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DZW Bonner Runde: „Dental 4.0, MVZ und Co.?“

Das analysierten, diskutierten und konkretisierten im Konstruktiv-Workshop Bonner Runde Zahnärztinnen und Zahnärzte mit Einzelpraxen sowie Betreiber zahnärztlicher MVZ mit Prof. Dr. Christoph Benz (BZÄK) und Thomas Bristle (KZBV) in der DZW-Redaktion – unter der Moderation des Unternehmensberaters Rudolf Weiper, der gemeinsam mit der DZW Initiator der Bonner Runde ist.

Weiper Flipchart

Die Moderation lag wie immer in den Händen von Unternehmensberater Rudolf Weiper, der gemeinsam mit der DZW Initiator der Bonner Runde ist.

Megatrends in der Zahnmedizin

Nach einem Startvortrag von MVZ-Gesellschafter, -Geschäftsführer und Zahnarzt Dr. Dr. Ruben Stelzner zum Thema „Megatrends in der Zahnmedizin“ diskutierten die Teilnehmer die Aspekte der neuen Praxisstrukturen. Dabei klar benannt wurde der langfristige Trend weg von der Einzelpraxis hin zu größeren Strukturen – dazu zählt auch schon die Gemeinschaftspraxis, wobei jedoch die Einzelpraxis immer noch die mit Abstand häufigste Praxisform ist.

Als Vorteile für MVZ wurden genannt, dass die Arbeit im Team zeitgemäßer ist für Zahnärzte, die Teilzeit oder als Angestellte arbeiten wollen, wirtschaftlicher ist durch die mögliche höhere Arbeitsteilung (weniger Verwaltungstätigkeit) und ein größeres Behandlungsspektrum und Öffnungszeiten abdecken kann. Das kommt der Motivation der jungen Zahnärztegeneration zugute: Sie wollen gemeinschaftlich arbeiten, sich fachlich austauschen und ihre Zeit nicht mit Bürokratie und Praxisführung verbringen, sondern sich auf die Zahnmedizin konzentrieren – ohne Unternehmerrisiko, bei einem marktüblichen Gehalt.

Ruben Stelzner

MVZ-Gesellschafter, -Geschäftsführer und Zahnarzt Dr. Dr. Ruben Stelzner referierte über die „Megatrends in der Zahnmedizin“.

Unternehmer und Praxismanager

Während die Einzelpraxis zwei Persönlichkeiten des Zahnarztes – die des Mediziners sowie die des Unternehmers und Praxismanagers – fordert und immer häufiger zu zeitlicher und fachlicher Überlastung und Burnout führt, verteilen sich diese Anforderungen in größeren Strukturen auf mehrere Schultern. Das sei in Bezug auf die zusätzlichen Anforderungen durch die zunehmende Digitalisierung und das dafür erforderliche Engineering oft gar nicht anders machbar.

Schließlich ist die Zahnmedizin die Tätigkeit, die der Zahnarzt ausüben will – und „nicht BWL oder Studieren von Bedienungsanleitungen des technischen Equipments“. Will man mit der Digitalisierung Schritt halten, brauche es bald erst einen Technikmanager, dann noch einen Personalmanager – „und schließlich eine größere Praxis!“, spitzte ein Teilnehmer die Situation zu.

„Give peanuts – get monkeys“

Voraussetzung für jede Praxisform ist: Die zahnmedizinische Qualität muss sichergestellt sein – auch in einem zahnärztlichen MVZ, da waren sich die Teilnehmer einig. Hier müsse der Chef die Qualität erkennbar vorgeben, war deren Empfehlung. Geschehe das und stimme das Gehalt der angestellten Zahnärzte, so stimmten auch deren Motivation und Behandlungsqualität. Es gelte: „Give peanuts – get monkeys“, wie in jedem anderen Unternehmen auch.

Als Vorteil der MVZ sahen deren Betreiber, dass sich aufgrund einer höheren Geräteauslastung, besserer Fokussierung und Planbarkeit von Prozessen und zentralisierter Administration niedrigere Kosten für die Patienten ergeben und sich so auch weniger gut gestellte Schichten zahnmedizinisch höherwertige zahnärztliche Behandlung leisten können, was der wirtschaftlichen Realität entspreche. Die Einzelpraxis dagegen wende sich eher vermehrt an gut zahlende Patienten.

