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„Zahnersatz im Altersheim ist ein lohnenswertes Feld“

Dr. Dirk Bleiel im Gespräch mit einem seiner Patienten, die er im Altenheim behandelt.

Dr. Dirk Bleiel im Gespräch mit einem seiner Patienten, die er im Altenheim behandelt.

„Es gibt noch viel zu tun: Packen wir's an.“ Der alte Werbeslogan des Mineralölkonzerns Esso lässt sich perfekt auf den Status Quo der Seniorenzahnmedizin anwenden. Passiert ist zwar viel. Aber noch nicht genug. Eine Bestandsaufnahme: Jede fünfte Einrichtung hat mittlerweile einen Kooperationsvertrag, Tendenz steigend. Ab Januar könnte im Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals verankert werden, dass die Zusammenarbeit von Zahnärzten mit Pflegeheimen verpflichtend werden soll. Ob das realistisch ist? „Das kann ich mir kaum vorstellen“, sagt Dr. Dirk Bleiel. „Wie soll das funktionieren? Und welche Sanktionen kann es geben, wenn ein Zahnarzt oder ein Heim keine Kooperation eingehen?“ Kopfschüttelnd sagt er: „Das halte ich für ein zweifelhaftes Konzept.“

Der Spezialist für Seniorenzahnmedizin sucht an einem Vormittag pro Woche ein Heim für Pflegebedürftige auf. Durchschnittlich behandelt er dort zehn Patienten. Viele von ihnen sind dement, die Untersuchung deswegen nicht immer einfach. Trotzdem liebt er seinen Beruf und engagiert sich mit Herzblut für die Senioren. Die Vorurteile der Kollegen kennt er allerdings auch. „Zu unwirtschaftlich, zu gefährlich. Das höre ich am häufigsten“, konstatiert er.

Eine Entscheidungshilfe für die mobile Prothetik basierend auf dem Allgemeinzustand des Patienten.

Eine Entscheidungshilfe für die mobile Prothetik basierend auf dem Allgemeinzustand des Patienten.

Moment mal – gefährlich? „Die Multimorbidität vieler Heimbewohner schränkt uns in den Behandlungsmöglichkeiten ein. Wegen der Wechselwirkungen der vielen Medikamente“, erklärt Dr. Bleiel. Dabei sind gerade diese Probleme händelbar: „Ich sichere mich folgendermaßen ab: Den Internisten oder Hausärzten meiner Patienten schicke ich per Fax ein Formblatt. In das können sie die Medikation und Wechselwirkungen eintragen sowie beantworten, ob der Patient aus zahnmedizinischer Sicht therapierbar ist. Wegen der DSGVO muss man nur vorab den Patienten fragen, ob man den Arzt kontaktieren darf. Es gibt aber auch Angehörige, die sich darum kümmern und mir die Liste besorgen.“

Als Vorbereitung auf den Heimbesuch nutzt er außerdem das Programm MIZ-Dental, das speziell für Zahnärzte entwickelt worden ist. Es zeigt nach dem Ampelsystem an, welche Eingriffe bei welcher Medikation möglich sind. „So bekommt man mit einem Mausklick quasi einen guten Überblick, wie belastbar ein Patient ist“, erklärt Dr. Bleiel. Auch Google und Co. helfen weiter: Die Apotheken-Umschau bietet eine umfangreiche Übersicht, die Rote Liste lässt sich als App aufs Handy laden.

Nicht alles in soziales Engagement

Unwirtschaftlich sei das Engagement für die Senioren nicht. „Natürlich sind die Implantologie und gerade auch die Prothetik immer noch am lukrativsten. Aber laut einer Studie von Prof. Ina Nitschke, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnheilkunde, sind rund 65 Prozent der Prothesen in Altersheimen mangelbehaftet. Da gibt es viel zu tun für uns, es ist durchaus ein lohnenswertes Feld.“

Eine teure mobile Einheit benötigt man, wenn man sich in der aufsuchenden Betreuung engagieren möchte, anfangs ebenfalls nicht zwingend. „Man kann auch ohne viel machen, das wirtschaftlich interessant ist. Zum Beispiel ist es nicht schwierig, Zahnersatz zu reparieren. Eigentlich brauche ich nicht viel mehr als zwei große Silikonkartuschen und Abdrucklöffel, um einen Zahnersatz umzugestalten. Investieren sollte man außerdem in ein Handstück und eine Fräse, die für rund 300 Euro zu haben sind. Die braucht man einfach, um Kunststoff oder Druckstellen wegzufräsen.“

Dr. Dirk Bleiel ist Spezialist für Seniorenzahnmedizin. Einmal pro Woche behandelt er Patienten im Altenheim.

