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Medizinprodukteverordnung: Innovationsorientiert, praxis- und laborfreundlich

implantierbare Produkte
Dr. Martin Rickert

Unter dem Titel „Die neue Europäische Verordnung über Medizinprodukte (MDR) – Erste Informationen zur praktischen Umsetzung“ wurde die kommende Verordnung diskutiert. Im Folgenden erläutert Dr. Martin Rickert, Vorstandsvorsitzender des VDDI (Verband der Deutschen Dental-Industrie), worauf es bei den Neuregelungen ankommt und welche Relevanz sie für Praxen, Labors und die Dentalindustrie haben.

Verordnungen „aus Brüssel“, wie man es oft hört, gelten vielen als Synonym für Bürokratie. Bei der neuen Medizinprodukteverordnung handelt es sich um ein Beispiel, das uns alle in der Dentalbranche angeht. Darum haben wir uns mit dem VDDI bei der Erarbeitung für verschiedene Punkte starkgemacht, um die Innovationsdynamik zu befördern und die häufig gefürchtete bürokratische Last für Industrie, Praxen und Labore so gering wie möglich zu halten.

Insbesondere haben wir uns erfolgreich gegen eine Stimmung gewehrt, die im Gefolge des Brustimplantateskandals aufgekommen war: „Wenn ein Medizinprodukt mangelhaft ist, dann sind es womöglich auch alle anderen.“ Hier haben wir durch zahlreiche Maßnahmen, insbesondere eigene Stellungnahmen, gemeinsame Aktionen mit den anderen beteiligten Verbänden sowie verschiedene persönliche Gespräche mit EU-Politikern und Vertretern der Mitgliedstaaten die Emotionen aus der Diskussion herausnehmen können.

chirurgische Instrumente

Kein Implantate-Pass für Kronen, Brücken, Füllungen etc.

Besonders wichtig war es für alle Hersteller, dass die aufgrund des Brustimplantateskandals von vielen Politikern geforderte staatliche Zulassung von Medizinprodukten – ähnlich wie bei Arzneimitteln – vermieden werden konnte.

Eine weitere absolut vernünftige Regelung konnten wir in der neuen Medizinprodukteverordnung beispielsweise für den Bereich des sogenannten Implantate-Passes erreichen. Ursprünglich gab es Bestrebungen, dass für alle implantierbaren Produkte, also auch Kronen, Brücken, Füllungen etc., ein Implantate-Pass ausgestellt werden sollte. Dies hätte zur Folge gehabt, dass Zahnärzte und Zahntechniker für viele Materialien in der restaurativen Zahnheilkunde vom Hersteller einen „Implantate-Pass“ hätten verlangen müssen und bei Nichtvorlage diese Werkstoffe gar nicht weiter hätten einsetzen dürfen. Dagegen haben wir uns erfolgreich gewehrt mit der Folge, dass Ausnahmeregelungen, etwa für Füllungsmaterialien und Zahnkeramiken, festgelegt wurden.

Rückverfolgbarkeit verschärft

Was tatsächlich verschärft worden ist, betrifft vor allem die Rückverfolgbarkeit von Produkten (UDI – System der einmaligen Produktnummer), die klinischen Prüfungen und klinischen Bewertungen und bei letzteren die Dokumentations- und Nachweispflichten sowie die Beobachtung nach der Markteinführung. Das entspricht bei Medikamenten der Phase IV: Der Hersteller sammelt aktiv Erfahrungen und Daten aus der praktischen Anwendung und überprüft, ob womöglich Risiken auftreten, die in den ersten drei Prüfungsphasen nicht zutage getreten sind – eine absolut sinnvolle Neuregelung, die Praxen und Labors eine höhere Sicherheit gibt.

