Vor rund drei Jahren beschloss Winnie Skupin, ihrem Leben neuen Schwung zu verleihen. Sie kündigte ihren Job als Zahnärztin in Dubai, wurde Zahnfee und verband Angenehmes mit Nützlichem. Während ihrer Weltreise war sie ehrenamtlich für die Rolling Clinic der German Doctors auf den Philippinen im Einsatz. Mit der DZW sprach sie über Feenflügel, medizinische Herausforderungen und den Sinn in ihrem Leben.
Wie ist die Idee zu „The Tooth Fairy Travels“ entstanden?
Winnie Skupin: Den ersten Gedanken an eine Weltreise habe ich verworfen, denn eigentlich ist man als Backpacker ja ein wenig jünger. Einige schlaflose Nächte später habe ich mich doch dafür entschieden und stolperte auf Facebook über die German Doctors. Dann kam die Idee, einen Blog zu schreiben. Nicht einen der tausend typischen Reiseblogs. Ich wollte über Dinge schreiben, die mich emotional bewegen. Damit war die Idee zu „The Tooth Fairy Travels“ geboren. Da war es nur logisch, dass ich auch ein paar Feenflügel dabeihaben musste.
Wie organisiert man eine solche Reise?
Skupin: Das Einzige, was ich geplant habe, war der Hinflug auf die Philippinen. Die Reise verlief spontan. Sich immer wieder neu zu orientieren hat mir Spaß gemacht und war manchmal ganz schön herausfordernd. Die sechswöchigen Einsätze in der Rolling Clinic werden von den German Doctors sehr genau geplant. Alles, was man als Zahnarzt benötigt, war dabei. Naja, natürlich nicht eine hochmoderne Ausrüstung, aber ein Plastikstuhl für die Patienten, Anästhetika, Instrumente, Schmerzmedikamente und Antibiotika, etwas Nahtmaterial für den Notfall und nette Assistenten. Ich habe während meiner Reise nur für diese Organisation gearbeitet, da es nicht so einfach möglich ist, irgendwo mit Instrumenten aufzutauchen und zu behandeln.
Warum gerade German Doctors?
Skupin: Ich spielte schon lange mit dem Gedanken, etwas von meinem Glück zurückzugeben und irgendwann mal für eine Nichtregierungsorganisation zu arbeiten. Ich recherchierte ein wenig auf der Homepage der Organisation, und meine Bewerbung war unterwegs. Die Projekte klangen interessant. Auch das unkomplizierte Bewerbungsverfahren sprach für die German Doctors. Ich wollte auch in Zentralamerika ehrenamtlich arbeiten. Leider habe ich nur Organisationen gefunden, die von freiwilligen Helfern 500 Dollar pro Woche verlangen. Das hat mich ganz schön geschockt. Meine Meinung: Volunteers sollten nicht dafür zuständig sein, nichtstaatliche Organisationen zu finanzieren.
Die Zahnfee stammt aus dem westlichen Kulturkreis. Können die Menschen weltweit etwas mit ihr anfangen?
Skupin (lacht): In anderen Ländern nennt man sie nur anders. In Mexiko gibt es zum Beispiel die Zahnmaus.
Was sieht man mit den Augen einer Zahnfee?
