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Gematik auf Spahnkurs

Offen zutage tritt der Führungsanspruch aus dem Hause Jens Spahn und seines neuen Geschäftsführers der Gematik Dr. Markus Leyck Dieken.

Offen zutage tritt der Führungsanspruch aus dem Hause Jens Spahn und seines neuen Geschäftsführers der Gematik Dr. Markus Leyck Dieken.

Das Verhältnis unter den Gesellschaftern der Gematik war schon immer schwierig. Zu unterschiedlich war die Interessensgemengelage von Gründung an. Doch nun scheint ein neuer Tiefpunkt erreicht. Ende Januar 2021 erschien das „Whitepaper Telematikinfrastruktur 2.0 für ein föderalistisch vernetztes Gesundheitssystem. Arena für digitale Medizin“ der Gematik. Doch anscheinend ohne Wissen und Zustimmung der Gesellschafter, die 49 Prozent der Gematik halten. Offen zutage tritt der Führungsanspruch aus dem Hause Jens Spahn und seines neuen Geschäftsführers der Gematik.

„Die Zeiten der passiven Dienstbarkeit sind vorbei“

Bereits in einem Interview mit der „zm“ vom 1. September 2020 sagte der neue Gematik-Geschäftsführer Dr. Markus Leyck Dieken: „Doch schon in den Monaten vor Corona haben wir unseren Modus Operandi um 180 Grad gedreht und übernehmen nun eine aktive Rolle. Die Zeiten der passiven Dienstbarkeit sind vorbei.“
Wir erinnern uns: Im Mai 2019 trat das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) in Kraft und über Nacht wurde das Bundesgesundheitsministerium mit 51 Prozent zum Mehrheitsgesellschafter der Gematik. Die ursprünglichen Gründer Bundesärztekammer (BÄK), Bundeszahnärztekammer (BZÄK), Deutsche Apothekerverband (DAV), Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV-SV), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) waren mit einem Schlag entmachtet. Bereits zum 1. Juli 2019 durfte dann der bisherige Geschäftsführer Alexander Beyer seinen Schreibtisch räumen. Neuer Geschäftsführer wurde ein alter Bekannter von Gesundheitsminister Jens Spahn, der Internist und „Pharmalobbyist“, wie Transparency International Deutschland ihn bezeichnet, eben Dr. Markus Leyck Dieken. Sein Jahresgehalt wurde im Vergleich zum Vorgänger laut Medienberichten von 110.000 Euro auf 300.000 Euro heraufgesetzt und damit vermutlich wie die Erwartungserhaltung des Ministers annähernd verdreifacht.

Runde Tische und zerschnittene Tücher

Von da an änderten sich der Ton der Gematik und das Selbstbewusstsein. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Gematik das Whitepaper im Alleingang vorlegte. Hatte Leyck Dieken im „zm“-Interview noch versichert: „In der neuen Gematik ist die Gesellschafterversammlung nicht nur ein Kontrollgremium. Sie sollte zu einem Runden Tisch der Digitalisierung werden, der gemeinsam Entscheidungen trifft“, spricht das aktuelle Vorgehen eine andere Sprache. Die hier formulierten Ziele sind ehrgeizig. So soll ein „konnektorunabhängiger Zugang zu Diensten der TI“ ermöglicht werden, zudem wird eine „Verlagerung der kartenbasierten Anwendungen auf Dienste der TI“ angestrebt. Konnektoren und Gesundheitskarten sollen künftig der Vergangenheit angehören – sie sind also schon vor dem kompletten Roll-out Digitalschrott.
Das Whitepaper autorisiere sich „auf Grundlage einer Analyse … leitfadenbasierter Interviews mit allen Gesellschaftern der Gematik“ vom Sommer 2020. „Als Ergebnis des Gesellschafter-Strategieworkshops hat die Gematik einen Lösungsvorschlag erstellt, wie die Anforderungen und Rahmenbedingungen mit einer weiterentwickelten TI, einer TI 2.0, erfüllt werden können“, so der Anspruch des Whitepapers.

Ein Brief als Protestnote

Das sehen die Gesellschafter nun ganz anders. In einem Brief an Leyck Dieken, der der dzw vorliegt, zeigen sie sich vom Vorgehen der Gematik – sagen wir einmal – brüskiert. Angesichts der nur mäßigen Akzeptanz der TI unter den Leistungserbringern bezeichnen sie das „unabgestimmte Vorgehen“ als „völlig kontraproduktiv“. Die Veröffentlichung des Whitepapers sei „explizit entgegen des in der 69. Gesellschafterversammlung vom 25. November 2020 gefassten Beschlusses am 21. Januar 2021 vorgenommen“. Das vom stellvertretenden Vorsitzenden des KZBV Dr. Karl-Georg Pochhammer unterzeichnete Schreiben erging auch im Namen der übrigen Minderheitsgesellschafter – der Bundesärztekammer, der Bundeszahnärztekammer, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, des Deutschen Apothekerverband e.V., der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, dem GKV-Spitzenverband und dem Verband der Privaten Krankenversicherung e.V.
Breite Zustimmung zum Whitepaper sieht anders aus. Und das ist verständlich. Bemühen sich die gerade die Standesvertreter die Akzeptanz der unter den Ärzten und Zahnärzten wenig beliebten TI, klingen die Zukunftsvisionen der Gematik, als sollten die Leistungserbringer noch schnell Restposten alter Nokia-Knochen kaufen, bevor Smartphones neuester Technologie auf den Markt kämen. Die Rückmeldungen der Ärzteschaft bei ihren Kammern und K(z)Ven fielen entsprechend drastisch aus.

Die Sprache der Fakten

„‚Weichenstellung für mehr Zusammenarbeit im Gesundheitswesen‘ lautet die Überschrift Ihrer eigenen Pressemitteilung. Wir fordern Sie daher auf, diese Zusammenarbeit auch mit Ihren eigenen Gesellschaftern umzusetzen. Der von Ihnen propagierte ‚supportive Grundgedanke‘ bei der gemeinschaftlichen Arbeit sowie die ‚partnerschaftliche Zusammenarbeit‘, die auch Vertrauensvorschuss gegenüber der Gematik bedingen sollte, ist mit dieser unabgestimmten, gemeinsame Absprachen unterlaufenden und den Interessen Ihrer Gesellschafter entgegenstehenden Aktion erneut beschädigt und grundsätzlich konterkariert worden“, heißt es in dem Brief an Leyck Dieken.
Gegenüber dem „änd“ schreibt die Gematik, dass man nicht gegen den Willen der Gesellschafter handele, sondern den öffentlichen Diskurs suche: „Darüber hinaus greifen wir die Anregungen und Rückmeldungen seitens Fachwelt und Industrie derzeit auf. Denn die Weiterentwicklung der Telematikinfrastruktur sollte in einem Wettbewerb der besten Ideen erfolgen können. Nur, wenn wir die interessierte Öffentlichkeit einbeziehen, können wir feststellen, ob die vorgeschlagenen Lösungsansätze die bestmöglichen sind.“
Daraus, dass Spahns Geduld mit dem endlosen Gezerre um die Digitalisierung des Gesundheitswesens endlich ist, hat er nie einen Hehl gemacht. Nun scheint er, mittels Leyck Dieken, Fakten schaffen zu wollen. Die Selbstverwaltung wird so mehr und mehr zum ausführenden Organ degradiert.