Verheißung oder Bedrohung? In unserem Alltag ist die Künstliche Intelligenz (KI) angekommen, im Gesundheitswesen führt KI zur disruptiven Änderung von Arbeitsabläufen, Berufsbildern und Geschäftsmodellen. „Künstliche Intelligenz in der Medizin: Vision – Hype – Realität“ war entsprechend Keynote-Thema auf dem Deutschen Zahnärztetag 2019.
Überblick und Einordnung lieferte der „Papst der KI in Deutschland“, Prof. Wolfgang Wahlster, Chief Executive Advisor des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI). Was ist KI? Die Realisisierung von intelligentem Verhalten und den zugrundeliegenden kognitiven Fähigkeiten auf digitalen Computern, zentral dabei, „der Verstehensbegriff, das tun Computer nämlich eigentlich nicht, sie lesen und stellen dar“.
"Zahnärzte sind da sehr fortschrittlich"
In der ersten, inzwischen abgeschlossenen Welle der Digitalisierung sei es rein um Erfassen, Speichern, Übertragen und Verarbeiten maschinenlesbarer Daten gegangen. „Das läuft seit vielen Jahren, Zahnärzte sind da sehr fortschrittlich“, bescheinigte er der Zunft.
"KI macht aus unstrukturierten Big Data strukturierte Smart Data"
Jetzt komme die zweite Welle „wie ein Tsunami“, die durch die erste Welle verfügbaren riesigen Datenmengen würden durch neue KI-Verfahren verstanden, veredelt, aktiv genutzt und monetarisiert. Mit KI würden aus unstrukturierten Big Data strukturierte Smart Data mit sinnvoll aufbereiteten Informationen. Bisher habe der Mensch die Daten interpretiert. Mit der zweiten Welle würden die digitalen Daten von KI-Systemen interpretiert, wichtig dabei: die Erklärungsfähigkeit des Systems, sodass sich der verantwortliche Arzt von der Korrektheit überzeugen kann.
Smart Diagnosis, Smart Surgery, Smart Service
KI und Big Data sieht Wahlster als „Turboantrieb“ für intelligente Dental-Plattformen: Smart Diagnosis, Smart Surgery, Smart Service. KI-Assistenzsysteme böten Unterstützung von körperlicher Arbeit – durch kollaborierende Roboter – und von geistiger Arbeit – durch kognitive KI-Systeme.
„Auf Dauer wird Druck entstehen, dass man KI einsetzt“
Aktuell wachse der Markt sehr stark: Bis zum Jahr 2025 soll der KI-Markt im Gesundheitswesen von derzeit zwei Milliarden US-Dollar auf 36 Milliarden wachsen. „Auf Dauer wird Druck entstehen, dass man KI einsetzt“, prognostizierte Wahlster, 57 Prozent der Bevölkerung seien beispielsweise dafür, diese Systeme als automatisierte Zweitmeinung in die Untersuchung mit einzubeziehen.
Als Beispiele für die Zahnmedizin nannte er unter anderem KI-gestützte Karieserkennung und Implantat-Planungsprozesse,
Augmented-Reality-Brillen, die dem Zahnarzt im richtigen Moment Zusatzinformationen anböten, oder die erste vollautomatische Dental-OP, die 2017 in China stattfand. Bereits „in wenigen Jahren“ sieht er KI-basierte Sprachdialogsysteme in den Praxen – „man wird Daten abrufen können, ohne sich die Handschuhe ausziehen zu müssen“ – und im Patientendialog.
Verschiedene Dimensionen von Intelligenz
Die Angst, dass der Mensch eines Tages von der Maschine „übernommen“ wird, teilt Wahlster nicht und hält das für ein Märchen aus der Frankenstein-Welt. Intelligenz habe neben der kognitiven auch eine sensomotorische und sozial-emotionale Dimension. Seine Prognose: „Der (Zahn)Mediziner kann und soll nicht ersetzt werden, aber sein Berufsbild wird sich ändern“.
Katrin Ahmerkamp