Skupin: Natürlich sehr viel Leid und Armut. Unterernährte Kinder sind ein normales Bild. Das ist mir unter die Haut gegangen und treibt mir auch jetzt noch Tränen in die Augen. Aber als Zahnarzt im Einsatz muss man das schnell verdauen, denn man ist ja vor Ort, um Hilfe zu leisten. Mangelndes Wissen in Sachen Hygiene, Ernährung oder Verhütung macht die Arbeit nicht leichter. Die German Doctors leisten Aufklärung und versuchen, nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“ auf lange Sicht Veränderungen zu bewirken. Unsere Patienten hörten immer aufmerksam zu, bevor es mit den eigentlichen Behandlungen losging. Mich beeindruckte, dass diese Menschen, die unter dermaßen schlechten Bedingungen leben, versuchen, aus ihrer Situation das Beste zu machen. Es wurde viel gelacht, und die Patienten bedankten sich für unsere Arbeit. Die Kinder spielen im Dreck mit den einfachsten Dingen und sind glücklich. Der Zustand der Zähne ist allerdings katastrophal! Mangelnde Mundhygiene spielt eine Rolle und Süßigkeiten, die viel preiswerter sind als die Grundnahrungsmittel. Ein Lolli um 9 Uhr morgens im Mund eines Zweijährigen – ein normales Bild, denn Mama muss sich in der Regel um fünf bis zehn Kinder kümmern und ist froh, wenn ein Kind für den Moment ruhig ist. Zahnbürsten sind Luxus, den sich viele Menschen nicht leisten können.
Was ist der Unterschied für den Patienten, wenn nicht die Zahnärztin kommt, sondern die Zahnfee?
Skupin: Im Grunde keiner. Meine Feenflügel habe ich nur manchmal aus Spaß aufgesetzt. Sie sind auf Dauer aber doch etwas hinderlich bei der Arbeit.
Wie reagieren Kinder? Wie reagieren Erwachsene?
Skupin: Mit einem Lachen im Gesicht. Sowohl philippinische Erwachsene als auch die Kinder sind sehr mutig, wenn es ums Zähneziehen geht. Da muss man eben durch. Es wird selten geweint. Alle waren froh, Hilfe zu bekommen, und warteten oft über Stunden in der Hitze.
Warum die Challenges? Man könnte ja auch einfach so Spenden sammeln …
Skupin: Leute sind heute schwerlich davon zu überzeugen, für einen guten Zweck zu spenden. Also dachte ich, dass die Motivation mit ein wenig Spaß eventuell höher sei. Aber auch das ist schwierig.
Was war die schlimmste Challenge?
Skupin: Das Essen von Balut, einem 14 Tage alten, angebrüteten Entenei. Ein preiswertes Essen auf den Philippinen. Da meine Spende an das Mindanao-Projekt ging, dachte ich, es sei eine passende Idee. Leider löste diese Challenge eine Welle der Empörung auf der Facebook-Seite der German Doctors aus. Ich kann dazu nur sagen: andere Länder, andere Sitten.
Welche Herausforderungen bot die Arbeit in der rollenden Klinik?
Skupin: Keine Absaugung am Stuhl, Wattebällchen statt herkömmlicher Tupfer, schlechte Sicht, Zähne fliegen in eine Pappkiste. Später war ein Unimog als rollende Klinik im Einsatz. Er hat eine Zahnarzt-Behandlungseinheit an Bord und wird mittlerweile in einem Projekt auf Luzon eigesetzt. In der Regel werden schmerzende Zähne gezogen. Im Unimog können auch andere kleinere Behandlungen vorgenommen werden.
Sind Sie mal in eine Situation geraten, die medizinisch brenzlig war?
Skupin: Ich wollte einer Patientin drei Molaren im Unterkiefer ziehen. Nachdem ich zwei entfernt hatte, bemerkte ich eine starke Blutung. Ich ließ die Patientin auf einen Wattebausch beißen. Eine halbe Stunde später blutete es immer noch heftig, und auch ein erneuter Wechsel und weitere 30 Minuten Warten änderten nichts. Also entschloss ich mich, die Wunde zu nähen. Als ich den Wattebausch entfernte, konnte ich die Ränder der Wunde vor lauter Blut kaum erkennen. Das kann einen schon nervös machen, aber man muss ruhig bleiben. Sogar nach drei Nähten blutete es immer noch! Ich musste eine komplette Ampulle Adrenalin aufbrauchen, um die Blutung zu stoppen. Dann gab es einen Patienten mit einer riesigen Schwellung im Mund- und Halsbereich. Der Unterkiefer konnte nicht mehr ertastet werden. Ihn davon zu überzeugen, schnellstmöglich in ein Hospital der German Doctors zu gehen, war nicht einfach. Andere Dinge, wie die Versorgung seiner Familie und seiner Schweine, waren wichtiger, und der Transport musste organisiert und bezahlt werden. Erst drei Tage später tauchte er auf. Das hätte anders ausgehen können.