Chance für fächendeckende zahnärztliche Versorgung

Stichwort Versorgungsauftrag: Auch hier sei die Chance groß, dass durch flächendeckende MVZ gerade in ländlichen Gebieten die Versorgungsstrukturen aufrecht gehalten werden können. Auch die Förderung von Praxis-Netzwerken oder Kooperationen von MVZ mit Einzelpraxen könnten sinnvoll sein, so zum Beispiel in Form von Satellitenkonzepten von städtischen MVZ mit Teilzeit-Außenstellen auf dem Land. Möglicherweise eine – allerdings nach Kenntnis der Teilnehmer noch nicht praktizierte – weitere Chance für die Landpraxis, denn die müsse, so vor allem die Vertreter der Standesorganisationen, unbedingt wieder attraktiver werden.

Christoph Benz

Prof. Dr. Christoph Benz (BZÄK): Entwicklung sehr genau beobachten

Alternativen zulassen, statt sie zu bekämpfen

Starken Gegenwind erfuhr die Argumentation pro MVZ seitens der Vertreter der zahnärztlichen Berufsverbände. Ihre Befürchtung: Von den MVZ gehe eine Kommerzialisierung des Berufsstands aus, die Freiberuflichkeit sei gefährdet, die Großformen erhielten Vorteile zulasten der Einzelpraxis, die diese nicht kompensieren könnten. Sie wiesen auf das Risiko von Preis- und nachfolgendem Lohndumping durch die Möglichkeiten der höheren Arbeitsteilung bei Großen und Ketten und die dadurch ebenfalls zunehmende Gefahr von Selektivverträgen mit Kassen hin, mit denen man sich aus der Kollektivität des Berufsstands ausklinken könne und die den Markt dann deutlich beeinflussen würden. Das würde den wirtschaftlichen Spielraum von Einzelpraxen weiter einschränken. Die Gefahr, dass Finanzinvestoren wie in den USA oder Großbritannien den Markt überrollen und finanzgesteuerte Formationen unkontrolliert entstehen, werde dabei aber oft übersehen.

MVZ sollten von Zahnärzten gegründet werden

In dem Punkt stimmte die Pro-MVZ-Fraktion zu: „Die MVZ müssen gegründet werden, aber sie müssen von uns gegründet werden“, fasste ein zahnärztlicher Unternehmer zusammen. Reine Private-Equity-Gesellschaften und Finanzinvestoren lehnten Standesvertreter, MVZ- und Einzelunternehmer einhellig ab. Das werde man sorgfältig beobachten, so die Standesvertreter, und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen ergreifen müssen, denn das bisherige System funktioniere. Trotz aller konzidierten Schwächen sei man in Deutschland schließlich mit diesem „Weltmeister der Zahngesundheit“ geworden. Gerade deshalb sollten die MVZ nach Meinung aller Praxisinhaber in der Runde unbedingt in die Standesorganisationen mit eingebunden werden. Ohne die „Großen“ einschränken zu wollen, sollten aber parallel auch die Überlebensmöglichkeiten für kleine Praxen verbessert werden. Nicht zuletzt auch dadurch könnten Kostennachteile und damit die Preisrisiken aus den MVZ für die Einzelpraxen vermindert werden.

„Es gibt keine Solidarität bei den Zahnärzten“

Initiativen der regionalen Standesorganisationen zur Entwicklung neuer Kooperationsmöglichkeiten für Einzelpraxen bei Schlüsselthemen wie Personal und Organisation wünschten sich die Teilnehmer, um „gleich lange Spieße zu haben“. Dies könne die Unterstützung bei Rekrutierung von qualifiziertem Personal (zum Beispiel Börsen), die Re-Integration von Personal nach Auszeiten, die Erhebung von Gehaltsspiegeln oder Unterstützung bei der Aus- und Weiterbildung von ZFA sein. Aber, so ein Insider: „Bei Zahlen und Angaben rund um Lohn- und andere Kostenpositionen wird viel gelogen, um den eigenen Wettbewerbsvorteil nicht preiszugeben“, daher hätten solche Erhebungen von Kennzahlen kaum Aussagekraft für den Einzelnen. „Es gab und gibt da kaum Solidarität bei Zahnärzten.“

"Bonner Runde" in den Räumen der Redaktion der DZW – Die ZahnarztWoche

Voraussetzung für jede Praxisform ist: Die zahnmedizinische Qualität muss sichergestellt sein – auch in einem zahnärztlichen MVZ, da waren sich die Teilnehmer einig.

