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Koalitionsvertrag im Urteil der Bundestagsfraktionen: Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Koalitionsvertrag

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Gesundheit und Pflege: Fünf Fragen – fünf Antworten. Teil 6 – Maria Klein-Schmeink für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Die DZW hat die gesundheitspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen nach ihrer Meinung zum Bereich „Gesundheit und Pflege“ im Koalitionsvertrag befragt. Die Antworten publizieren wir hier als lose Folge. Die Fragen stellte DZW-Redakteur Dr. Helge David.

 

Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Wohin führt die vereinbarte Kommission zur Einführung einer gemeinsamen Honorarordnung für GKV und PKV?

Maria Klein-Schmeink: Laut Koalitionsvertrag wird die Kommission Vorschläge für ein modernes Vergütungssystem vorlegen. Von einer gemeinsamen Honorarordnung ist gar nicht die Rede. Ob die Vorschläge umgesetzt werden, wird erst entschieden, wenn sie vorliegen.

Es ist möglich, dass diese Kommission nirgendwo hinführt. Weder die gesetzliche noch die private Krankenversicherung sind an einer gemeinsamen Honorarordnung interessiert. Eine gemeinsame Honorarordnung wäre auch ein komplett falsches Signal im Hinblick auf die Bürgerversicherung. Am Kernproblem der ungerechten Finanzierung würde sich überhaupt nichts ändern. Im Gegenteil, die gesetzlich Versicherten müssten höhere Lasten tragen. Ein gemeinsames Honorarsystem ist als Teil einer Bürgerversicherung sinnvoll, sollte aber nicht isoliert eingeführt werden.

Im Koalitionsvertrag gibt es bereits einige Vorschläge zur Vergütung. So sollen die hausärztliche Versorgung und die sprechende Medizin besser vergütet werden. Es ist vorstellbar, dass eine Einzelleistungsvergütung für einige Bereiche auch in der GKV oder eine Aufhebung der Budgetierung für einige Leistungen der GKV vereinbart werden.

Stefan Etgeton von der Bertelsmann-Stiftung erklärte in einem Spiegel-Interview, die PKV habe jetzt nur eine „Gnadenfrist“ erhalten. Was meinen Sie, kommt die Bürgerversicherung und welche Vor- und Nachteile hätte Sie?

Klein-Schmeink: Die Bürgerversicherung wird kommen, wenn auch nicht in dieser Legislaturperiode. Sie hat einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung, die Zahl der privat Versicherten sinkt und die PKV hat auch nicht mehr den allerbesten Ruf. Insbesondere im Alter können viele privat Versicherte sich die exorbitanten Beiträge kaum noch leisten. Auch für die Versicherungsunternehmen gehört die Krankenvollversicherung nicht zu den lukrativsten Geschäftszweigen.

Wenn sie richtig gemacht wird, hat die Bürgerversicherung keine Nachteile. Die Finanzierung wird gerechter und wesentlich nachhaltiger, Gutverdienende können sich nicht mehr aus der Verantwortung stehlen. Das ist ein nicht zu unterschätzender Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Kassenwettbewerb bleibt selbstverständlich erhalten, Versicherungsunternehmen, die bisher private Krankenversicherungen angeboten haben, können auch die Bürgerversicherung anbieten. Fehlanreize in der Versorgung wie die überhöhte Ärztedichte in Gebieten mit vielen privat Versicherten und die entsprechende Unterversorgung dort, wo die Ärzte gebraucht werden, würden beseitigt. Und nicht zuletzt würde die unterschiedliche Behandlung gesetzlich und privat Versicherter bspw. bei den Wartezeiten beendet.

Wo liegen für die Stärken und wo die Schwachpunkte zum Thema Gesundheit & Pflege im Koalitionsvertrag?

Klein-Schmeink: Ein Einstieg in die Bürgerversicherung fehlt leider komplett. Statt auf die Angleichung der Ärztehonorare zu beharren, hätte die SPD sich für die echte Wahlmöglichkeit für Beamte einsetzen sollen, so wie es in diesem Jahr in Hamburg umgesetzt wird.

