Hintergrund
Schon 2018 bewertete der Verband Deutscher Zahntechniker-Innungen (VDZI) das intraorale Scannen für diagnostische Zwecke als „profilgebende Tätigkeit im Berufsbild des Zahntechnikers“. Bereits bei Auszubildenden sei „Scannen mit unterschiedlichen Verfahren, zum Beispiel intra- und extraoral, taktil und optisch“ Inhalt der überbetrieblichen beruflichen Bildung. Annett Kieschnick (Zahntechnikerin) und Dr. Jan H. Koch (approbierter Zahnarzt) erweitern die Fragestellung auf funktionsdiagnostische Themen. Dabei geht es neben fachlich-berufsbildbezogenen auch um gebührenrechtliche Aspekte.
Dr. Jan H. Koch: Gegen einen rein diagnostischen Scan ist im Prinzip nichts einzuwenden
Zunächst einmal sollte die Zahnärzteschaft sich entspannen. Dentisten wird es nicht wieder geben, jedenfalls nicht durch die Einführung des intraoralen Scanners. Das Problem ist nicht die Frage, ob Zahntechniker die Geräte in den Patientenmund bringen dürfen oder nicht. Das Problem sind vielmehr die schon seit langem praktizierten plastischen Abformungen, Überabformungen, Eingliederungen und das intraorale Austauschen zum Beispiel von implantprothetischen Bauteilen durch Zahntechniker – wohlgemerkt auf Veranlassung ihrer zahnärztlichen Kunden.
Intraorales Scannen entspricht im Prinzip einer plastischen Abformung. Das Spektrum reicht in beiden Fällen von einfachen Situationsabformungen für diagnostische Zwecke bis zu aufwendigen prothetischen Sitzungen, zum Beispiel mit chirurgischer Darstellung in Knochennähe liegender Präparationsgrenzen oder intraoperativer Abformung von Implantaten.
Gegen einen rein diagnostischen Scan für prothetische oder orthodontische Modellanalysen ist im Prinzip nichts einzuwenden. Dieser könnte zum Beispiel beim ersten Termin im zahntechnischen Labor erfolgen, bei dem der Zahntechniker sich ein möglichst umfassendes Bild vom Patienten macht, einschließlich Persönlichkeit, Mimik, Phonetik und Funktion („orale Heimat“ nach ZTM Jürg Stuck).
Für größere prothetische Arbeiten ist dieser Patientenkontakt in vielen Fällen unerlässlich. Andererseits kann das Scannen der Zahnreihen – eng ausgelegt – als Maßnahme gesehen werden, die der „Feststellung (…) von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten“ dient (Paragraf 1 Abs. 3 Zahnheilkundegesetz). Dies ist die Position der Bundeszahnärztekammer. Gegen diagnostisches Scannen durch Zahntechniker sprechen aber eher fehlende Inhalte in der Ausbildung, auch beim Thema Hygiene. Damit sich das ändert, wurden neue Curricula entwickelt, zum Beispiel an der Universität Frankfurt am Main.
Annett Kieschnik: Nur Kamera reinhalten und hoffen, dass es gut wird, ist nicht
Ob sie es „dürfen“, ist meines Erachtens rechtlich nicht klar definiert. Es handelt sich aus meiner Sicht nicht um eine „berufsmäßige auf zahnärztlich wissenschaftliche Erkenntnisse gegründete Feststellung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten“, sondern um einen technisch-basierten Vorgang der Datenerfassung.
Daher formuliere ich die Frage um: Sollten Zahntechniker intraoral scannen? Geschätzt wird, dass derzeit weniger als 15 Prozent der Zahnarztpraxen den Intraoralscanner nutzen. Im Gegensatz dazu können viele modernen Materialien im Labor nur CAD/CAM-gestützt verarbeitet werden. Der Zahntechniker benötigt also einen digitalen Datensatz. Der Umkehrprozess ist zeitaufwändig und beinhaltet Fehlerquellen. Betrachtet man einzig diesen Aspekt, lautet die Antwort: Ja, Zahntechniker sollten intraoral scannen, denn sie brauchen digitale Datensätze.
Nun formuliere ich die Frage erneut um: Können Zahntechniker intraoral scannen? Es handelt sich in der Regel um kontaktlose Intraoralscanner. Theoretisch kann der Zahntechniker mit entsprechendem technischem Verständnis den Scan vornehmen. Aber: nur Kamera reinhalten und hoffen, dass es gut wird, ist nicht. Praktisch gibt es viele Faktoren zu berücksichtigen (Faden legen, Scanpfosten etc).
Zunächst sollte geklärt werden, für welche Indikation der Scan erstellt wird. Handelt es um die Datenerfassung für eine Krone oder Ähnliches, ist dies originäre Aufgabe der Zahnarztpraxis. Beim intraoralen Scannen für Situationsmodelle oder Aligner-Schienen spricht meines Erachtens nichts gegen die Datenerfassung seitens des geschulten Zahntechnikers, sofern der Auftrag vom Zahnarzt kommt und ihm die diagnostische Auswertung obliegt.
Mittlerweile gibt es branchenfremde Unternehmen, die sich „einmischen“ – Disruption. Es entstehen neue Geschäftsmodelle, wie es die Digitalisierung in vielen Branchen ermöglicht. Wir alle kennen beispielsweise die Diskussionen rund um Uber und Co. Auch hier gab es lange Zeit keine gesetzlichen Rahmenbedingungen; nun sind sie zwar da, aber Uber – und mittlerweile andere – gibt es immer noch sehr erfolgreich. Der Markt hat sich verändert.
Grundsätzlich sind in der Zahnmedizin vom Gesetzgeber Regeln gefordert, bei denen digitale Prozesse eingebunden und Kompetenzen definiert sind. Dies betrifft auch die Abrechnung der Leistung; viele der digitalen Schritte sind im Leistungskatalog noch gar nicht erfasst. Eine Tendenz, die zu beobachten ist: Einige Labore stellen Zahnarztkunden Intraoralscanner zur Verfügung, was ich für eine fragwürdige Methode halte.
Auch zu hören ist von Fällen, in denen Zahnarztpraxen erwarten, dass das Labor den Scanner zur Verfügung stellt (Antikorruptionsgesetz?). Das Dentallabor soll die Investition tätigen, um an die von ihnen benötigten digitalen Daten zu gelangen?! Aus meiner Sicht ist es bei der Implementierung eines Scanners in der Praxis zwar sinnvoll, den Zahntechniker mit seinem digitalen Erfahrungsschatz einzubeziehen, doch letztlich liegt die Investition auf Seiten der Praxis, so wie das Labor in den 3-D-Drucker oder die Fräsmaschine investiert.
Lesen Sie in der Fortsetzung:
- Welche prothetisch-diagnostischen Schritte sollten Zahntechniker übernehmen oder gemeinsam mit Zahnmedizinern durchführen?
- Wie könnte eine mögliche Kompetenzerweiterung für das Zahntechniker-Handwerk umgesetzt werden?