In den meisten MVZ nur vier angestellte Zahnärzte

Überraschend übrigens: Laut ersten vorliegenden Zahlen haben 90 Prozent der jetzigen MVZ nicht mehr als vier angestellte Zahnärzte. Der Anteil der oft so gefürchteten Großstrukturen liege nur bei 10 Prozent. Diese Zahl zeige, dass viele der derzeit offiziell neu auftretenden MVZ nur eine „nachträgliche Begradigung der vielen bereits lange bestehenden krummen Strukturen“ sei. Wenn die Situation so bleibe, sei zum Beispiel die diskutierte Begrenzung der Zahl angestellter Zahnärzte auf fünf bis sechs Behandler in den MVZ weitgehend wirkungslos.

Vorteile und neue Möglichkeiten von Dental 4.0

Die größten Vorteile in Bezug auf das MVZ sahen fast alle Teilnehmer klar in der Rubik „Digitalisierung und Dental 4.0“ und den dadurch zu erwartenden Investitionen und Belastungen. Das bedeutet digitale Abformung, DVT, Röntgen oder mögliche Herstellung von Zahnersatz chairside.

Eine durchschnittliche Einzelpraxis müsse, um diese Geräte zu nutzen, erst einmal umgebaut werden, soweit das überhaupt möglich sei. Hier sahen die Teilnehmer die MVZ und Großpraxen ganz klar im Vorteil, da sie eher investieren können, durch die Vorteile höherer Arbeitsteilung flexibler agieren und ihre Angestellten in effizienten Prozessen trainieren und steuern können. Erkennbare Auswirkungen der Digitalisierung auf die Berufsausübung aller Zahnärzte werden sich nach Ansicht der Teilnehmer durch einfachere Datenaufbewahrung sowie bei der Administration und auch Online-Terminsystemen ergeben.

Hier waren die Vorteile der Digitalisierung unstrittig. So sei zum Beispiel die Patientenakzeptanz hoch, Termine online zu buchen, und nach eigener Erfahrung von Teilnehmern sei die Termintreue bei digital vereinbarten Terminen sogar signifikant höher als bei konventioneller Terminvergabe – möglicherweise eine Folge des Nudging beim Ankreuzen von Ausfallkosten. Auch in der Patientenaufklärung und Diagnose würden sich bessere Möglichkeiten eröffnen, in der Behandlung dagegen weniger.

Viel Geld für Bananen-Produkte – sie reifen beim Kunden

Die vorgängig zu stemmenden hohen Investitionen seien aber auch ein Grund für das sinkende Interesse an Einrichtung und Übernahme von Einzelpraxen bei Jüngeren. Das schrecke viele Praxisstarter ab, zumal auch die Banken heute vor dem Gründungskredit schärfer auf die vorgelegten Businesspläne schauen würden.

Diese Startinvestitionen gelte es jedoch einmal zu hinterfragen, forderten erfolgreiche Praktiker: So seien die steigenden Kosten einer Praxisübernahme oder -neueröffnung zu einem guten Teil auch durch „exzessives Verkaufsgebaren von Industrie und Handel“ bei den Investitionsgütern getrieben worden, „die sich nun aber beklagen, dass es immer weniger Einzelpraxen gibt“, so ein Teilnehmer.

Digitalisierungshype: besser kritisch prüfen

Trotz Digitalisierungshype sollten Start-ups deshalb nüchtern hinterfragen, was sie von dem großen Angebot wirklich benötigen, um als Zahnarzt erfolgreich und auf einem zahnmedizinisch hohen Niveau zu starten. Vieles, das propagiert werde, brauche es anfänglich gar nicht dafür oder könne bei sicherem Stand später folgen. „Kritisch und spitz gerechnet“, so ein anderer Teilnehmer, der viele Erfolgspraxen kennt, „kommt man auch heute noch mit 100.000 bis 150.000 Euro Investitionskosten beim Praxisstart hin.“

