In der Psychologie bezeichnet Resilienz die psychische Widerstandskraft eines Menschen, wie gut jemand mit Stress, Problemen/Krisen und Schicksalsschlägen umgehen kann. Ist die Person in der Lage, konstruktive/sinnvolle/gute Lösungen oder einen angemessenen Umgang damit zu finden? Geht die Person möglicherweise sogar gestärkt aus der Situation/Erfahrung hervor? Hat sie etwas dazugelernt und neue Stärken/Fähigkeiten entwickelt? Oder wird die Person dadurch (noch weiter) geschwächt, (psychisch oder körperlich) krank oder zerbricht daran?
Zeit der Polykrisen
Gerade in unserer aktuellen Zeit, die von Polykrisen geprägt ist, also von sehr großen, teilweise existenziellen Problemen und Herausforderungen, auf die man selbst gar nicht oder nur bedingt Einfluss nehmen kann, und die sehr langanhaltend sind und sich gleichzeitig entwickeln, ist Resilienz wichtig. Die gute Nachricht: Wir Menschen können grundsätzlich gut mit Ausnahmesituationen und stressigen Phasen umgehen. Allerdings immer nur für eine begrenzte Zeit. Langanhaltender Stress und andauernde Krisen schwächen uns dagegen psychisch und körperlich, denn Psyche und Körper sind eine Einheit.
Wenn wir gestresst sind, werden viele biologische Programme bei uns aktiviert, die uns – evolutionär bedingt – auf Kampf oder Flucht vorbereiten. Diese biologischen Programme kosten Energie und verändern unser Denken, Fühlen und Wahrnehmen. Deshalb kann Stress, wenn er nicht zeitnah wieder abgebaut wird, in eine Stressspirale führen. Damit schädigen und schwächen wir auf Dauer nicht nur Körper und Psyche, sondern werden auch anfälliger für Fehler und Konflikte und ziehen immer mehr Probleme an.
Mehr Stress als Ressourcen
Das Schwellen-Modell (Vulnerabilitäts-Stress-Modell) verdeutlicht diesen Mechanismus ziemlich gut: Wir alle haben eine gewisse Stress-Toleranz. Das bedeutet, dass wir gewisse Ressourcen haben, um mit dem täglichen Stress umzugehen, ihn zu bearbeiten und zu verarbeiten. Haben wir mehr Stress als Ressourcen, aktiviert unser Körper zusätzliche Kapazitäten, zumindest für kurze Zeit. Denn diese Reserven sind schnell verbraucht, weshalb es wichtig ist, wieder in einen entspannten Zustand zu kommen ... und vor allem, dass tägliche Entspannung der Normalzustand ist.
Bleiben wir aber oberhalb unserer Stress-Schwelle, leiden Psyche und Körper. Wir merken das an Stress-Symptomen, zum Beispiel Schlafstörungen, Verdauungsproblemen, Muskelverspannungen, Kopfschmerzen, Reizbarkeit, Vergesslichkeit, vermehrtem Essen von Süßem und Fettigem, Drogenkonsum (Kaffee/Cola/RedBull oder Alkohol, Zigaretten, Kiffen, Schlaftabletten etc.). Drogen, egal ob legal oder illegal, stellen immer eine Abkürzung dar, um einen eigentlich natürlichen Zustand wie Entspannung oder Anspannung, der sich nicht mehr richtig einstellen möchte, künstlich herbeizuführen.
Es fällt in Stressphasen meist schwer, zur Ruhe zu kommen oder Energie zu gewinnen, um leistungsfähig zu bleiben – manchmal klappt beides nicht mehr richtig. Halten diese Symptome über eine längere Zeit an, oft gepaart mit weiteren Symptomen, kann daraus ein krankhafter Zustand entstehen. Einmal nach einem stressigen Tag den Kühlschrank zu plündern, ist noch keine Essstörung, einmal eine Flasche Wein geleert zu haben, weil man traurig oder hoffnungslos war, ist noch keine Alkoholabhängigkeit. Wenn ein solches Verhalten aber zum Muster wird, eine Regelmäßigkeit entsteht, ist aus diesem ungünstigen Coping-Verhalten ein ernstzunehmender Zustand geworden.
