Ein Zahnarzt sorgt für gesunde Zähne und damit für das Wohlbefinden des Menschen. Das kann man in der Praxis auch betonen.
Der Fokus der meisten Praxen liegt auf der medizinischen Perfektion. Klinisch rein und möglichst optimal mit Hightech ausgestattet. Das ist auch wichtig, denn es schafft Sicherheit. Und man begibt sich nur in die Hände eines Arztes, wenn man sich bei ihr oder bei ihm auch sicher fühlen kann. Aber fühlt man sich gleichermaßen auch wohl?
In manchen Praxen dominiert der medizinische Aspekt so sehr, dass das Wohlfühlen etwas „hinten runterfällt“. Dabei macht die Kombination den Unterschied. Und die Differenzierung ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Insbesondere dann, wenn die Praxis in einer Stadt liegt und sich die Kollegen nur ein paar Straßen weiter befinden.
Stressmodus Zahnarztbesuch
Ein Zahnarztbesuch ist ein klassischer Stressauslöser, der unsere archaischen Programme aufruft. Genau wie vor Tausenden von Jahren wird ein Hormoncocktail freigesetzt, der die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen deutlich verlangsamt. Wahrnehmungsfähigkeit und Entscheidungskompetenz sind herabgesetzt. Und das in einer Situation, in der Patienten therapeutische Optionen abwägen und entscheiden müssen.
In manchen Fällen ist die Wahl schlecht, das Ergebnis wird aber dann dem Arzt angelastet, auch wenn Sie zuvor auf das Risiko hingewiesen haben. Nachgewiesen wurde, dass mit dem Anstieg des Cortisolspiegels im Blut die Entscheidungsfähigkeit abnimmt. Es gibt in dieser Situation sogar eine Tendenz zum Risiko, wie Untersuchungen aus 2015 belegen.
Und da Menschen ohnehin im Alltag häufig im Stressmodus sind, legt der Zahnarztbesuch nur noch einen drauf. Wie kann es nun gelingen, Menschen in dieser Situation zu beruhigen und zu entspannen?
Die eigene Ausstrahlung wirkt
Wie immer ist der erfolgreichste Hebel man selbst. Denn die ruhige Ausstrahlung des Behandlers und des Praxisteams wirkt wie Medizin. Die eine Seite ist das Praxisambiente, das in der Gestaltung beruhigende und entspannende Elemente aufnehmen kann, die andere Seite ist die Ausstrahlung des Teams.
Jeder Patient spürt beim Eintreten in die Praxis die Atmosphäre und nimmt diese in sich auf. Fühlt es sich arbeitsreich und angespannt an, wird er beim Warten vermutlich mehr Angst verspüren, als wenn die Atmosphäre vertrauensvoll und beruhigend ist. Was können also Sie konkret mit sich selbst und mit Ihrem Team tun?
Nicht in den Stressmodus rutschen
Im Praxisalltag entstehen automatisch stressige Situationen. Das kann man kaum verhindern. Wie Behandler und Team damit umgehen, ist sehr unterschiedlich und prägt maßgeblich die Atmosphäre einer Praxis. Wichtig ist es hier, die belastende Situation bewusst wahrzunehmen. Durch Ignorieren und Schnellerarbeiten entstehen Stress und Hektik. Einfach zu akzeptieren, dass die Dinge im Moment so sind, wie sie sind, hilft, um nicht in den Stressmodus zu rutschen.
Im Nachgang, also am Ende des Tages oder zu Beginn des nächsten Tages ist es wichtig, gemeinsam mit dem Team zu überlegen, wie es zu der stressigen Situation kam und wie das zukünftig verbessert werden kann. Wer kann welchen Beitrag dazu leisten, dass eine solche Situation nicht mehr in dieser Intensität entstehen kann?
Tragen Sie die Ideen zusammen und entscheiden Sie gemeinsam, welche Idee oder welche Ideenkombination Sie in den nächsten Wochen erproben möchten. Danach ziehen Sie wieder ein Resümee und verankern das neue Vorgehen fest im Praxisalltag oder erproben eine der anderen Ideen, die Sie zunächst zurückgestellt haben.