Dass sich die Arbeitgeber wieder zur Hälfte an den Krankenkassenbeiträgen beteiligen müssen, ist ein wichtiger und überfälliger Schritt für eine gerechtere Finanzierung der Gesundheitskosten. Es fehlen jedoch dringend notwendige, durchgreifende Verbesserungen für die Patientinnen und Patienten, konkrete Schritte für bessere Versorgungsstrukturen und bessere Arbeitsbedingungen für die Fachkräfte im Gesundheitswesen. Vieles wird zwar angesprochen, letztendlich bleibt es aber beim Drehen an zu kleinen Stellschräubchen oder bei neuen Kommissionen. Das gilt für die psychischen Erkrankungen, die Geburtshilfe, die Hospiz-und Palliativversorgung und die wichtigen Themen der besseren Vernetzung im Gesundheitswesen. Eklatant am Notwendigen vorbei sind das Mini-Sofortprogramm für die Altenpflege und die Beibehaltung des Prinzips der Untergrenzen im Krankenhaus.

Verfolgt der Koalitionsvertrag im Bereich Pflege die richtige Strategie, Pflegeberufe attraktiver zu gestalten, Kinder pflegebedürftiger Eltern zu entlasten, ein Sofortprogramm für zusätzliche Fachkräfte aufzusetzen?

Klein-Schmeink: Die Ziele sind richtig, aber die Wege dorthin sind falsch. 8.000 zusätzliche Stellen in der Altenpflege sind nicht mal eine Stelle pro Pflegeeinrichtung. Das ist lächerlich wenig angesichts des Pflegenotstands. Wir hätten aus dem Pflegevorsorgefonds sofort 25.000 zusätzliche Fachkräfte in der Altenpflege finanziert.

Die „Konzertierte Aktion Pflege“ ist eine gute Sache, es bleibt aber abzuwarten, inwieweit sich dadurch die Arbeitsbedingungen wirklich verbessern, da die Vorschläge größtenteils wenig konkret sind. Die Ausweitung der tariflichen Bezahlung von Pflegekräften ist ebenfalls eine gute Sache, auch hier bleibt jedoch abzuwarten, was am Ende dabei herauskommt. Und in der Altenpflege gibt es kein eindeutiges Bekenntnis zur Dynamisierung der Leistungsbeträge, so dass eine bessere Vergütung der Pflegekräfte an den Pflegebedürftigen hängenzubleiben droht.

Die Anhebung des Freibetrags für Kinder pflegebedürftiger Eltern auf 100.000 Euro im Jahr ist eine reine Symbolhandlung, die pflegende Angehörige beschwichtigen soll. Viel wichtiger wären hier ein sehr viel entschiedenerer Ausbau der pflegerischen Infrastruktur und eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf gewesen.

Wird die Versorgungssicherheit auf dem Land gewährleistet? Durch das Verbot des Versandhandels verschreibungspflichtiger Arzneimittel? Durch Zuschläge für Ärzte in unterversorgten Regionen?

Klein-Schmeink: Das Problem ist erkannt, wie einzelne Vorschläge zur sektorübergreifenden und zur ambulanten Versorgung sowie zu Krankenhäusern und Gesundheitsberufen und auch zur Digitalisierung zeigen. Wobei es um Versorgungssicherheit generell gehen sollte, nicht nur auf dem Land, sondern auch bspw. in bestimmten Stadtteilen. So richtig konkret wird der Koalitionsvertrag dann aber doch selten, vieles bleibt im Ungefähren oder wird wieder mal in eine Kommission bzw. Bund-Länder-Arbeitsgruppe ausgelagert. Das ist zu wenig, zumal Vorschläge zu einer Verbesserung der Versorgung seit Jahren vorliegen, u.a. in mehreren Gutachten des Sachverständigenrates.

Das Versandhandelsverbot ist absurd und wird weder die Versorgung verbessern noch die Probleme bei der Vergütung der Apotheker lösen.