Vom 30. Mai bis 1. Juni trafen sich Teilnehmer dreier Fachtagungen unter dem Dach des DGCZ Digital Summit in Köln. Neben dem Cerec Masterkurs und der DGCZ-Jahrestagung setzte die Arbeitsgemeinschaft Dynamisches Digitales Modell (DDM) mit ihrer Dentalen SynOptic entscheidende Akzente im Gesamtprogramm der Veranstaltung. Die Beiträge namhafter Referenten aus der digitalen Zahnmedizin präsentierten das Aktuellste aus der wissenschaftlichen Forschung und formulierten realistische Visionen für die Praxis der Zukunft. Am zweiten Kongresstag wurden die Praxispreise 2024 verliehen.
Scanner können mehr
Der auf der Mitgliederversammlung der AG DDM neu gewählte Vorsitzende Dr. Ingo Baresel gab zunächst einen Überblick über den mittlerweile sehr großen Markt an Intraoralscannern und stellte dann die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten vor. „Mit dem IOS ist nahezu alles möglich. Wir können gar nicht so schnell scannen wie die Daten erhoben werden“, begann er seine Ausführungen. Von der Erfassung minimaler Veränderungen an Hart- und Weichgewebe und deren Verlaufskontrolle (DDM) über Outcome-Simulationen bis zur Kariesdetektion mit NIRI (Near-Infra-Red-Imaging) könne der Intraoralscanner heute so viel mehr als nur abformen.
Laut Baresel ist der Intraoralscanner mit dem Dynamischen Digitalen Modell und KI-gestützter Software eines der essenziellen Tools in Zahnerhaltung, Parodontologie und Prothetik. Auch in der Kieferorthopädie habe sich der intraorale 3-D-Scan längst sowohl für die Diagnostik und das Monitoring als auch für die digitale Konstruktion von Apparaturen etabliert. Schließlich betonte Baresel die Rolle des DDM in der Qualitätssicherung der Zahnmedizin und forderte auf: „Digitale Abformung ist die Gegenwart. Just do it!“
Woher weiß KI, was sie weiß?
Prof. Dr. Dr. Albert Mehl (CH-Zürich) zählt als Zahnarzt und Physiker zu den führenden Wissenschaftlern in der Scanner- und CAD/CAM-Technologie. In seinem Vortrag definierte er zunächst den Begriff „künstliche Intelligenz“ (KI) und differenzierte die darin inkludierten einzelnen Verfahren wie „autonomes Entscheiden“, „deep learning“ und „machine learning“. Als Beispiel führte er die zu den generativen wissensbasierten Modellen gehörende „Biogenerik“ an. Sie sei als Modell für die Zahnmorphologie bereits seit 2002 im Einsatz und an 10.000 natürlichen Zähnen trainiert worden.
Derzeit ist Mehl an der Entwicklung einer neuen KI-gestützten Lösung für den Intraoralscanner beteiligt (Dentexion), die es erlaubt, einzelne Strukturen, Morphologie, Nerven, und Zähne aus einem 3-D-Kiefermodell zu segmentieren. Eine solche Lösung, so Mehl, verspreche vor allem für die Befundung und in der Patientenkommunikation signifikante Vorteile. Dennoch sei der Entwicklungsaufwand groß, denn man brauche für eine gute Annotation – das Anlernen der Maschine – „eine sehr hohe Anzahl an Trainings- und Validierungsdaten“.
KI ermöglicht Risikoprofil und Frühwarnsystem
Als Anwender von Dentexion führte Dr. Frederic Hermann (Zug, Schweiz) aus, welche Verfahren sich mit dem KI-gestützten System in der Praxis realisieren lassen. In den Bereichen der digitalen Analyse und Diagnostik sowie für Verlaufskontrollen und in der Patientenberatung sieht er ein großes Potenzial. Als Grundlage seiner Arbeit mache er grundsätzlich bei jedem neuen Patienten einen „digitalen Ur-Scan“, um ein Risikoprofil erstellen und den Patienten bestmöglich begleiten zu können.
Mit der neuen Lösung sei ein cloudbasiertes reales Monitoring möglich, das die freigestellten Strukturen und Zähne automatisch analysiere. So ließen sich etwa Volumenveränderungen nach Extraktion eines Zahnes sowie Veränderungen des Kieferkamms nach chirurgischen Eingriffen präzise erfassen, beobachten und ein Behandlungsbedarf frühzeitig formulieren. Damit sei das DDM-Monitoring ein „präventives, Evidenz basiertes Frühwarnsystem“.
Digitale Funktion? Geht doch!
