Ein heißer Sommerabend in einer kleinen Buchhandlung in Bonn vor ziemlich genau zwei Jahren. Es ist fürchterlich schwül und drückend. Der Laden ist voll besetzt bis auf den letzten Platz. Vorne steht Steffen Kopetzky und liest aus seinem Roman "Risiko". Es geht um eine Geheimexpedition durch den Orient. Enge Schiffsmaschinenräume, Wüste, Hitze, Entbehrungen. Die Luft in der Buchhandlung passt zur Szenerie im Buch. Und dann erzählt Kopetzky etwas von Zähnen.
Die Zähne seiner Hauptfigur, des Marinefunkers Sebastian Stichnote, seien für die Expedition das, was der preußische Militärtheoretiker Carl von Clausewitz als "Friktion" bezeichnet hat. Gemeint ist damit jede Schwierigkeit oder kleine Verzögerung, die ein militärisches Vorhaben – trotz jeder noch so genauen Planung – beeinträchtigen kann, weil eben nicht alle Einzelheiten vorhersehbar sind. Eine große Rolle im Weltgeschehen für so etwas Kleines wie einen Zahn!
Im Auftrag des Deutschen Reiches an den Hindukusch
Doch zunächst zur Handlung: Marinefunker Stichnote dient auf einem Schiff der kaiserlichen Marine, als der Erste Weltkrieg beginnt. Die unterlegene deutsche Flotte muss durchs Mittelmeer nach Konstantinopel fliehen. Nach den ersten Seegefechten ergreift Stichnote die nächstbeste Gelegenheit, das Schiff zu verlassen, und schließt sich einer geheimen Expedition nach Kabul an.
Den Plan zur Expedition hat der Orientkenner Max von Oppenheim erarbeitet. Ziel der Expedition ist, den Emir von Afghanistan und die Stämme der Paschtunen im Namen des Islams zum Angriff auf Britisch-Indien zu bewegen. Die 5.000 Kilometer lange Reise führt durch das heutige Syrien, nach Bagdad, Teheran, Isfahan und durch die persische Wüste – Orte, die aktuell auch in den Medien präsent sind. Am Ende hängt der Erfolg der Expedition von Stichnote ab.
Ein Zeitsprung ins Leben vor 100 Jahren
Kopetzkys Roman ist ein Abenteuerroman, der auf historischen Fakten beruht. Er ist aber auch eine Liebesgeschichte und eine Geschichte über Freundschaft. Der Leser lernt viel über das Leben und die Volksstämme im Orient. Er wird Zeuge der Geschichte zu Anfang des 20. Jahrhunderts, "erlebt" die Seefahrt, das Militärwesen, die Technik. Außerdem begegnet er historischen Personen wie von Oppenheim oder Lucien Camus (dem Vater von Albert) oder Alois Musil, auch genannt Musil von Arabien.
Steffen Kopetzky liest im Video aus dem Prolog von "Risiko". (© zehnSeiten)
Kopetzky zeigt in der Buchhandlung Abbildungen aus alten Büchern und berichtet noch mehr Details, als er in dem Roman untergebracht hat. Man merkt, er hat lange und sorgfältig, ja akribisch recherchiert.
"Zahnmedizin" im Orient vor 100 Jahren
Zurück zu den Zähnen. Stichnote stellt fest, dass ihm "ein Zahn durchrostet". Die Folge: Schmerzattacken, ausgelöst durch Kaltes, Süßes oder kräftiges Zubeißen. Die Zähne verderben dem Funker das Weihnachtsfest, behindern ihn beim Essen und Trinken und zehren an seinen Kräften. Selbst die Heilige Apollonia kommt ins Spiel.
Dabei hätte es an einigen Stationen auf der Expeditionsroute durchaus fachkundige Ärzte und sogar Zahnärzte gegeben, aber offensichtlich handelt es sich bei Stichnote um einen besonderen Fall von Zahnarztphobie. Schließlich landet er bei einem "persischen Bader [..], der Schafböcke kastrierte, faulende Gliedmaßen amputierte und jedem im Dorf schon Zähne gezogen hatte". Noch stärker allerdings als die Zahnschmerzen setzen dem Funker seine "Gegenmittel" zu – und ihn selbst in der Folge außer Gefecht: Alkohol, Heroin, Opium, das volle Programm.
Das Reisebuch für die Reisezeit
"Risiko" ist das richtige Buch, um im Urlaub abzutauchen in eine Geschichte. Eine Geschichte von der Fremde und dem Fremden und vom Reisen – wenngleich auch sehr beschwerlich. Man muss aber dafür nicht unbedingt in der Fremde sein, denn es ist auch eine Geschichte, die das Fernweh lindert.
- Steffen Kopetzky ist 1971 geboren. Er hat Romane, Hörspiele, Radio-Features und Theaterstücke verfasst. Von 2002 bis 2008 war er künstlerischer Leiter der Theater-Biennale Bonn. Er lebt mit seiner Familie in seiner Heimatstadt Pfaffenhofen an der Ilm. Sein Roman "Risiko" schaffte es auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis 2015.
Mit mehr als 700 Seiten hat der Roman einen stattlichen Umfang und als (gebundenes) Buch entsprechend Volumen und Gewicht. Für die Reise mit dem Urlaubsflieger bietet sich da vielleicht eher die eBook-Variante an. she
Steffen Kopetzky: "Risiko", Klett-Cotta, Stuttgart, 2015 (11. Druckauflage 2016), 731 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 24,95 Euro, ISBN 978-3-608-93991-0, oder als Taschenbuch im Heyne-Verlag, München, 2016, 12,99 Euro, ISBN 978-3-453-41956-8