Unter dem Titel „Empört euch!“ fordern die Oralchirurgen Dr. Joel Nettey-Marbell und Dr. Manuel Troßbach in einem Fachartikel, Zahnmedizinern volle ärztliche Kompetenzen zu gewähren [1].
Kollegen mit entsprechenden Fachkenntnissen, auch nicht chirurgisch spezialisierte, sollten zum Beispiel venöse Zugänge legen und Eigenblutprodukte herstellen dürfen. Die Therapie müsse im Zusammenhang mit einer ZMK-Erkrankung stehen, sei aber nicht „lokoregional“ auf den Mundbereich beschränkt. Damit Zahnmediziner ihre Patienten angemessen behandeln können, müssten Maßnahmen in vielen Fällen systemisch wirksam sein.
Kammern befürworten Einschränkungen
Als Beispiele nennen die Autoren die Medikation mit Sedativa (zum Beispiel Benzodiazepinen) oder Analgosedierung (Lachgas) zur Vorbereitung ängstlicher und beeinträchtigter Patienten oder (gegebenenfalls intravenöse) Antihistaminika und Antihypertensiva in Notfallsituationen.
Verschiedene Kammern raten laut Nettey-Marbell und Troßbach ihren Mitgliedern jedoch, auf einzelne dieser Maßnahmen zu verzichten. Verordnungen sollten sich grundsätzlich auf Analgetika und Antibiotika beschränken. Als Grund führten die (im Artikel nicht genannten) Kammern eine unzureichende allgemeinmedizinische Ausbildung mono-approbierter Kollegen an.
Die Autoren widersprechen dem grundsätzlich. Beispielsweise unterschieden sich die pharmakologischen Studieninhalte zwischen Zahnärzten und anderen Ärzten nicht, das Staatsexamen sei gleichwertig. Auch im Arzneimittelrecht würden alle Mediziner gleich behandelt.
Wichtiger sei aber, dass selbst einfache Eingriffe wie Extraktionen eine sorgfältige Anamnese mit Risikoeinstufung des Patienten erforderten. Relevante zahnmedizinische Forschung und entsprechende Wahrnehmung innerhalb der Medizin sei zudem ohne volle heilkundliche Kompetenzzuweisung nicht möglich.
Solidarität per E-Mail
Die Autoren Troßbach und Nettey-Marbell schrieben ihren Beitrag im Auftrag des Bundesvorstands des Berufsverbands Deutscher Oralchirurgen (BDO). Einige der von den Autoren genannten Therapieformen werden überwiegend von chirurgisch spezialisierten Zahnärzten, solchen mit der Gebietsbezeichnung Oralchirurgie, oder von MKG-Chirurgen durchgeführt. Dennoch wird betont, dass alle Zahnärzte, die aufgrund ihrer Ausbildung dazu befähigt sind, diese Maßnahmen vornehmen dürfen.
Um der BDO-Forderung gegenüber der Bundeszahnärztekammer Nachdruck zu verleihen, rufen Nettey-Marbell und Troßbach alle zahnärztlichen Kollegen auf, eine E-Mail mit dem Betreff „Zahnheilkunde ist Heilkunde am Menschen“ an bdo-mgv@oralchirurgie.org zu senden.
Kommentar
Hintergrund der BDO-Initiative dürfte neben berufsrechtlichen und wirtschaftlichen Faktoren die Integration der Zahnmedizin im medizinischen „Masterplan 2020“ sein. Nach dem wiederholten Absetzen der zahnärztlichen Approbationsordnung von der Tagesordnung des Bundesrats ist auch die Anrechnung zahnmedizinischer Studieninhalte weiter offen. Dies betrifft auch das gemeinsame Ziel, die Spezialisierungen von Oral- und MKG-Chirurgen attraktiver zu gestalten („operative Zahnheilkunde“).
Die Position der Zahnmedizin innerhalb der Medizin ist historisch umstritten. Bereits im Jahr 1862 forderte Moritz Heider im Namen des Central-Vereins deutscher Zahnärzte (Vorläufer der DGZMK), der Zahnarzt müsse „Arzt sein, das heißt, sich einer umfassenden, vollständigen medizinischen Bildung erfreuen“. [2] Diese ist heute zumindest potenziell gegeben, trotz unvollständiger Angleichung der Curricula innerhalb der Humanmedizin.
Dr. Nettey-Marbell und Dr. Troßbach betonen, dass die „von manchen geforderte Extrawurst“ der Zahnheilkunde „außerhalb der Medizin“ keine Zukunft habe. Sie gefährde die „Qualität der Versorgung, unsere akademische Berechtigung und internationale Wettbewerbsfähigkeit“. Dem kann sich der Autor dieses Kurzkommentars nur anschließen.
Dr. Jan H. Koch, Freising
Literatur
[1] Nettey-Marbell J, Troßbach M. Oralchirurgie Journal 2018(4):36-42
[2] Groß, Dominik. Das Verhältnis zwischen Ärzteschaft und Zahnärzteschaft. Die Entwicklung des Zahnarztberufs Teil 4, zahnärztliche mitteilungen 105(24);16.12.2015:74-77