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Phagentherapie – eine neue Behandlungsoption in der Zahnheilkunde

schematische Darstellung von Bakteriophagen

Bakteriophagen (hier in schematischer Darstellung) können eine Gefahr für die orale Gesundheit sein – in anderen Fällen aber auch von Vorteil sein.

Bakterien und Viren: DDr. Christa Eder über das Potenzial von Phagen für die ­Mundgesundheit (2)

Phagen sind, wie im ersten Teil vorgestellt, ein wesentlicher Bestandteil des Viroms unserer Mundhöhle und tragen viel zur genetischen Diversität des oralen Ökosystems bei. Ihre Fähigkeit zur Übertragung von Resistenz- und Virulenzfaktoren ist eine potenzielle Gefahr für den Organismus. In anderen Fällen kann die Anwesenheit von Phagen jedoch durchaus ein Vorteil für die Gesundheit sein.

In Biofilmen dominiert häufig der lytische Vermehrungszyklus, was zu einer Reduktion potenziell pathogener Keime führt. Diese Eigenschaft macht man sich bei der sogenannten Phagentherapie zunutze. Für einige pathogene Mikroorganismen gibt es spezifische Phagen, die nur einen oder wenige Bakterienstämme angreifen. Dadurch wird ein gezielter Einsatz gegen diese Erreger möglich. Im Gegensatz zu den viel unselektiveren und breiter wirkenden Antibiotika werden so die nützlichen Keime wie etwa Darmbakterien geschont.

Bei multiresistenten Krankheitserregern versagt die antibiotische Standardtherapie oder ist zumindest in ihrer Wirksamkeit deutlich eingeschränkt. Hier können entsprechende Phagen oder Phagengemische zur Bekämpfung der Infektion zum Einsatz kommen.

Erstes Institut für Phagenforschung bereits 1923

Die therapeutische Anwendung ist keineswegs neu. Bereits kurz nach der Entdeckung der Bakteriophagen durch F. Twort und F. d’Hérelle 1915 wurde ihre mögliche Bedeutung für die Bekämpfung von bakteriellen Infektionen erkannt. 1923 wurde in Tiflis von Georgi Eliava ein Institut für Phagenforschung gegründet. Phagentherapien kamen in der Folge vor allem in osteuropäischen Staaten zur Anwendung.

In den vergangenen Jahrzehnten kam es gerade in diesen Ländern zu einem massiv vermehrten Auftreten von Infektionen durch multiresistente Bakterien. In Georgien wurden und werden deshalb gezielte Phagentherapien standardmäßig eingesetzt. Vor allem bei Wundinfektionen durch fakultative Pathogene wie Strepto- und Staphylokokken und bei Darminfektionen durch Shigellen, pathogene Escherichia coli und Vibrio konnten gute Erfolge erzielt werden. Auch für Osteomyelitis und Lungeninfektionen wurden gute Ergebnisse publiziert.

Keine Zulassung in Deutschland

In Deutschland ist derzeit eine Phagentherapie noch nicht zugelassen und darf nur in Notfallsituationen (Artikel 35 der Deklaration von Helsinki) mit Einverständnis des Patienten angewendet werden. Allerdings laufen in Europa und in den USA entsprechende Forschungsprojekte. Besonders die Entwicklung von Phagenenzymen und Lysinen sowie die Herstellung entsprechend patientensicherer Phagencocktails stehen hier im Brennpunkt des Interesses.

Vielversprechend sind die Möglichkeiten bei Krankheitsbildern wie der Mukoviszidose (Zystische Fibrose), bei welchen es durch häufige Antibiotikagaben zur Entstehung resistenter Pseudomonasstämme kommt. Die betroffenen Patienten zählen auch in der Zahnarztpraxis zur Hochrisikogruppe. Pseudomonaden sind zwar nicht primär oral pathogen, aber sie können in bestehenden Zahnfleischtaschen Reservoirs bilden. Von diesen aus kommt es dann zu den gefürchteten rezidivierenden Atemwegserkrankungen mit Pneumonien. Phagen, die gezielt durch Abtötung der aggressiven Keime die mikrobielle Belastung vermindern, könnten hier sehr hilfreich sein.

Phagen können Biofilmbildung beeinträchtigen

Auch in Zusammenhang mit oralen Entzündungen und Karies werden Phagentherapien diskutiert, sind aber derzeit noch keine Option. Leider brachten Untersuchungen für einen Einsatz von Bakteriophagen oder von deren Lysinen gegen die bei Parodontitis dominanten gramnegativen Bakterien nur mäßige Ergebnisse: Phagen gegen Fusobakterien wirken nur gering lytisch. Gegen parodontale Leitkeime wie Tannerella forsythia und Porphyromonas gingivalis sind noch keine wirksamen Phagen bekannt. Die Ursache liegt in den Lipopolysacchariden der äußeren Zellmembran dieser gramnegativen Anaerobier. Mit deren Hilfe schützen sich die Keime erfolgreich gegen Angriffe der Viren.

Gegen grampositive Keime gibt es hingegen durchaus interessante Ansätze. So können bestimmte Phagen die Rezeptoren von oralen Bakterien modulieren und damit deren Fähigkeit zur Etablierung von Biofilmen beeinträchtigen. Ebenso können Phagen die Synthese von Enzymen zur Zerstörung der extrazellulären Substanzen von Bakterien induzieren. Actinomyces-Bakteriophagen verändern die Oberflächenstruktur von oralen Actinomyzeten, sodass eine Koaggregation mit Streptokokken und damit die Ausbildung von „Corn cobs“ nicht mehr möglich ist. Manche sind sogar auf bestimmte Bakteriengattungen hochspezialisiert.

Streptococcus-Phagen könnten S. mutans, S. sobrinus und S. salivarius durch lytische Vermehrungszyklen reduzieren und so die Kariesentstehung verlangsamen. Auch für den an der Karies beteiligten Lactobacillus sind spezifische Phagen bekannt.

Mehr Fragen als Antworten

Viele Fragen über die Interaktion zwischen dem oralen Mikrobiom und dem Virom der Mundhöhle sind derzeit noch ungeklärt. Ebenso dürfen mögliche Gefahren bei der Applikation von Bakteriophagen gegen orale Keime nicht ignoriert werden.

Phagen sind, wie bereits erwähnt, zu horizontalem Gentransfer befähigt, und bestimmte Spezies könnten zu „Superspreadern“ in der Verbreitung von Antibiotikaresistenzen werden. Ebenso können aufbereitete Phagenenzyme und Lysine zu einer unkontrollierten Freisetzung von bakteriellen Endotoxinen und damit im schlimmsten Fall bis zu einem toxischen Schocksyndrom führen.

Hier ist noch einiges an Forschungsarbeit für eine gefahrlose Aufbereitung möglicher Phagen-Pharmazeutika notwendig, um sichere Bedingungen für den therapeutischen Einsatz zu schaffen.

DDr. Christa Eder,
Fachärztin für Pathologie und Mikrobiologin, Wien


DDr. Christa Eder ist Fachärztin für Pathologie und Mikrobiologin. Seit vielen Jahren schreibt sie für das österreichische Fachmagazin „Zahn.Medizin.Technik“ und die dzw – Die ZahnarztWoche. Sie ist als Referentin im Bereich der zahnärztlichen Mikrobiologie international bekannt und Autorin zahlreicher Fachbücher zu zahnmedizinischen Themen.