Die digitale Welt verändert das Lernen wie kaum eine gesellschaftliche Entwicklung zuvor. Lernen findet zunehmend virtuell statt, ob als E-Lecture, MOOC, im "Flipped Classroom" oder durch Learning Apps. Doch wie gut sind die Bildungsinstitutionen in Deutschland darauf vorbereitet? Eine Studie hat dies untersucht.
Der "Monitor Digitale Bildung" der Bertelsmann Stiftung schafft hier erstmals eine umfassende und repräsentative empirische Datenbasis zum Stand des digitalisierten Lernens in den verschiedenen Bildungssektoren in Deutschland. Die Digitalisierung ist in den deutschen Hochschulen angekommen. Technisch sind diese zwar gut ausgestattet. Doch das volle Potenzial digitaler Medien in der Lehre bleibt laut "Monitor Digitale Bildung" oft ungenutzt.
Die meisten Hochschulen sind technisch gut gerüstet. 80 Prozent der Dozenten sind zufrieden mit der entsprechenden Ausstattung und der WLAN-Qualität an ihrer Hochschule. Von den Studenten erhält die IT-Ausstattung sogar noch bessere Noten. Die mit digitalen Medien angereicherte Lehrveranstaltung ist zum Normalfall geworden: 90 Prozent der Veranstaltungen werden heute durch digitale Elemente ergänzt. Didaktische Potenziale aber bleiben trotz guter Infrastruktur oft ungenutzt. So die Ergebnisse der Umfrage unter Studenten, Professoren und Mitarbeitern der Hochschulverwaltung für den "Monitor Digitale Bildung".
Während die meisten Lehrenden eher etablierte Technologien wie Power Point für Präsentationen und Lernmanagementsysteme für das Verbreiten von Materialien verwenden, benutzen die Studenten gerne neuere digitale Lernmittel. Gerade beim selbstorganisierten Lernen setzen viele auf Social Media: 42 Prozent nutzen Chat-Dienste, 41 Prozent Foren und Blogs und 29 Prozent Soziale Netzwerke, um zu lernen.
Lehramtsstudenten am wenigsten aufgeschlossen
Dennoch sind nicht alle Studenten digitalen Enthusiasten. Zwar wünschen sich mehr als 80 Prozent von ihnen digitale Medien und Videoangebote rund um die Lehrveranstaltung – nicht zuletzt deswegen, weil sie dadurch selbstständiger unter verschiedenen Lernangeboten wählen können.
Doch während jeder fünfte Student findet, dass Lehrveranstaltungen ausschließlich mit digitalen Medien durchgeführt werden sollten, ist die "gute alte Wandtafel" weiterhin das beliebteste Lern- und Unterrichtsmittel. Für Studenten sind weniger die Medien selbst entscheidend, sondern dass das Lehrpersonal fachlich geeignet ist, sie zu nutzen.
"Es nutzt überwiegend die Medien, die von der Hochschule angeboten werden." Von allen Fachgruppen am wenigsten aufgeschlossen gegenüber digitalen Medien sind die Lehramtsstudenten: „Lehramtsstudenten sollten die Digitalisierung in die Schulen tragen. Allerdings nutzen gerade sie die digitalen Medien weniger zum Lernen als andere. Wenn sie es tun, motiviert sie das auch noch weniger als die Mitstudenten aus anderen Fachbereichen“, erläutert Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung und Geschäftsführer des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE).
Spaltung in digitale Verfechter und analoge Skeptiker
Dozenten halten sich nicht nur bei der Anwendung innovativer Lernformate zurück. Sie hegen große Skepsis gegenüber Wissensvermittlung durch Videos (86 Prozent), sehen ungelöste rechtliche Probleme (62 Prozent) und beklagen den hohen Aufwand in der Vorbereitung (60 Prozent). Außerdem fühlen sich 60 Prozent der Dozenten durch Tablets oder Laptops gestört, wenn die Studenten sie während ihrer Lehrveranstaltung nutzen.
Digitale Planspiele und Simulationen sowie elektronische Übungen und Tests, die allesamt individuelle Förderung ermöglichen würden, baut nur jeder vierte Dozent in seine Lehrveranstaltungen ein. Eine gesamte Vorlesungsreihe als abrufbares Video produzieren gerade einmal 2 Prozent der Professoren. Diese Massive Open Online Courses (MOOCs) spielen demnach in der akademischen Lehre an deutschen Hochschulen so gut wie keine Rolle. Allerdings: In der akademischen Weiterbildung werden sie gerne genutzt. Etwa 10 Prozent der Hochschulen setzen auf vollständig digitalisierte Weiterbildungsangebote.
Die Mehrheit der Hochschulleiter und Verwaltungsmitarbeiter sieht die Lehrenden und Studenten als die wichtigsten Treiber für den digitalen Wandel an ihren Hochschulen.
Konkrete Strategien fehlen
Unter Hochschulleitungen und Verwaltungsmitarbeitern bilden sich zwei gleich große Lager digitaler Verfechter und analoger Skeptiker. Mehr als die Hälfte der Hochschulmanager fühlt sich zwar für die digitale Infrastruktur verantwortlich, setzt bei deren Anwendung aber stärker auf Professoren, Dozenten und Studenten als auf sich selbst. An konkreten Strategien für einen systematischen Einsatz digitaler Medien mangelt es vielerorts.
Dabei sehen viele Rektoren und Dezernenten durchaus große Chancen in der Digitalisierung. Etwa 70 Prozent der Befragten sind überzeugt, dass sich durch digitale Lösungen nicht nur die wachsende Anzahl von Studenten bewältigen lässt, sondern auch ihre zunehmende Vielfalt. Als wichtiger sehen aber selbst Verfechter der Digitalisierung Themen wie steigende Studentenzahlen, Internationalisierung und Wettbewerb an. Dabei ließen sich diese Herausforderungen mit digitaler Unterstützung leichter angehen. Dräger erläutert: „Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Sie muss sich mit Zielen, Zielgruppen und Profil der jeweiligen Hochschule verbinden. Digitalisierung ist kein weiteres Problem, sondern Teil der Lösung für bessere Lehre.“
Kostenloser Download des "Monitor digitale Bildung" unter bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/monitor-digitale-bildung