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Medizinethik: Warum der Zahnarzt kein Verkäufer sein darf

Noch nie hatten die Menschen in den westlichen Ländern so gesunde und so wenig behandlungsbedürftige Zähne wie heute. Betrachtet man jedoch den Alltag in der Zahnarztpraxis, so ist von dieser verminderten Behandlungsbedürftigkeit nichts zu spüren. Im Gegenteil entsteht der Eindruck, als hätten Zahnärzte heute mehr zu tun als je zuvor.

Gleichzeitig ist die Zufriedenheit moderner Menschen mit ihren Zähnen nicht etwa gestiegen, sondern eher gesunken. Viele moderne Menschen mögen ihre Zähne, so funktionsfähig sie auch sein mögen, nicht so, wie sie sind. Sie wollen hellere Zähne haben, gleichmäßigere Zähne, kleinere Zähne, größere Zähne, schönere Zähne. Fast scheint es, als gäbe es kein natürliches Gebiss mehr, das nicht von einer ästhetischen Aufbesserung profitieren könnte.

Der frühere Zahnarzt, der sich für die Behandlung von kranken Zähnen zuständig fühlte, wird im Zuge dieser neuen Erwartungen an die Zahnmedizin zunehmend zu einem Dienstleistenden, der nicht mehr für kranke, sondern vor allem für gesunde Zähne zuständig ist, die nach Form, Größe und Farbe dem je individuellem Geschmack angepasst werden sollen. Soll sich der Zahnarzt tatsächlich als Spezialist für die Schönheit der Zähne fühlen? Wo liegen die Grenzen eines solchen neuen Verständnisses von Zahnarzt?

Dem Arzt wird vertraut, nicht dem Verkäufer

Nicht umsonst steht in der Berufsordnung der Zahnärzte explizit „Die Zahnmedizin ist kein Gewerbe“, denn nur wenn der Patient davon ausgehen kann, dass er zu einem Arzt und nicht zu einem Verkäufer geht, wird er diesem Arzt und seinem Ratschlag auch vertrauen. Und doch läuft die moderne Zahnmedizin Gefahr, zunehmend zum Gewerbe zu werden. Das zeigt sich allein daran, dass nicht nur allerorten Marketing-Seminare für Zahnärzte angeboten werden, sondern dass selbst auf wissenschaftlichen Kongressen vermeintlich wissenschaftliche Workshops angeboten werden mit dem Titel „Wie verkaufe ich meine Produkte am geschicktesten?“.

Jede grundsätzliche Kritik an Ästhetik ist bevormundend

Das wiederum kann nicht bedeuten, dass man Ästhetik in der Zahnmedizin einfach ablehnt. Das wäre die falsche Schlussfolgerung. Jede grundsätzliche Kritik an Ästhetik ist bevormundend, weil man damit von oben herab den Bürgern vorschreiben würde, was sie mit sich machen lassen dürfen und was nicht. Der einzelne Bürger wird es als illegitime Einmischung in sein Lebenskonzept empfinden, wenn eine Berufsgruppe sich zum Beispiel kategorisch gegen Ästhetik stark machen würde. Das wäre ein Extrem, das mit dem freiheitlichen Staat nicht vereinbar ist.

Trend: nicht auffallen durch Körpermodifikation

Man muss daher die ästhetischen Möglichkeiten auf der einen Seite tatsächlich als eine Form der Emanzipation des Menschen sehen – und doch darf man nicht einfach bei diesem Emanzipationspathos stehenbleiben und sich zum Beispiel darauf versteifen, vielfach Werbung für diese Maßnahmen zu machen, denn für den aufgeklärten Bürger ist es doch genauso wichtig, dass der größere Kontext mit reflektiert und auch vermittelt wird, damit nicht – wie beim Kaufen – ein Heilsversprechen gemacht wird, das nicht eingelöst werden kann.

Nicht Perfektion, sondern Normalität wird gesucht

Man muss hier den größeren Kontext sehen, denn wenn wir den gesamtgesellschaftlichen Trend zur Ästhetik und zur Körpermodifikation tiefergehend betrachten, so wird klar, dass es den meisten Menschen gar nicht darum geht, sich zu optimieren mit dem ästhetischen Eingriff. Den meisten Menschen geht es vielmehr darum, schlichtweg nicht aufzufallen. Der eigentliche Motor hinter vielen Eingriffen ist daher nicht das Bestreben nach der Perfektion, sondern das Streben nach Normalität. Deswegen ist auch der eigentliche Grund für die Zunahme der ästhetischen Eingriffe in der Zahnmedizin nicht die Lust am Optimieren, sondern vielmehr die Angst, nämlich die Angst, aus einem bestimmten Raster rauszufallen, die Angst, nicht als normal zu gelten (Maio, Giovanni: Enhancement und wunscherfüllende Medizin. In: Maio G: Mittelpunkt Mensch – Ethik in der Medizin. Ein Lehrbuch. Stuttgart: Schattauer, 2012, S. 321–334). Man spricht hier zu Recht von einer Denormalisierungsangst.

