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Viele offene Fragen zu direkten Füllungsmaterialien

Oralmedizin kompakt – Update: Nach Amalgam-Aus stehen Materialempfehlungen auf dünnen Beinen

Amalgam darf ab Januar nicht mehr verwendet werden, eine mögliche Fristverlängerung bis Juni 2026 wurde vom Bundesgesundheitsministerium nicht genutzt [1]. Als Ersatz erstattet die gesetzliche Krankenversicherung laut KZBV-Medienmitteilung die Versorgung mit „selbstadhäsiven Materialien“ oder „in Ausnahmefällen“ mit Bulk-Fill-Kompositen [2]. 

Kurz und klar

  • In der GKV dürfen laut Richtlinie nur „anerkannte (…) Füllungsmaterialien gemäß ihrer medizinischen Indikation angewendet werden.“
  • In Ausnahmefällen sind auch adhäsive Füllungen möglich, zum Beispiel mit Bulk-Fill-Materialien.
  • Glasionomere oder andere zahnfarbene Materialien sind laut deutscher Leitlinie nur für nicht belastete Klasse-II-Kavitäten indiziert.
  • Eine US-amerikanische Empfehlung schließt Milchzahnversorgungen ein und ist materialbezogen sehr offen formuliert.
  • Auf schwacher Datenbasis sind Komposite auch für Höckerersatz geeignet, versagen aber häufiger in Folge von Sekundärkaries.
  • Amalgam kann laut EU-Richtlinie mit medizinischer Begründung weiter verwendet werden.
  • In einer US-amerikanischen Studie wird für sozial vulnerable Patientengruppen auch eine verstärkte Kariesprävention empfohlen. 

Bei der für die Bema-Nummer 13 angepasste Richtlinie scheint mit Blick auf die weiterhin geltende Mehrkosten-Option eine einfache Verarbeitung entscheidend zu sein. Selbstadhäsive Komposite oder vergleichbare Materialien sind jedoch bisher kaum verfügbar und unzureichend dokumentiert [3]. Weiter entwickelte Glasionomere sind nur für kleine Klasse-II-Füllungen indiziert und damit als Amalgamersatz nach wie vor ungeeignet [4]. Zu neuen selbsthärtenden Kompositen und ionenfreisetzenden Materialien, die jeweils eine Primer-Anwendung erfordern, gibt es noch kaum oder keine Studien [3]. Auch für die inzwischen etablierten Bulk-Fill-Kompositen fehlen Langzeitdaten [5].

Komposite bedingt indiziert

Die nicht optimale Datenlage gilt, wenn auch weniger schwerwiegend, auch für die etablierten lichthärtenden Komposite. Daher enthält die in diesem Jahr vorgestellten deutsche Leitlinie zur Kompositverwendung in großen Kavitäten und für Höckerersatz nur eine „offene“ Empfehlung [4]. In einer Reihe systematischer Reviews und größerer Kohortenstudien zeigen Kompositfüllungen einschließlich Bulk-Materialien eine insgesamt mit Amalgam vergleichbare Prognose nach bis zu 15 Jahren [5-8]. Die entsprechenden Daten dienten als Grundlage für die grundsätzliche Empfehlung in der S3-Leitlinie und mutmaßlich für die Entscheidung von KZBV und gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) zur Kostenübernahme ab 1. Januar 2025. 

Kein Wort zum Kariesrisiko

Nicht berücksichtigt ist jedoch in den neuen Regelungen, dass Kompositfüllungen im Vergleich zu Amalgam ein erhöhtes Risiko für Sekundärkaries haben könnten [9, 10]. Es fehlt eine risikobezogene Empfehlung. Dieser Faktor hat nach einer systematischen Übersicht einen Anteil von 20 Prozent an der Versagensrate [7]. Da ein Großteil der einbezogenen Studien nicht den „Feldbedingungen“ in der täglichen Praxis entspricht, dürfte der Anteil bei Risikopatienten noch höher liegen. 

Sofern alternativ zu Kompositen verwendete Materialien keine kariesprotektiven Eigenschaften haben, ist das Risiko für Sekundärkaries in Folge von Frakturen zusätzlich erhöht. So wurden für Kompomere und Glasionomere im Kaukraft-tragenden Bereich Verlustraten von bis 20 Prozent (für Glasionomere) nach sechs Jahren ermittelt [7]. Dies dürfte in vielen Fällen zu vorzeitigen Wurzelkanalbehandlungen, Überkronungen oder Extraktionen führen.