Erfolgreich gewehrt haben wir uns auch gegen verschiedene Bestrebungen aus den Mitgliedstaaten, wiederverwendbare chirurgische Instrumente in eine höhere Risikoklasse einzustufen. Dann hätten sie nur unter Einschaltung einer benannten Stelle (wie TÜV, Dekra) in den Verkehr gebracht werden dürfen, was kleinere Anbieter in Existenznöte gebracht und die Auswahlmöglichkeiten für den Zahnarzt aus unserer Sicht unnötig beschränkt hätte.

Diskussionen um Nanopartikel entschärft

Ein weiterer Diskussionspunkt war die Klassifizierungsregel 19 zu Nanomaterialien. Die Europäische Kommission und der Europäische Rat hatten sie zunächst in der Weise formuliert, dass alle Medizinprodukte, die entweder Nanomaterialien beinhalten oder freisetzen, als Klasse-III-Produkte und damit als gesundheitskritisch eingestuft werden sollten. Das hätte auch den minimalen Abrieb von Füllungsmaterialien, Abformmaterialien, jeder Brücke, jeder Spange oder sogar von Okklusionspapier (Shimstock-Folie) umfasst – Prothetik verboten? Selbst beim Abrieb an natürlichen Zähnen unter Kaubelastung entstehen Nanopartikel. Sind die gefährlich?

Wir haben uns in dieser Sache nach Brüssel gewandt, zum Beispiel den Parlamentariern Produktmuster vorgelegt. Das Europäische Parlament beschloss dann in erster Lesung: Nur dann ist ein Material, das Nanopartikel freisetzt, kritisch gemäß Klasse III, wenn diese Freisetzung beabsichtigt ist.

Dies wurde allerdings von der Europäischen Kommission und dem Europäischen Rat nicht akzeptiert. In sogenannten Trilog-Verhandlungen unter Beteiligung der Europäischen Kommission, des Rats der Europäischen Union und des Europäischen Parlaments kam es schließlich zu einem Kompromiss. Wir sind froh, dass demgemäß Nanopartikel nicht pauschal über einen Kamm geschoren, sondern die entsprechenden Produkte in drei Risikoklassen eingeteilt wurden: III, IIb und IIa. Denn wir sind davon überzeugt, dass dentale Nanopartikel in aller Regel ein geringes Risiko darstellen.

Verordnung möglicherweise schon im Februar 2017 in Kraft

An den Beispielen, die ich hier zitiert habe, zeigt sich, dass man mit einer guten Expertise und mit fundierten Argumenten in Brüssel sehr wohl etwas erreichen kann. Die Medizinprodukte-Verordnung liegt jetzt in einer sogenannten konsolidierten Fassung vor – ein Entwurf, der inhaltlich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr verändert wird, sondern nur noch redaktionell. Zurzeit werden bereits Übersetzungen in alle EU-Amtssprachen angefertigt, anschließend entscheiden die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten (voraussichtlich Dezember 2016) und abschließend dann das Europäische Parlament (voraussichtlich Januar/Februar 2017) in zweiter Lesung. Die Verordnung wird im EU-Amtsblatt veröffentlicht und tritt zwanzig Tage danach in Kraft. Drei Jahre lang gelten noch Übergangsbestimmungen, damit sich die Marktteilnehmer auf die Neuregelungen einstellen können.

Enorme Herausforderung – Kooperation notwendig

Einig sind sich die medizintechnischen Verbände darüber, dass dieser Zeitrahmen eine enorme Herausforderung bedeutet, der sich die Industrie aber stellen muss. Die Verbände empfehlen allen Herstellern von Medizinprodukten, einen Plan für die rechtzeitige Umsetzung der neuen Anforderungen aufzustellen. Zugleich sprechen sie sich auch für eine enge Kooperation zwischen Industrie, Behörden und Benannten Stellen während der Übergangsphase aus. Aufgrund dieser doch recht kurzen Frist müssten unterschiedliche Interpretationen der Verordnung oder Unsicherheiten bezüglich der Anforderungen unbedingt vermieden werden.

Wie sich die Neuregelungen in der praktischen Anwendung bewähren, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Wir bleiben als Verband am Ball.