Was nehmen Sie für Ihre Arbeit als Zahnärztin mit?
Skupin: Man kann heute in Sachen Ästhetik in der Zahnmedizin so viel erreichen. Aber manchmal stelle ich mir die Frage, ob nicht häufig überbehandelt wird. Der Aspekt der medizinischen Hilfe ist für mich viel wichtiger. Es geht doch nicht nur darum, Geld zu verdienen, sondern mit dem, was man kann, etwas Sinnvolles anzustellen. Dürfte ich es mir aussuchen, würde ich viel häufiger für eine Hilfsorganisation arbeiten, aber leider brauche auch ich Geld zum Leben.
Was ist das Fazit Ihrer Reise? Würden Sie es noch einmal tun?
Skupin: Es war die beste Entscheidung und Zeit meines Lebens, und ich bereue keine Sekunde davon, auch wenn ich jetzt erstmal pleite bin (lacht). Es ist schwieriger als erwartet, von einer zweieinhalbjährigen Reise in die Normalität zurückzukehren. Wenn man sein Leben auf ein Minimum reduziert hat, fällt es schwer, sich wieder in die Konsumgesellschaft einzuordnen. Es geht viel zu oft darum, was man sich als Nächstes zulegt. Der humane Aspekt geht verloren. Ich möchte nicht das Leben anderer kritisieren, aber ich habe meine Wertevorstellungen in eine andere Richtung gelenkt, meine Augen wieder geöffnet für Dinge, die wir in unserem hektischen Leben nicht mehr sehen und die doch so wichtig sind: Menschlichkeit, Mitgefühl und Liebe. Auch die kleinen Momente wieder genießen lernen, mal anhalten, durchatmen und sich dadurch lebendig fühlen. Nicht nur zur Arbeit hetzen, den ganze Tag unter Strom stehen, um sich das nächste Auto leisten zu können und dann doch am Ende seines Lebens zusammenzubrechen. Jeder muss für sich selbst entscheiden, was wichtig ist. Wo mich mein Leben noch hinführt, werde ich sehen.
Zur Person
Winnie Skupin (45) wurde in Döbeln (Sachsen) geboren. Sie studierte Zahnmedizin in Dresden und hat von 2000 bis 2006 in Nordrhein-Westfalen und Bayern praktiziert. Bevor sie im August 2015 ihr Hab und Gut verkaufte und ihre Reise antrat, war sie in Dubai tätig.
Aktion - die Zahnfee herausfordern!
Winnie Skupin unterstützt die Hilfsorganisation German Doctors, die deutsche Ärzte in Projekte auf den Philippinen, in Indien, Bangladesch, Kenia und Sierra Leone entsendet. Mehr als 30 Jahre versorgte die Organisation Menschen auf Mindanao, der zweitgrößten Insel der Philippinen, medizinisch mit ihren Rolling Clinics. Aufgrund der zugespitzten Gefährdungslage wurde das Projekt geschlossen und ein neues auf Luzon eröffnet. Auf ihrem Blog können Leser die Zahnfee zu verschiedenen Challenges herausfordern. Jede Challenge ist mit einem Spendenziel verbunden. Wird dieses erreicht, nimmt die Zahnmedizinerin die Herausforderung an und berichtet anschließend darüber. Informationen gibt es auf der Seite der German Docotors oder www.thetoothfairytravels.com. Hier berichtet Winnie Skupin über den Hilfseinsatz.