Unscharfe Empfehlungen

Dennoch bleibt in der angepassten GKV-Richtlinie unklar, für welche Indikationen die neuen Materialien jeweils genau gelten sollen. Maßgeblich ist laut KZBV-Mitteilung im Rahmen der diesjährigen Jahrestagung weiterhin „die wissenschaftliche Basis gemäß Behandlungsrichtlinie“. Einen Schritt weiter in Richtung „liberale“ Auslegung geht eine aktuelle praxisbasierte Leitlinie der US-amerikanischen American Dental Association (ADA) zum Thema restauratives Karies-Management. 

Darin wird behauptet, dass indikationsbezogen „alle untersuchten Materialien (Komposite, Glasionomere, Amalgam, Anm. des Autors)  für die Behandlung mittlerer und großer kariöser Kavitäten in Milch- und bleibenden Zähnen geeignet sein könnten“ [11]. Zu berücksichtigen seien Patientenwünsche und die Frage, ob eine Trockenlegung möglich und ausreichende Kooperation gegeben ist.

Amalgam „sozialer“ Rettungsanker?

Auch in den USA spielt Amalgam als Füllungsmaterial eine immer geringere Rolle. Angesichts der Probleme verfügbarer Werkstoffe sollte daher im Interesse von vulnerablen Patienten, weiter an der Entwicklung alternativer Materialien gearbeitet werden [12]. Als vulnerabel gelten nach der ebenfalls im Journal der ADA erschienenen Publikation Patienten mit geringem Einkommen oder besonderen Risiken, zum Beispiel aufgrund von Schwangerschaft, neurologischer Erkrankungen oder eingeschränkter Nierenfunktion. Neben materialbezogener Forschung seien auch Maßnahmen wichtig, mit denen Karies primär vermieden werden kann.

Unter großem Zeitdruck entstanden

Fazit: Die neuen Bestimmungen zur Regelleistung für direkte Seitenzahnfüllungen entstanden unter großem Zeitdruck. Angesichts unzureichender Datenlage zu möglichen Ersatzmaterialien für Amalgam merkt man ihnen das leider auch an. Insofern ist es erfreulich, dass die im Juli in Kraft getretene EU-Quecksilber-Verordnung ihren Mitgliedsstaaten ausdrücklich die Einfuhr von Amalgam erlaubt – auch über die aktuellen Fristen hinaus. Dies gilt für den relevanten Fall, dass Zahnärzte eine Amalgamverwendung „zur Deckung spezifischer medizinischer Erfordernisse“ als notwendig ansehen [13]. Bei großen Kavitäten und erhöhtem Kariesrisiko in einkommensschwachen Patienten könnte dies aus fachlicher Sicht durchaus noch für viele Jahre der Fall sein.

Amalgame waren zum Recherche-Abschluss für diesen Beitrag noch bei mehreren Dentalhändlern verfügbar. Ob es ein Importverbot für Amalgam geben wird, bleibt abzuwarten. Das könnte auch für Auslegungs-Details gelten, die noch zwischen GKV und KZBV auszuhandeln sind [1]. Das Thema wird in den nächsten Monaten, auch im Rahmen der IDS, sicher noch für lebhafte – und hoffentlich fachlich fundierte – Diskussionen sorgen.

Dr. Jan H. Koch, Freising

Der Autor erklärt, dass er in Verbindung mit diesem Beitrag keine Interessenkonflikte hat.
Hinweis: Beiträge in der Rubrik Oralmedizin kompakt können nicht die klinische Einschätzung der Leser ersetzen. Sie sollen lediglich – auf der Basis aktueller Literatur und/oder von Experten-Empfehlungen – die eigenverantwortliche Entscheidungsfindung unterstützen. 

