„Wie läuft das in anderen Praxen?“ Keine Frage bekomme ich als Coach häufiger gestellt. Täglich in der eigenen Praxis agierend, bleibt Inhabern der Blick in andere Praxen verwehrt. Alleine auf sich gestellt, sind sie auf Versuch und Irrtum angewiesen.
Was häufig gut gelingt und viele kluge Ideen hervorbringt, kann aber vom Inhaber selbst nicht solide betrachtet und bewertet werden. Es fehlt schlichtweg der Vergleich. Und genau deswegen können viele Praxisinhaber nicht einschätzen, ob sie ihre Führungsarbeit gut machen, wie erfolgreich ihr Team funktioniert und ob sich die Mitarbeiter gut aufgehoben fühlen.
Bestehen gute Freundschaften zu Studienkollegen, dann tauscht man sich schon mal aus. Dann teilt man gute Ideen und überlegt sich gemeinsam Lösungen für schwierige Situationen. Eine Quelle der Inspiration sind auch Mitarbeiterinnen, die aus anderen Praxen kommen und berichten können, was dort wie funktioniert hat. Ein offenes Ohr für neue Mitarbeiterinnen hat sich bewährt, um eigene Strukturen zu überdenken und von Ideen anderer Praxen zu profitieren. Und die dritte übliche Quelle ist der Führungscoach, der Praxisinhaber und Team begleitet. Mit ihm können Inhaber an ihrer Praxis arbeiten, Strukturen optimieren, das Team zu einer guten Kooperation bewegen und nicht zuletzt, den eigenen Führungsstil überprüfen und nachjustieren.
Eine Quelle der Inspiration
Es gibt aber noch eine weitere Option, die meist sehr wenig genutzt wird, tatsächlich aber erhebliche Aha-Effekte bringen kann: der Praxistausch. Einfach mal in einer anderen Praxis arbeiten. Nur für eine oder zwei Wochen. Darüber haben die meisten Inhaber noch nicht nachgedacht. Dabei haben viele gute Kontakte zu Kollegen, sind noch aus dem Studium befreundet oder haben sich auf Kongressen kennengelernt. Diesen Schritt haben sie bisher nicht gewagt. Noch nicht.
Ist ein Praxistausch gut eingefädelt, kann er für alle Seiten eine Quelle der Inspiration sein. Es gibt aber ein paar Dinge zu beachten, damit der Praxistausch erfolgreich gestaltet werden kann und für Inhaber wie für Mitarbeiter inspirierend wirkt: Ein Praxistausch muss gut vorbereitet sein. Sie brauchen einen Tauschpartner Ihres Vertrauens. Dieser sollte gut gewählt sein. Sein Auftrag ist es, anderes kennenzulernen, um Ideen für seine eigene Vorgehensweise zu finden, nicht aber Dinge zu verändern oder besser zu machen. Eine gute Verständigungseben ist deswegen Voraussetzung.
Ist eine solche Person gefunden und hat diese auch Lust auf das Experiment, dann erfolgt die Konsolidierung der Idee. Hier braucht es meist einige Treffen, um den anderen in die eigene Arbeitsweise einzuführen. Wie ist der Tagesablauf? Welche wichtigen Themen gibt es? Welche Mitarbeiter gibt es? Welche Gewohnheiten? Auch über Spannungen und Herausforderungen können Sie sich mit Ihrem Partner austauschen. Alleine schon diese intensiven und vertrauensvollen Gespräche können sehr hilfreich sein. Manch neue Idee wird schon an dieser Stelle geboren.
In der dritten Phase der Vorbereitung geben Sie sich gegenseitig die Versicherung, dass Sie für den jeweils anderen keine Beschlüsse mit Tragweite fassen. Zum Beispiel sollten alle Personalentscheidungen außen vor gelassen werden. Es sollte genau geklärt werden, welche Entscheidungskompetenz und Befugnisse der Tauschpartner erhalten soll. Bleiben alle Entscheidungen in der eigenen Hand, dann bringt ein Tausch nicht viel. Dann ist es eher so etwas wie eine Urlaubsvertretung. Deswegen ist es wichtig, im Vorfeld die Entscheidungskompetenz genau zu definieren. Gibt es während der Tauschzeit Fragen, darf natürlich kommuniziert werden.
Tausch weiterführen
Während der Tauschphase besteht reger Kontakt zwischen den Tauschpartnern. Aber der Tauschpartner sollte Entscheidungen in den vereinbarten Feldern vornehmen können, ohne sich rückzuversichern. So kann er Abläufe verändern, Teammeetings anders gestalten, sich von Mitarbeitern inspirieren lassen. Mancher Konflikt gewinnt eine andere Dynamik, wenn der gewohnte Chef nicht da ist.
Im Nachgang werden die Ergebnisse gesichert. Hier geht es darum, auch im Anschluss an die gemeinsame Zeit zusammenzusitzen, um sich intensiv auszutauschen. Wie schätzt der jeweils andere Struktur der Praxis und Ergebnisse ein? Welche Einschätzung hat er zu den Mitarbeitern? Zu den Prozessen? Zur Patientenstruktur? An welchen Stellen sieht er Entwicklungsmöglichkeiten? Was empfiehlt er dem Tauschpartner? Aus dem Tausch können Projekte entstehen und Ideen zur Weiterentwicklung der Praxis generiert werden.
Auch die Mitarbeiter sollten nicht vergessen werden. Mit ihnen zu besprechen, wie sie den Tausch fanden, was anders war, was ihnen gefallen hat und was nicht, kann manche Routinen in der Praxis auf den Prüfstand stellen. Vielleicht haben sie in der Tauschphase mit dem neuen Chef etwas kennengelernt, was sie interessant und hilfreich fanden?
Der Praxistausch kann sogar weitergeführt werden. Befindet sich die Tauschpraxis in der Nähe, können auch Mitarbeiterinnen immer mal wieder in ein anderes Team wechseln und gute Ideen mitbringen, die sich in der eigenen Praxis angepasst umsetzen lassen.
Immer mal wieder über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen, wirkt sich meist anregend auf Teams aus. Sie fühlen sich dann mehr involviert und mitverantwortlich dafür, dass die Zusammenarbeit in der Praxis gut gelingt. Wichtig bleibt aber, dass der Chef mit dem Praxistausch startet. An ihrem Beispiel können sich die Mitarbeiter orientieren.