Durch negative Ereignisse/Erlebnisse oder Herausforderungen, die viel von uns abverlangen, kann es passieren, dass wir insgesamt immer weniger belastbar werden. Unsere Disposition (= Anfälligkeit) für Krankheiten erhöht sich. Wir kommen dadurch im Alltag schneller an unsere Belastungsgrenze. Die Corona-Maßnahmen (weniger soziale Kontakte, geschlossene Fitnesscenter, eingeschränkte Urlaubsreisen, Doppelbelastung durch Homeoffice, Existenzsorgen, Angst vor Krankheit/Tod) haben bei vielen Menschen dazu beigetragen, dass sich die Disposition erhöht hat. Dort können aber auch andere Dinge hineinspielen, etwa eine eigene Krankheit, Tod oder Verlust eines geliebten Menschen, finanzielle Sorgen etc.
Ressourcen kann man optimieren
Resilienz bedeutet nun, an den Ressourcen zu arbeiten. Es gibt drei Klassen von Ressourcen:
- externe Ressourcen: Beratungsstellen, Coaches, Therapien, Geld, ein moderner Arbeitsplatz, eine schöne Wohnsituation, die beim Entspannen hilft, Urlaub, technische Hilfsmittel wie eine Prothese oder Brille etc.
- interpersonelle Ressourcen: Freundschaften, gute Nachbarschaften, eine gute Fehlerkultur, Wertschätzung, Hilfsbereitschaft, empathische Kollegen/Führung etc. (also alles Zwischenmenschliche, das gut tut)
- intrapersonelle Ressourcen: Optimismus, Selbstwirksamkeit, konstruktives Denken, Entspannungstechniken zu kennen/können, Nein-Sagen-Können, sich trauen, um Hilfe zu bitten, etc. (also alles, was in der Person selbst ist)
Man kann Resilienz als eine Eigenschaft der Person betrachten. Praktikabler finde ich den Ansatz, Resilienz als eine Fähigkeit zu sehen, denn Resilienz ist trainierbar.
Es gibt drei Quellen von Resilienz: unsere genetische Ausstattung, unsere Erfahrungen in der Kindheit und das bewusste Reflektieren/Aufarbeiten/Gestalten. Letzteres passiert meist als Erwachsener, beispielweise in Form von Coachings, Therapien, Beratungsprozessen, Selbstreflexion, Persönlichkeitsentwicklung etc. Aber auch unsere Erfahrungen, die wir beispielsweise bei der Arbeit machen, und die Strukturen und Prozesse, die wir dort vorfinden, können unsere Resilienz positiv (aber auch negativ) beeinflussen. Deshalb ist das Thema resiliente Führung so spannend.
Resiliente Führung kann dabei einerseits bedeuten, dass man seine Führungsrolle so gestaltet, dass man selber nicht im Stress untergeht, sondern gut/gesund mit all den Herausforderungen umgeht. Anderseits kann es aber auch bedeuten, dass man seine Mitarbeiter zur Resilienz befähigt und ihnen dadurch die Möglichkeit gibt, zu wachsen, sich zu entwickeln, leistungsfähig und gesund zu bleiben.
Resilienz im Beruf
Resilienz hat im beruflichen Kontext drei Betrachtungsebenen:
- das Individuum: Hier zählen alle Mitglieder des Teams, und eben auch man selbst als Führungskraft – resiliente Führung beginnt bei einem selbst.
- das Team: Hier ist der Gedanke, dass das Team mehr ist als die Summe der Teammitglieder. Es gibt eine Kommunikations-, Konflikt-, Fehler-, Wertschätzungskultur etc.
- das Business an sich: Ist es tragfähig, kann es Veränderungen/Belastungen von außen überstehen etc.?
Alle drei Aspekte gehören zusammen: Hat man viele Teammitglieder, denen es individuell nicht gut geht, wird das einen Einfluss auf das Team und damit auch einen Einfluss auf das Arbeiten, also auf das Business haben. Gibt es im Team Mobbing, so wird sich das auf mindestens ein Individuum des Teams negativ auswirken, wahrscheinlich wird es aber noch weitere Teammitglieder schwächen und dadurch Einfluss auf das Business haben. Wenn sich das Business verändert (durch Verkauf, eine neue Führung, neue Rahmenbedingungen etc.), kann das zu Verunsicherung im Team führen, sodass Individuen kündigen, wodurch sich das Team wieder verändert, was wiederum eine Rückkopplung auf die Arbeit an sich haben kann.