Mehr zum Thema: 

Evidenzlücke mit Leitlinie zu Kompositrestaurationen geschlossen 

Komposit mit doppeltem Risiko für Sekundärkaries
 

Titelbild: Tanapat Lek,jew – stock.adobe.com

Dr. Jan H. Koch

Dr. med. dent. Jan H. Koch ist approbierter Zahnarzt mit mehreren Jahren Berufserfahrung in Praxis und Hochschule. Seit dem Jahr 2000 ist er als freier Fachjournalist und Berater tätig. Arbeitsschwerpunkte sind Falldarstellungen, Veranstaltungsberichte und Pressetexte, für Dentalindustrie, Medien und Verbände. Seit 2013 schreibt Dr. Koch als fester freier Mitarbeiter für die dzw und ihre Fachmagazine, unter anderem die Kolumne Oralmedizin kompakt.

Mitglied seit

7 Jahre 2 Monate

Literatur

[1] Patatzki J. Amalgamverbot ab 2025: Was bedeutet das für den zahnärztlichen Praktiker ZWP. 2024(11):56-7. https://www.zwp-online.info/zwpnews/wirtschaft-und-recht/praxismanagement/amalgamverbot-ab-2025-was-bedeutet-das-fur-den-zahnarztlichen-praktiker 
[2] KZBV. Trotz Amalgam-Verbot ab 1. Januar 2025: Gemeinsame Selbstverwaltung sorgt für Erhalt einer umfassenden GKV-Versorgung https://www.kzbv.de/RSS-Feed-Link.1876.de.html . 2024.
[3] Frankenberger R, Hickel R, Schmalz G, et al. Amalgamersatz – Aktueller Stand zu selbstadhäsiven plastischen Füllungsmaterialien. Quintessenz. 2024;75(9):649-62. 
[4] DGZ, DGZMK. S3-Leitlinie (Langfassung). Direkte Kompositrestaurationen an bleibenden Zähnen im Front- und Seitenzahnbereich. AWMF-Registernummer: 083-028; Stand: Januar 2024, gültig bis: Januar 2029 https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/083-028 . 2024.
[5] de Menezes AJO, do Nascimento Barbosa L, Leite JVC, et al. Clinical Outcomes of Bulk-Fill Resin Composite Restorations: A 10-Year Mapping Review and Evidence Gap Map. J Esthet Restor Dent. 2024. Epub 20241027. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/39462873  
[6] Hofsteenge JW, Scholtanus JD, Ozcan M, et al. Clinical longevity of extensive direct resin composite restorations after amalgam replacement with a mean follow-up of 15 years. J Dent. 2023;130:104409. Epub 20230106. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/36623686  
[7] Heintze SD, Loguercio AD, Hanzen TA, et al. Clinical efficacy of resin-based direct posterior restorations and glass-ionomer restorations - An updated meta-analysis of clinical outcome parameters. Dent Mater. 2022;38(5):e109-e35. Epub 20220224. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/35221127  
[8] Schwendicke F, Gostemeyer G, Blunck U, et al. Directly Placed Restorative Materials: Review and Network Meta-analysis. J Dent Res. 2016;95(6):613-22. Epub 20160224. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26912220  
[9] Worthington HV, Khangura S, Seal K, et al. Direct composite resin fillings versus amalgam fillings for permanent posterior teeth. Cochrane Database Syst Rev. 2021;8(8):CD005620. Epub 20210813. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/34387873  
[10] Nedeljkovic I, De Munck J, Vanloy A, et al. Secondary caries: prevalence, characteristics, and approach. Clin Oral Investig. 2020;24(2):683-91. Epub 20190523. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/31123872  
[11] Dhar V, Pilcher L, Fontana M, et al. Evidence-based clinical practice guideline on restorative treatments for caries lesions: A report from the American Dental Association. J Am Dent Assoc. 2023;154(7):551-66 e51. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/37380250  
[12] Lamsal R, Estrich CG, Sandmann D, et al. Declining US dental amalgam restorations in US Food and Drug Administration-identified populations: 2017-2023. J Am Dent Assoc. 2024;155(10):816-24. Epub 20240907. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/39243252  
[13] Europäische Union. VERORDNUNG (EU) 2024/1849 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 13. Juni 2024, zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/852 über Quecksilber im Hinblick auf Dentalamalgam und andere mit Quecksilber versetzte Produkte, die Ausfuhr-, Einfuhr- und Herstellungsbeschränkungen unterliegen https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=OJ:L_202401849&qid=1732635685035 . 2024.