. Die Hälfte der Z-MVZ sind, so Maier, bereits Teil einer Kettenstruktur.
Sie konstatiert zwei Entwicklungen, die sie besorgten: Das eine ist die Entwicklung, dass Zahnärzte vermehrt im Angestelltenverhältnis arbeiten wollen, statt eine Praxis auch im ländlichen Raum zu gründen. In BW sei die Zahl der angestellten Zahnärzte in den vergangenen vier Jahren um 47 Prozent angestiegen, belegt Maier eindrucksvoll. Das sind 21 Prozent aller Zahnärzte in Baden-Württemberg. Diese Entwicklung geht von den jüngeren Zahnärzten aus. In der Altersgruppe bis 35 Jahren haben sich nur etwa 30 Prozent für die Gründung einer eigenen Praxis entschieden. In dieser Altersgruppe arbeiten 78 Prozent der weiblichen Zahnärzte in Anstellung.
Maiers zweite Sorge fokussiert eine Verhaltensveränderung bei den Patienten. Auch sie verstärkten die Nachfrage in den Städten und Ballungsräumen, da sie ihre Zahnärzte verstärkt in Arbeitsplatznähe suchten und nicht wie früher wohnortnah. Damit wird die Wirtschaftlichkeit einer ländlichen Praxis bedroht und die Niederlassungswilligkeit noch stärker geschwächt. Das geht zulasten der weniger mobilen Menschen – vor allem der älteren Generation.
Maier formuliert Kernforderungen an die Politik, um „Schaden für die Versorgungssituation im (zahn-)medizinischen Bereich abzuwenden“. MVZ sollten künftig nur noch fachübergreifend erlaubt sein. Und Fremdinvestoren solle der Zutritt in das Gesundheitswesen verwehrt sein. „Ohne eine solche gesetzliche Regelung wird der Vergewerblichung der medizinischen Versorgung und der Heilberufe ungehindert Vorschub geleistet“, fürchtet Maier.
Ursache, Wirkung – Wirkung, Ursache
Die Analyse von Maier ist bestechend. Doch lässt sich der Lauf der Dinge einfach durch gesetzliche Verbote aufhalten? Junge Zahnärzte wollen offensichtlich zum großen Teil keine eigene Praxis gründen. Status und ein sehr hohes Einkommen haben an Bedeutung verloren. Das ist in anderen Wirtschaftszweigen ähnlich: Hochqualifizierte lassen sich auch kaum mehr mit einem „Dienstwagen“ oder Ähnlichem locken. Entscheidend bei beruflichen Entscheidungen sind zunehmend weichere Faktoren, die meist mit den Wortkonstrukten Vereinbarkeit-von-Beruf-und-Familie und Work-Life-Balance beschrieben werden. Und nein, Frau will nicht wieder an Heim und Herd. Zudem gehen die Beschäftigten lieber mal eben in der Mittagspause zum Zahnarzt, da der zu Hause schon geschlossen hat, wenn sie an ihren Wohnort zurückkehren. Die von BZÄK, KZBV und von Ute Maier formulierten Probleme sind real. Aber „Früher war alles besser“ ist kein Lösungsansatz. Für neue Fragestellungen müssen neue Lösungen gesucht werden. Konstruktive Ansätze fehlen bislang. Ganz ohne Z-MVZ wird der Wunsch nach Angestelltsein schwer erfüllbar. Die Tendenz zur Landflucht lässt sich nicht durch Verordnungen stoppen. Gestalten ist allemal besser, als etwas bewahren zu wollen, was es so nicht mehr gibt.