Verträge als „freie Mitarbeiter“ in Kliniken, MVZ oder Praxen über Zusatzbehandlungen locken mit lukrativen Zusatzverdiensten. Doch der Schein trügt gewaltig. Es ist gerade der Irrtum über die scheinbare Flexibilität als Belegarzt, Honorararzt oder Geschäftsführer in diesen Verträgen, der immer häufiger zur riesigen Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen führt. Mit einer solch falsch verstandenen Tätigkeit als „freier Mitarbeiter“ eines MKG-Chirurgen befasste sich das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (Az.: L 4 BA 328/19).
Lockere Arbeitszeit, lockerer Verdienst
Zu beurteilen hatte das LSG den sozialversicherungsrechtlichen Status eines MKG-Chirurgen. Dieser hatte mit dem Inhaber einer privatärztlichen Zahnarztpraxis (Tagesklinik) einen – wie ihn die meisten Ärzte und Zahnärzte wahrscheinlich kennen – „Vertrag über die Tätigkeit als freier Mitarbeiter“ abgeschlossen.
Gegenstand dieses Vertrags war die Planung und Durchführung der privatärztlichen Behandlung von Patienten, aber auch weitere zahnärztliche Tätigkeiten nach Absprache. Der MKG-Chirurg war in der Tagesklinik etwa drei Tage pro Monat tätig. Er teilte sechs bis acht Monate im Voraus mit, an welchen zwei bis vier Tagen im Monat er in der Tagesklinik behandeln wollte. Innerhalb eines kurzen Zeitfensters reagierte die Tagesklinik, ob ihrerseits die Behandlungstage akzeptiert oder verworfen werden. Wurde ein Behandlungstag akzeptiert, wurde in der Tagesklinik ein Behandlungsraum freigehalten.
Von den Patienten der Tagesklinik wurden für den MKG-Chirurgen Behandlungsfälle ausgewählt, die nach fachlicher Indikation und Arzt beziehungsweise Terminwunsch der Patienten auf den MKG-Chirurgen passen könnten. Behandlungsvorschläge konnte der MKG-Chirurg seinerseits annehmen oder verwerfen. Der Vertrag sah nicht vor, dass der MKG-Chirurg Aufträge annehmen musste. Übernommene Behandlungsvorschläge wurden mit dem EDV-System der Tagesklinik geplant.
Der MKG-Chirurg führte die schriftliche Aufklärung der Patienten durch und legte in Abstimmung mit den Patienten unter Berücksichtigung der Interessen der Tagesklinik die weitere Behandlung fest. Im Rahmen der Behandlung nutzte der MKG-Chirurg seine selbst mitgebrachte Arbeitskleidung und eigene Instrumente.
Einen Anspruch auf Urlaub oder Urlaubsgeld hatte man nicht vereinbart. Als Vergütung erhielt der MKG-Chirurg 50 Prozent der erwirtschafteten Honorarumsätze. Die Patienten schlossen die Behandlungsverträge mit der Tagesklinik.
Keine Wahlfreiheit durch Bezeichnung „freier Mitarbeiter“
Für das Landessozialgericht hatte die Wahl der vertraglichen Formulierung „freier Mitarbeiter“ für den MKG-Chirurgen diese Bezeichnung nicht verdient. Zunächst einmal war für das LSG maßgeblich, den MKG-Chirurgen doch als abhängig Beschäftigter zu beurteilen, weil die Patientenauswahl auf den MKG-Chirurgen zugeschnitten war. Erst bei Zustimmung des MKG-Chirurgen kamen die Behandlungsverträge mit der Tagesklinik zustande. Der Einordnung der Tagesklinik als Behandlerin stand nicht entgegen, dass die nach dem Patientenrechtegesetz geschuldete Aufklärung durch den MKG-Chirurgen durchgeführt wurde. Denn diese Aufklärung selbst ist keine Bedingung für den Behandlungsvertrag selbst.
In der Folge hielt das Obergericht dem MKG-Chirurgen vor, dass er in die Arbeitsabläufe der Praxis und der Organisation eingebunden war und sich im Rahmen der Behandlung auch der EDV-Ausstattung und der Mitarbeiter der Tagesklinik bediente. Irrelevant war, dass der Vertrag den MKG-Chirurgen als freier Mitarbeiter bezeichnete, der die Aufträge in eigener Verantwortung durchführte. Denn dies ist der ärztlichen beziehungsweise zahnärztlichen Tätigkeit ohnehin immanent.
„Temporärarbeit“ ohne Risiko
Zum anderen traf aus Sicht der Richter den MKG-Chirurgen kein nennenswertes unternehmerisches Risiko. Er benötigte keine wesentlichen Betriebsmittel, und seine Verlustgefahr begrenzte sich unter anderem darauf, dass Patienten Termine kurzfristig absagten, sodass keine Behandlung eines anderen Patienten mehr anberaumt werden konnte. Ein derartiges Unternehmerrisiko trifft allerdings auch jeden Arbeitnehmer, der nur einen Zeitvertrag erhält. Schlussendlich konnte von einem Zahlungsausfallrisiko nicht wirklich gesprochen werden, da für die privatärztlichen Behandlungen im Vorfeld regelmäßig Vorauszahlungen verlangt und geleistet wurden.
Angestellter wider Willen mit finanziellen Folgen
Das Urteil des LSG Baden-Württemberg ist grundsolide und räumt mit üblichen, extrem gefährlichen Irrtümern auf. Zum einen wird beim Aushandeln von Verträgen in der Gesundheitswirtschaft häufig mit Maßstäben der freien Wirtschaft gearbeitet, wer selbstständig oder Arbeitnehmer ist. Dies ist der erste Irrtum. Bei diesen Verträgen sind die Besonderheiten ärztlicher Tätigkeit zu berücksichtigen.
Was sonst in der freien Wirtschaft eine Tätigkeit als abhängig oder selbstständig kennzeichnet, ist bei einer ärztlichen Tätigkeit in einem Krankenhaus nicht ausschlaggebend. Zum Beispiel handeln Ärzte bei medizinischen Heilbehandlungen und Therapien grundsätzlich frei und eigenverantwortlich. Dies macht einen Arzt – nicht mal einen Chefarzt – noch lange nicht zum Selbstständigen.
Der zweite in der anwaltlichen Praxis zu beobachtende Irrtum ist das Arbeiten mit alten Verträgen. Was früher Gültigkeit hatte, bietet für viele Belegärzte, Honorarärzte oder Geschäftsführer von MVZ keine haltbare Vertragsgrundlage mehr. Der Gebrauch oder die Hinnahme von Vertragsmustern, ohne anwaltliche Begleitung und ohne Prüfung, kann sich als teurer Irrtum entpuppen. Der Fall des LSG Baden-Württemberg zeigt dies eindrucksvoll. Denn hier müssen über Jahre nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge nachgezahlt werden! Im schlimmsten Fall kann ein Vertrag vollständig rückabzuwickeln sein.