Ein Patient kommt in die Praxis und hat sichtbar Verletzungen, die auf Gewalteinwirkung schließen lassen – was tun Sie als Zahnarzt? Und vor allen Dingen was dürfen Sie von Rechts wegen überhaupt tun? Über dieses schwierige Thema sprach Dr. Dr. Claus Grundmann, Zahnarzt und Rechtsmediziner in Duisburg, im Interview mit der DZW.
Ärzte und Zahnärzte in Ambulanzen und Notaufnahmen von Krankenhäusern und Kliniken sind mit den Folgen gewaltbedingter Verletzungen häufiger konfrontiert. Aber es kommt auch in der Praxis niedergelassener Zahnmediziner vor, dass sie bei erwachsenen Patienten und auch bei Kindern extra- oder intraoral gewaltbedingte Verletzungen feststellen.
Wie es sich bei gewaltbedingten Verletzungen mit der ärztlichen Schweigepflicht verhält, das und mehr erklärt Dr. Dr. Claus Grundmann im Video-Interview vom Deutschen Zahnärztetag 2015.
Ob eine Verletzung durch einen Unfall oder durch Einwirken eines Dritten entstanden ist, ist dabei nicht immer offensichtlich. Hier gilt es, im Gespräch mit dem Patienten nach den Ursachen zu fragen. "Nicht immer stimmen die Angaben des Patienten zum Vorfall mit den beobachteten Befunden überein", warnte Grundmann.
Befundbogen hilft bei Dokumentation
Da der Zahnarzt mitunter der erste und vielleicht sogar einzige sachverständige Zeuge einer Verletzung ist, appellierte Grundmann dazu, verdächtige Verletzungen zeitnah und eindeutig zu dokumentieren. Zumal die Spuren der Gewalteinwirkung meist nur für kurze Zeit in voller Ausprägung sichtbar seien.
Wo ist die Verletzung und welche Größe, Art und Form hat sie? Nach Möglichkeit sollte die Verletzung auch fotografiert werden – idealerweise mit einem Maßband oder Lineal als Vergleichsmaßstab.
Als Hilfsmittel für die Dokumentation empfahl Grundmann einen Befundbogen, wie ihn die Zahnärztekammern und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe herausgegeben haben. Dieser steht kostenlos zum Download zur Verfügung.
Auf vier Seiten enthält der Vordruck Skizzen und listet die erforderlichen Punkte auf, um extra- und/oder intraorale Verletzungen genau zu erfassen. Grundmann riet, leserlich zu schreiben, eine verständliche Sprache zu verwenden und auf Abkürzungen möglichst zu verzichten. Außerdem sollte notiert werden, wer als Zeuge bei der Untersuchung dabei war.
Gratwanderung zwischen Wegschauen und Überreagieren
"Gewalt ist in der Regel kein einmaliges Ereignis", stellte Grundmann heraus. Wenn die Täter aus dem nahen familiären Umfeld stammen, vor allem zwischen Partnern, wiederholen sich die Angriffe häufig und nehmen meist auch an Intensität zu. Auch bei Kindern handele es sich bei etwa der Hälfte der Fälle um Wiederholungstaten.
"Um Verdachtsfälle richtig einzuschätzen und gegen Gewalttaten vorzugehen, bedarf es ganz klar fachlicher Kenntnis und Erfahrung auf diesem Gebiet", so Grundmann. Die Rechtsmedizin arbeitet in einem abgestuften Schema mit dem Jugendamt und der Polizei sowie Fachkliniken und niedergelassenen Ärzten und Zahnärzten zusammen.
Wenn sie Fälle von Misshandlungen feststellen, gibt es für Zahnärzte und Ärzte in Deutschland keine Meldepflicht. "Wenn Sie einen Verdachtsfall in der Praxis haben, bleibt der Umgang damit eine Gratwanderung zwischen Wegschauen und Überreagieren. Beides kann schlimme Folgen haben", so der Rechtsmediziner Grundmann. Er empfiehlt Zahnärzten sich im Zweifelsfall an erfahrene Institutionen zu wenden.
Wo gibt es Hilfe?
- Zum Thema Kinderschutz findet man Informationen unter www.kindesmisshandlung.de. Lokal stehen die Jugendämter als Ansprechpartner zur Verfügung.
- In allen Fällen von gewaltbedingten Verletzungen gibt es Hilfe oder Beratung von den rechtsmedizinischen Instituten und Opferambulanzen an Kliniken bundesweit. Hier können Zahnärzte auch über Patientenfälle sprechen, ohne den Patienten namentlich zu nennen.
- Bei Übersetzungsproblemen findet sich ein Dolmetscher oder Übersetzer über die Online-Datenbank des Berufsverbands professioneller Dolmetscher und Übersetzer in Deutschland unter www.bdue.de.
- Wenn ein Gebärdendolmetscher gebraucht wird, hilft die Gebärdensprachdolmetscher-Vermittlung unter www.gsd-vermittlung.de.
Grundmann referierte zum Thema Häusliche Gewalt auf der Jahrestagung des Interdisziplinären Arbeitskreises für Forensische Odonto-Stomatologie (AKFOS) beim Deutschen Zahnärztetag 2015.
Was ist AKFOS?
Der Interdisziplinäre Arbeitskreis für Forensische Odonto-Stomatologie, kurz AKFOS, besteht seit 1976 und verbindet die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) und die Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin (DGRM). Er will Zahnmediziner über die theoretischen medizinischen und rechtlichen Grundlagen informieren, die hilfreich sind, wenn sie in zivil- oder strafrechtlichen Prozessen als Zeugen, Sachverständige oder Gutachter einbezogen werden.
she/dzw
Häusliche Gewalt ist keine Seltenheit. Viele Opfer halten sich zurück und erstatten in den meisten Fällen keine Anzeige. Doch was können Zahnärzte mit Patienten tun, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind?