Telemedizinische Angebote bieten moderne Möglichkeiten der Versorgung und haben großes Potenzial, existierende Versorgungslücken auszugleichen und die aktuelle Versorgung sinnvoll zu ergänzen. Dennoch wird die praktische Durchführung telemedizinischer Leistungen nach wie vor durch regulatorische Vorgaben erheblich eingeschränkt.
So werden telemedizinische Leistungen noch immer deutlich schlechter gestellt als analoge ärztliche Leistungen: Je nach Fachgruppe müssen Vertragsärztinnen und -ärzte bis zu 30 Prozent Abschläge hinnehmen. Weiterhin ist die Abrechenbarkeit von Videosprechstunden auf maximal 30 Prozent aller Behandlungsfälle pro Quartal beschränkt. Hinzu kommt, dass die Information über telemedizinische Angebote durch das in Paragraf 9 Heilmittelwerbegesetz (HWG) verankerte Werbeverbot stark eingeschränkt wird und eine sinnvolle Patienteninformation deshalb in der Praxis kaum möglich ist.
Verband sieht in Werbung keine Gesundheitsgefahr
Die Begründung für das weitreichende Werbeverbot bildet die tatsächlichen Verhältnisse in der Versorgung nicht mehr ab. Es kann keine Rede davon sein, dass Werbung für ärztliche Behandlungen per Fernbehandlung eine Gesundheitsgefahr darstellen würde, vor der Patienten durch erhebliche Einschränkungen der Informationsmöglichkeiten geschützt werden müssen.
Das Gegenteil ist der Fall: Das weitgehende Verbot der Werbung für Fernbehandlungen verhindert praktisch die Information über diese Form der Versorgung und behindert damit ihre weitere Durchsetzung in der Bevölkerung.
Auch die Ausnahmeregelung des Paragraf 9 S. 2 HWG hilft praktisch nicht weiter. Danach ist Paragraf 9 S. 1 HWG nicht auf die Werbung für Fernbehandlungen anzuwenden, die mithilfe von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards kein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen erforderlich ist. Zwar hat der Bundesgerichtshof diese Norm durchaus dynamisch dahingehend ausgelegt, dass es auf die zivilrechtlichen fachärztlichen Standard ankomme, der sich entwickeln könne.
Praktisch sind die Hürden für die Erfüllung dieser Anforderungen aber hoch, nicht zuletzt aufgrund einer engen Auslegungspraxis der Gerichte. Es ist unklar, welche genauen anerkannten fachlichen Standards hier Anwendung finden sollen und wie diese erfüllt werden.
Fachärztliche Leistungen gleichstellen
Der nächste konsequente Schritt in Richtung eines gleichberechtigten Angebots der persönlichen ärztlichen Behandlung vor Ort und der fernärztlichen Behandlung ist mit Blick auf die Informations- und Werbemöglichkeiten daher die Streichung des gesamten Paragraf 9 HWG. Die Patienten sind dadurch keineswegs schutzlos – vielmehr gelten selbstverständlich alle Anforderungen an die Werbung für ärztliche Behandlungen, die für den analogen Bereich existieren, ebenso für den digitalen Bereich. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit entsprechender Eingriffe in die Berufsfreiheit genügt dies.
Es bedarf daher einer zeitgemäßen Anpassung des Heilmittelwerbegesetzes: Der SVDGV als Vertreter zahlreicher Telemedizin-Anbieter fordert eine Streichung des Paragraf 9 HWG, da nur eine Streichung des Werbeverbots für Fernbehandlungen die Voraussetzungen dafür schafft, Videosprechstunden und sonstige telemedizinische Leistungen tatsächlich regelhaft zu ermöglichen. Das Werbeverbot verhindert sinnvolle Informationen über vorhandene telemedizini-sche Angebote und bremst innovative Formen der Versorgung aus – zum Nachteil von Patientinnen und Patienten.
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