„Digitale Demenz: Ich versuche einzudämmen, was geht“

Verschärft werde diese Situation noch dadurch, dass die Lieferanten, gerade wenn es um neue weitere Digitalisierung gehe, die Praxen als Beta-Tester nutzen und Produkte oft erst während des Gebrauchs wirklich gebrauchsfähig würden, häufigere Ausfallzeiten und Störung des Praxisablaufs beim Nachjustieren inbegriffen. „Digitale Demenz: Ich versuche einzudämmen, was geht,“ so ein Teilnehmer. Und: „Ich kann mir auch ein Auto mit 500 PS kaufen. Aber was nützt es mir bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung?“

„Ich will kein Beta-Tester sein“

Dieses Thema „Ausgereiftheit“ der Produkte wurde sehr kritisch gesehen: „Ich habe schlechte Erfahrungen damit, sehr früh neue Technik zu kaufen. Ich will kein Beta-Tester sein. Erst, wenn Geräte länger im Markt sind und andere Kollegen kaufen, würde ich zur Anschaffung neigen,“ ergänzte ein anderer Teilnehmer.

Die Einstellung entsprach fast wörtlich der ersten Zahnarztrunde zum Thema Dental 4.0, die ebenfalls als Basis der Arbeit in der Praxis „Digitus statt digital“ proklamierte und empfahl, von dieser Basis aus sehr vorsichtig mit dem Investitionsbudget umzugehen und den Fokus auf folgende Kosten und Zeitaufwand zu richten.

„Nur was den Praxen Nutzen bringt, wird sich durchsetzen“

„Die Digitalisierung einer Praxis schafft zuerst einmal viele neue Probleme.“ So ergebe sich durch permanent notwendige Updates ein Dauerinvestment aus Zeit und Geld. Sicher sei nur „die permanente Störung des Praxisablaufs durch Industrie und Handel“, so ein Teilnehmer, denn die „haben das Thema nicht im Griff“. „Überall muss permanent geschraubt und nachgekauft werden.“

Des Weiteren stelle sich ständig die Frage nach der Kompatibilität der Geräte und der Schnittstellen. Erst bis 2025 erwarte man, dass sich total offene Systeme etabliert hätten – früher nicht. Die digitale Praxis werde so also eher erst 2025 als 2020 zum Mainstream. Die Empfehlung der Teilnehmer hieß: im Moment so zurückhaltend wie möglich investieren, denn „nur was den Praxen Nutzen bringt, wird sich dort auch durchsetzen“. Jede Investition müsse betriebswirtschaftlich sinnvoll sein sowie eine spürbare Leistungsverbesserung bringen. Und da gelte es erst einmal abzuwarten. „Wenn die Vorteile durch Investitions- und Installationsnachteile aufgehoben werden, entsteht kein Nutzen.“

Keine Angst vorm MVZ

Muss man also wirklich Angst haben vor den MVZ? Nicht, wenn man seine Praxis zukunftsfähig gestaltet. Und damit ist nicht gemeint, alles zu besitzen, was geht, sondern gezielt nur das zu nutzen, was einem auf seinem eigenen Praxisweg weiterhilft. Und zum Umgang mit den neuen Formen empfahlen die anwesenden Praxisinhaber offenen Dialog, also „nicht verhindern und dagegenstellen, aber regulieren“ durch Einbezug der MVZ in die Standesorganisationen und gezielte Unterstützung der Einzelpraxen.

„Über andere Strukturen nachdenken“

„Ist meine Einzelpraxis noch der Weg der Zukunft? Ich werde nun definitiv mal über andere Strukturen nachdenken“, „Unter den MVZ ist der Austausch von Eckdaten und Informationen im Moment eigentlich sehr offen“, „Für die Generation Y ist die Entscheidung über den Weg als Zahnarzt schon deutlich komplexer als früher“ und „Ball flach halten, denn es wird keinen Tsunami der MVZ geben“, so das Fazit der Teilnehmer. Großstrukturen und Einzelpraxen können auch nebeneinander existieren – die passenden Patienten gibt es für beide Praxisformen. Und – ach ja: Dass Einzelpraxen bei Praxisabgabe übrigens oft nicht mehr verkäuflich sind, habe nichts mit den MVZ zu tun, hieß es, sondern eher damit, dass der alte Behandler schon lange aufgehört hat, in die Praxis zu investieren und sie zukunftsfähig zu machen.