Dr. Dirk Bleiel ist Spezialist für Seniorenzahnmedizin. Einmal pro Woche behandelt er Patienten im Altenheim. 

Wer einen Schritt weiter geht und sich doch eine mobile Einheit anschaffen möchte, kann ebenfalls aufatmen. „Die meisten Modelle auf dem Markt sind unhandlich und schwer. Offenbar ist das zur Industrie durchgedrungen. Denn bald bringt die Firma NSK die neue Einheit Via ace auf den Markt. Sie wiegt nur acht Kilo und kann wie eine Umhängetasche mitgenommen werden“, erklärt Dr. Bleiel.
Ist es vielleicht denkbar, sich sogar ganz ohne Praxis eine rein mobile Tätigkeit aufzubauen, um quasi als Vollzeit-Seniorenzahnmediziner seine Brötchen zu verdienen? „Das ist durchaus vorstellbar, allerdings in Deutschland definitiv noch Zukunftsmusik wegen der Residenzpflicht. Damit tun sich die KZVen noch schwer. Und auch die Genehmigung für mobiles Röntgen ist aufgrund zahlreicher Vorschriften ein großes Problem. In einigen Nachbarländern sind sie da schon weiter“, erklärt Dr. Bleiel. 

Was bringt Paragraf 22a?

Grundsätzlich gilt: Es ist immer noch wirtschaftlicher und ergonomischer, in einer Praxis zu arbeiten, in der der Behandler von Zimmer zu Zimmer geht. „Wenn man rausfährt, ist man selbst der Wartende. Man muss einen Parkplatz suchen, sein Material ins Zimmer der Patienten transportieren, auspacken, den Patienten, der vielleicht im Rollstuhl sitzt, behandeln und dann wieder einpacken. Bis man beim nächsten Zimmer angelangt ist und das gleiche von vorne losgeht. Das hält auf und ist natürlich sehr zeitaufwendig. Aber dafür haben wir ja auch die Zuschlagspositionen bekommen.“ Apropos Positionen. Spülen die dank Paragraf 22a neu hinzugekommenen Ziffern jetzt deutlich mehr Geld in die Kassen der Zahnärzte? „Eigentlich handelt es sich dabei um Leistungen, die bislang nur in den Kooperationsverträgen enthalten waren und die nur umgeschrieben worden sind. Sie heißen jetzt halt 174a, b und 107a. Ein Novum ist allerdings, dass diese Positionen für alle Bereiche geöffnet wurden, sprich, dass man keinen Kooperationsvertrag haben muss, um sie abrechnen zu können. Anwenden kann ich sie also ab sofort ohne Kooperationsvertrag in der eigenen Praxis, bei einem Hausbesuch oder bei der Behandlung in einer Einrichtung. Diese Novellierung stärkt zwar nicht oder nur unwesentlich die Kooperationsverträge, ist aber ein Schritt in die richtige Richtung.“

Was bringt Paragraf 22a dann also? Und welchen Mehrwert hat er? „Er bringt schon viel, und die Hoffnung ist, dass es eine ähnliche Erfolgsstory wird, wie damals die Einführung der IP-Positionen bei den Kindern. Und Anspruch auf die Leistungen haben jetzt neben den pflegebedürftigen Senioren auch Menschen mit Behinderungen, die Eingliederungshilfe erhalten. Damit sind Menschen gemeint, die im Alltag wieder Fuß fassen sollen“, sagt Dr. Bleiel. Der Anreiz ist also prinzipiell da, sich zu engagieren.

Wer kann die aufsuchende Betreuung leisten?

Kann das eigentlich jeder? Einfach so? „Sinnvoll ist, einen festen halben Tag pro Woche regelmäßig für die aufsuchende Betreuung einzuplanen. Dann wissen die Stammpatienten und Pflegekräfte Bescheid. Als Einzelkämpfer ist es allerdings kaum möglich, weil man die eigene Praxis für die Zeit ja nicht einfach schließen kann. Aber der Trend geht ja ohnehin zu Mehrbehandlerpraxen. Und es muss auch die Aufgabe der immer mehr werdenden MVZ sein, Kollegen für die aufsuchende Betreuung einzustellen.“ Senioren werden schließlich in Zukunft die Haupteinnahmequelle der Zahnmediziner sein. Es ist also an der Zeit, sich für einen zahnmedizinischen Bereich, der vielleicht nicht jedem Kollegen schmeckt, zu öffnen. Dort gibt es viel zu tun. Funktionieren kann es aber nur, wenn alle mit anpacken.


Dieser Artikel ist Teil unseres Schwerpunktes "Patienten mit Beeinträchtigungen".