Vor diesem Hintergrund stellt sich daher erst recht die Frage, wie dieser Denormalisierungsangst vonseiten der Zahnmedizin angemessen begegnet werden kann. Manchmal kann der Eingriff hier tatsächlich angstlösend sein, manchmal aber lässt sich eine Stärkung des Selbstbewusstseins nicht durch Technik ersetzen oder bewirken. Diese Grenze im Gespräch mit dem Klienten herauszufinden, das wäre die eigentliche Leistung eines Zahnarzts, auch dann, wenn er Ästhetik betreibt.

Dem Patienten langfristig einen guten Dienst erweisen

Konkret bedeutet das, dass der gute Zahnarzt den Wunsch des Patienten nach einem ästhetischen Eingriff stets kritisch überdenkt. Er behandelt nicht einfach nach Wunsch, sondern erst, wenn er sich sicher ist, dass er mit seiner Behandlung auch langfristig dem Patienten einen guten Dienst erweist. Es kann hier nicht allein darum gehen, dass der Zahnarzt einfach bestimmte vom Patienten gewünschte Eingriffe schlicht ablehnt; es geht doch um die Frage, wie der Zahnarzt hier dem Patienten wirklich helfen kann. Er kann eben hier nur helfen, indem er ausführlich mit dem Patienten spricht, ihn nicht nur aufklärt, sondern sich auf ihn als Menschen einlässt.

Hier darf der Zahnarzt eben nicht nur Techniker sein, sondern er muss Arzt sein, und Arzt sein heißt, sich für den Menschen zu interessieren, den man behandelt, und nicht nur für das Organ, das man technisch behandelt. Aufgabe des Zahn-Arztes wäre also das Sich-Einlassen auf den Patienten, das Verstehen-Wollen und zugleich das Verdeutlichen-Wollen, warum der jetzt kurzfristige Schönheitseffekt manchmal auf Dauer zu teuer bezahlt sein könnte, wenn man dafür zum Beispiel gesunde Zahnsubstanz opfern müsste.

Berufsgruppe mit ethischen Grundsätzen

Will eben der Zahnarzt Arzt im eigentlichen Sinn sein, wird er in die Arzt-Patient-Beziehung investieren müssen, und er wird befähigt werden müssen, den langfristigen Erfolg dem kurzfristigen Scheineffekt vorzuziehen. Manchmal kann man mit Ästhetik tatsächlich helfen, und Ästhetik auch gut machen zu können, gehört zu den Grundaufgaben eines guten Zahnarztes, aber der invasive Eingriff sollte eben immer erst am Ende stehen und nicht von vornherein als Verheißung des Glücks gepriesen werden. Warum ist das so wichtig?

Nicht von den von den Patienten instrumentalisieren lassen

Es ist wichtig, dass die Zahnärzteschaft in ihrem eigenen Interesse sich als eine Berufsgruppe mit ethischen Grundsätzen zu erkennen gibt und sich auch von den Patienten selbst nicht instrumentalisieren lassen sollte. Der Patient von heute möchte in seinem Arzt eben doch beides haben: eine Person, von der man weiß, dass sie nach Prinzipien handelt, weil man nur einer solchen Person auch Vertrauen schenkt, und zugleich möchten viele Patienten aber auch einen Arzt, der genau das tun soll, was der Patient von ihm verlangt. Das aber ist ein Widerspruch; man kann nicht das eine und das andere haben wollen. Daher müssten Ärzte auch verdeutlichen, dass es bestimmte Dinge gibt, die ein Arzt einfach nicht macht, auch wenn sich das der Patient noch so sehr wünscht.

Das hart erkämpfte Vertrauen in die Professionalität nicht verspielen

Das Handeln nach Prinzipien, diese Grundhaltung müsste man den Ärzten neu beibringen, weil nur diese sie davor bewahrt, in das zurückzufallen, was die Zahnärzte einst waren, als sie ihre Dienste auf dem Marktplatz verkaufen mussten. Was haben Generationen von Zahnärzten alles getan, um sich vom Zahnschneider und Barbier abzugrenzen und sich mühevoll den Status einer vertrauenswürdigen Profession zu erwerben?! Daher wäre es tragisch, wenn man dieses hart erkämpfte Vertrauen in die Professionalität jetzt wieder verspielte. Jeder Patient, der einmal Zahnschmerzen hatte, wird wissen, wie sehr er auf einen Zahnarzt als Vertrauensperson angewiesen ist.

Technisches Handeln auf Wunsch ist kein ärztliches Handeln

Der Zahnarztberuf ist etwas Besonderes. Er ist ein Arzt-Beruf, und als solcher geht es ihm nicht allein darum, einen Zahn zu behandeln. Vielmehr geht es dem Arzt immer um etwas Ganzheitliches, um den gesamten Menschen. Wenn die Ästhetik auch nachhaltig dem gesamten Menschen dient, ist sie ein Segen, wenn sie nur als Technik auf Wunsch begriffen wird, kann nicht mehr von ärztlichem Handeln gesprochen werden. Daher muss gerade heute, in einer Ära der zunehmenden Marktorientierung der gesamten Zahnmedizin umso mehr darauf verwiesen werden, dass der Zahnarzt ein Arzt ist und kein Verkäufer werden darf.