Prof. Dr. Bernd Kordaß (Greifswald) und der Mathematiker Dr. Sebastian Ruge (Greifswald) stellten in ihrem Vortrag die Möglichkeiten der digitalen Funktionsanalyse vor. Wie komplex die Entwicklung entsprechender Analyse-Systeme ist, verdeutlichte Kordaß anhand der gezeigten Diagramme: „Digitale Funktion entwickelt sich in einem sehr dynamischen Prozess, wo wir Punktewolken und Dreiecksnetze haben, die im Dschungel der Verzahnung miteinander interagieren“.
Ruge formulierte die Anforderungen an eine digitale Okklusionsanalyse. Bislang würde der Intraoralscan mit einem externen computergestützten Messsystem gekoppelt. Die derzeitige Software-Entwicklung könne das dreidimensionale Bewegungsprofil des Condylus sowie die Bewegung des Unterkiefers sichtbar machen. Kordaß erläuterte die Relevanz der Kiefergelenksanalyse. Mit dem Ziel der Entlastung des Kiefergelenks müssten physiologische Öffnungs- und Schließbewegungen genau erfasst werden, damit sie „in Bezug auf die Einstellung von Kieferrelationsbestimmungen mehr Präzision im Einzelnen erfahrbar werden lassen“.
Theorien in der Praxis: Konkrete Fälle und Anwendungen
Der Kongress-Nachmittag war für die konkrete Anwendung reserviert. So stellten Dr. Stefan Reiz (Köln) und Dr. Florian Boldt (Dinkelsbühl) Fälle aus ihrer jeweiligen Praxis vor. Anhand einer Bisslagenkorrektur in Kombination mit einer Totalsanierung erläuterte Reiz die einzelnen Behandlungsschritte, die er mit digitalen Lösungen vorgenommen hatte: Eine Schiene in neuer Bisslage, Langzeitprovisorien zum „Probefahren“, die definitive Restauration sowie das Monitoring zur Sicherung des erreichten Behandlungsziels. In der KfO-Praxis von Boldt sind sowohl chairside- als auch labside-Workflows seit langem etabliert. Boldt scannt mit einer VR-Brille und setzt auch Facescan ein.
Bestimmte kieferorthopädische Materialien vom Positioner bis zum Aligner fertigt er selbst mittels 3-D-Druck. Dabei managt seine Digitale Fachassistentin den kompletten Workflow eigenständig. Die Zukunft sieht er im virtuellen Raum, wo er mit Kollegen per VR-Brille und haptischem Controller zum Beispiel Modelle analysieren kann.
Dr. Dirk Ostermann (Hannover) präsentierte Fallbeispiele aus juristischer und wirtschaftlicher Perspektive. Zunächst betrachtete er das Digitale Modell unter einem urheberrechtlichen Gesichtspunkt. Was vielen Anwendern nicht bewusst ist: Die Scans von Patienten unterliegen dem Datenschutz und Urheberrecht. Wer sie zu Präsentations- oder Forschungszwecken nutzen möchte, muss mit den Patienten eine schriftliche Vereinbarung treffen. Auf Resonanz stieß auch der wirtschaftliche Aspekt. Ostermann verriet, wie sich Positionen aus der digitalen Zahnmedizin „analog“ abrechnen lassen.
Unter dem Titel „Ohne DDM fehlt Dir was“ zog Zahnärztin Claudia Scholz (Kiel) zum Schluss der Vortrags-Sessions ein Fazit. Heute könne man Veränderungen im Mund „im Mikrometerbereich“ detektieren. Daher sei es eine „Herzensangelegenheit“ der AG DDM, den Basis-Scan als selbstverständliche Routine in der zahnärztlichen Kontrolluntersuchung „01“ zu etablieren. Zum einen diene er als Back-Up der Ausgangssituation, zum Beispiel im Falle eines Zahntraumas. Zum anderen könne man künftige Veränderungen vorhersagen und dadurch frühzeitig eine Therapie einleiten.
Rezidive sichtbar gemacht und genau vermessen
Der erste Praxispreis ging in diesem Jahr an PD Dr. Sarah K. Sonnenschein, Poliklinik für Zahnerhaltungskunde, Universität Heidelberg. Sie freute sich über 5.000 Euro Preisgeld für die Videodokumentation ihrer Arbeit „Fallbeispiel – Darstellung eines lokalen Parodontitisrezidivs“. Durch das Monitoring über 3-D-Modelle (Dynamisches Digitales Modell) konnten die Rezidive sichtbar gemacht und genau vermessen werden.
Der zweite Preis wurde geteilt und ging mit je 2.000 Euro Preisgeld an die RWTH Aachen und an die Charité Berlin. Prämiert wurde die Arbeit von Dr. Lukas Waltenberger (Aachen): „Scankataloge als Kommunikationstool“ sowie die Arbeit des Autorenteams von Prof. Dr. Florian Beuer aus Berlin: „Therapiekonzept nach Dahl im digitalen Workflow“.
Auf der DDM-Website stehen die Videodokumentationen aller Preisträger zur Verfügung.