Resiliente Führung
Resiliente Führung kennt diese Zusammenhänge und setzt bewusst an mindestens einer dieser Ebenen, besser an allen an, und zwar konstruktiv, lösungsorientiert, zukunftsorientiert, personenzentriert etc.
Ziel ist es, eine erfolgreiche Unternehmung aufzubauen und am Laufen zu halten, was nur mit einem nachhaltig und langfristig funktionsfähigen Team gelingen wird, das seinerseits aus starken und gestärkten Individuen besteht.
Führung hat einen enormen Einfluss auf Prozesse, Strukturen, Regeln, Kommunikation, Feedback, Weiterentwicklungen von Stärken und vor allem auf die Kultur und das Arbeitsklima. Führung geht allerdings nicht nebenbei. Führung braucht Zeit, eine Strategie, eigene Reflexion, Werte etc.
Auch wenn die Aufgaben, die mit Führung verbunden sind, zunächst nicht „produktiv“ im Sinne des Handwerks sind, so wird sich gute Führungsarbeit auf längere Sicht auch finanziell positiv auswirken. Eine gute/resiliente Führung ist eine Investition in das eigene Labor. Verpasst man die bewusste Führung, lässt man ein wichtiges Tool für sein erfolgreiches Labor ungenutzt links liegen. Denn hohe Fluktuation und fehlendes Personal führen zu Problemen bei den Abläufen. Es können weniger Praxen bedient werden, es kommt eher zu Fehlern und Unsicherheiten (auch auf Kundenseite) und es kostet viel Zeit und Geld, neues Personal zu finden und einzuarbeiten.
Führung braucht Zeit
Daher die klare Empfehlung: Als Geschäftsführer eines Dentallabors muss man sich bewusst um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern, und das nicht neben der Abrechnung oder mit dem Handstück im Anschlag. Am besten plant man für sich feste Zeiten ein, um Führungsaufgaben zu erledigen. Je größer das Labor ist, desto mehr Zeit sollte man einplanen. Hier kann es auch sinnvoll sein, eine Stelle für Personalaufgaben zu schaffen. Allerdings entbindet diese Position einen selbst nicht von der Verantwortung, Führung aktiv zu gestalten.
Führung bedeutet aber nicht nur Arbeit, Führung ist auch eine Chance. Wenn man die Führungsrolle nicht wahrnimmt, wird einem das früher oder später auf die Füße fallen. Und dann muss man umso mehr Zeit investieren, um die vielen kleinen und großen Probleme zu lösen.
Eine besondere Herausforderung unter dem Resilienz-Gedanken ist eine Laborübernahme durch eine/n neue/n Inhaber oder die Laborweitergabe an die nächste Generation. Hier wird sich ohnehin ganz viel verändern. Die klare Empfehlung ist, diese Veränderungen bewusst zu gestalten und nicht irgendwie nebenher, unreflektiert laufen zu lassen. Ganz wichtig dabei: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten möglichst mitgenommen werden, wenn es um Veränderungen geht.
All das muss man als Führungskraft nicht alleine machen. Man kann sich einen Coach suchen oder sich bei Veränderungen von Experten unterstützen lassen, die passende Workshops durchführen oder in Sachen Führungsstrategie und Herausforderungen mit externem Blick und guten Reflexionsfragen zur Seite stehen.
Ein erster sinnvoller Schritt kann sein, sich der eigenen Werte bewusst zu werden, eine Idee von seinem inneren Kompass zu bekommen. Was ist mir wichtig? Lebe ich diese Werte? Wie lebe ich diese Werte? Ist meinem Team klar, dass ich diese Werte habe? Welche Werte haben meine Team-Mitglieder? Welche Werte wollen wir als Dentallabor leben und wie wollen wir das konkret machen? Und schließlich: Welche Werte haben unsere Kunden?
Die acht Bausteine der Resilienz
Die acht Resilienzbausteine, die ich in meinem Buch „Das Leben so: NEIN, ich so: DOCH! – Wie du besser mit Stress, Krisen und Schicksalsschlägen umgehst“ auf individueller Ebene beschreibe, lassen sich im Arbeitskontext auch auf ein Team übertragen und auch auf das Unternehmen/das Businessmodell übertragen. Diese Bausteine geben eine erste Idee, wo man ansetzen kann, sowohl bei sich selbst, als auch bei den einzelnen Personen, beim Team als Ganzes oder eben beim Unternehmen.