Team aktiv an Lösungen beteiligen und Grenzen erkennen
Die Beteiligung Ihres Teams entlastet nicht nur Sie, sondern Sie sorgen hiermit auch aktiv für die Gesundheit Ihrer Mitarbeiter. Studien zeigen immer wieder, dass eine Arbeitsorganisation, die man sich selbst ausgedacht hat, deutlich besser zu tragen ist, auch wenn sie nicht optimal ist, als ein Mangel an Mitspracherecht. Das Autonomiebedürfnis von Menschen zu unterstützen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihren Alltag zu kontrollieren, wirkt Wunder.
In diesem Zusammenhang ist es auch relevant, die eigenen Grenzen und die des Teams zu erkennen und ernst zu nehmen. Nicht alles ist möglich. Wenn Sie immer wieder Ihre eigenen Grenzen und die Ihres Teams überschreiten, produzieren Sie immer wieder Stress und Angespanntheit. Mit Grenzen gut umzugehen und sich und andere nicht dauerhaft zu überfordern, ist sehr wesentlich.
Eine hervorragende Leistung von allen Beteiligten ist sicher wichtig und macht auch Freude. Wenn es zu viel wird, dann kippt diese Leistungsfähigkeit schnell. Und es ergeht uns dann genau wie den Patienten: Der Hormoncocktail steuert, und wir nehmen schlechter wahr und treffen schlechtere Entscheidungen.
Kompensationsstrategien entwickeln
Intensivstationen machen es uns vor. Hier herrscht nahezu Dauerstress, und die Mitarbeiter haben sehr gute Kompensationsstrategien entwickelt. Sonst könnten sie hier nicht lange arbeiten. Ein wichtiger Faktor im Umgang miteinander ist das Einhalten von Pausen.
Wenn einer der Mitarbeiter bemerkt, dass der andere unter Stress gerät, dann versucht er es möglich zu machen, dass sich dieser Mitarbeiter eine Pause gönnt, um zu entspannen und seine Leistungsfähigkeit wiederherzustellen. Das schützt das gesamte Team vor Fehlentscheidungen.
Auch Mini-Pausen helfen hier und sind sogar erholsamer als einmal am Tag 30 Minuten. Das Ziel der Pause ist, abzuschalten und die Stimmung zu verbessern. Das gelingt dem einen durch einen kurzen Spaziergang, dem anderen durch ein Eis im Sommer, dem dritten durch ein Computerspiel. Die Art und Weisen des Auftankens sind sehr unterschiedlich. Dafür gibt es kein allgemeingültiges Rezept.
Sozialer Rückhalt hält gesund
Ein sehr wichtiger Stresskiller ist eine gute Atmosphäre untereinander. Wer im Team sozialen Rückhalt spürt, ist nicht nur gegen Stress gewappnet, sondern steckt auch Schnupfenviren besser weg. Zu diesem Ergebnis kamen viele Studien der vergangenen Jahre unabhängig voneinander. Einen bedeutenden Anteil daran haben auch Umarmungen. Schon eine Umarmung am Tag, von einer Person, die man mag, setzt die Resistenz gegen Stress und Viren deutlich nach oben.
Die Wirkung zwischenmenschlicher Beziehungen wird immer noch unterschätzt. Sich um eine gute Atmosphäre im Team zu kümmern, avanciert vor dem Hintergrund dieser Forschungsergebnisse auf einen der ersten Plätze im Ranking der wichtigsten Führungsaufgaben.
Chefsache Team-Klima
Manche Praxisinhaber delegieren das Thema und bieten ein Stress-Seminar für die Mitarbeiter an. Ein solches Seminar mag zwar das Wissen über das Thema erweitern, die Bewältigung aber eigens in die Verantwortung der Mitarbeiter zu legen und zu fordern, sie mögen ihre Resilienz selbst optimieren, ist hier zu einfach. Und es funktioniert auch nicht.
Alle Führungskräfte einer Praxis sind im Alltag besonders gefordert, die Zeichen zu erkennen und den Umgang miteinander zu gestalten. Aufmerksam durch die Praxis zu laufen, sich selbst in einen guten Zustand zu bringen und für das Team zu sorgen, bleibt Führungsaufgabe. Denn die Patienten fühlen sich nur dann in der Praxis wohl, wenn Sie und Ihr Team sich auch wohlfühlen.
Dr. Susanne Klein, Offenbach