Die acht Resilienzbausteine im Überblick
- Resilienzbaustein: Verantwortungsübernahme – wenn Dir das Leben Zitronen schenkt, kannst Du trotzdem Erdbeeren essen.
Nimm keine Opferhaltung ein, denn sie schwächt wie Kryptonit. Sieh Dich als Gestalter Deines Lebens an. Dafür ist es wichtig, Verantwortung für Dein Leben zu übernehmen.
- Resilienzbaustein: Akzeptanz – Schicksal, ich wär dann so weit!
So lange wir das Negative und die Probleme nicht akzeptieren, leben wir in einer Fantasiewelt. Wir verschließen die Augen vor der Realität und damit auch vor den Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Durch Akzeptieren werden wir handlungsfähig. Übrigens: Ein anderes Wort für akzeptieren ist loslassen.
- Resilienzbaustein: Zukunftsorientierung – Mach das Leben zu einer Party, auch wenn Du Dich nicht eingeladen fühlst.
Zukunftsorientierung bedeutet, nach vorne zu schauen und für das bereit zu sein, was es (noch) zu entdecken, zu erleben und erreichen gibt. Wer zukunftsorientiert ist, hat Ziele, kennt seine Werte und sein Warum, ist bereit aktiv zu werden und bei Rückschlägen einen Plan B zu entwickeln.
- Resilienzbaustein: Lösungsorientierung – Es ist nicht leicht, ein Stachelschwein zu kitzeln, unmöglich ist es aber nicht.
Um aus dem Labyrinth der Schwierigkeiten herauszufinden, braucht es ein Umdenken: Nicht die Probleme stehen im Mittelpunkt, sondern die Lösungen. Lösungsorientiertes und konstruktives Denken lässt sich erlernen und bewusst anknipsen. Lösungsorientiert zu sein kann übrigens auch bedeuten, sich Hilfe zu suchen. Um Unterstützung zu bitten und sie anzunehmen, ist nicht schwach, sondern echt stark!
- Resilienzbaustein: Netzwerkorientierung – Niemand ist eine Insel.
Wir Menschen sind soziale Wesen. Andere Menschen sind wichtig für uns. In guten wie in schlechten Zeiten tun sie uns gut. Durch andere Menschen können wir uns zugehörig fühlen, erfahren, was Liebe ist, und bekommen Unterstützung in Krisenzeiten.
- Resilienzbaustein: Optimismus – Ich bin dann mal hin und weg von meinem Leben.
Durch unser Denken erschaffen wir uns unsere eigenen Realitäten. Niemand sieht die Welt, wie sie wirklich ist. Wir alle sehen sie durch unseren persönlichen Filter. Resiliente Menschen blicken hoffnungsfroh und positiv in die Zukunft und glauben an einen guten Verlauf der Dinge. Dadurch treffen sie mutigere Entscheidungen und kommen schneller ins Handeln.
- Resilienzbaustein: Selbstwirksamkeit – Was wäre, wenn Du stärker bist, als Du denkst?
Die Überzeugung, dass man sein Leben und die Dinge gestalten kann, weil das eigene Handeln wirklich etwas bewirkt, ist enorm wichtig, um überhaupt ins Handeln zu kommen. Selbstwirksame Menschen lassen sich nicht so leicht einschüchtern und kleinkriegen, sondern gehen davon aus, dass sie mit den Anforderungen des Lebens zurechtkommen.
- Resilienzbaustein: Erholung – Ey Stress, chill mal!
Gerade in stressigen und belastenden Lebensphasen ist es wichtig, regelmäßig Kraft zu tanken, seine Bedürfnisse achtsam wahrzunehmen und für Entspannung zu sorgen. Ein gutes Stressmanagement kann außerdem dabei helfen, zu verhindern, dass aus kleinen Probleme große werden.
René Träder
René Träder ist Psychologe (M.Sc.) und Journalist aus Berlin. Als Psychologe begleitet er seit elf Jahren Veränderungsprozesse von Einzelpersonen, Teams und Unternehmen mit Coachings, Workshops und Vorträgen. Zu seinen zentralen Themen gehören psychische Gesundheit und Veränderungsmanagement, Resilienz, Achtsamkeit, Stressmanagement und Kommunikation/Konflikte. Er wird regelmäßig als Interviewpartner für Radio, TV & Print angefragt und ist als Podcaster und bei YouTube zu den Themen psychische Gesundheit und bewusst leben aktiv.
Mehr unter www.renetraeder.de