Julia möchte ihre Praxis modern führen. Sie möchte die Mitarbeiterinnen beteiligen, Entscheidungen gemeinsam mit ihnen treffen und sie zu selbstständigem Arbeiten motivieren. Dass das nicht bei allen Themen gleichermaßen möglich ist, wird ihr schnell bewusst.
Manche Entscheidungen kann nur sie als Inhaberin treffen. Das betrifft besonders das Praxiskonzept, Behandlungsschwerpunkt und -zeiten, Investitionen und alles, was damit zusammenhängt und unternehmerische Auswirkungen hat oder einen Kredit bedarf.
Aber viele andere Themen kann das Team entscheiden. So hat Julia es in modernen Ratgebern zum Thema Führen gelesen, und so möchte sie das auch umsetzen. Das hat sie sich bei der Praxiseröffnung vorgenommen, mit den Mitarbeiterinnen besprochen und auch so umgesetzt. Aber das, was die Ratgeber auch versprechen, nämlich ein glückliches und motiviertes Team, das hat sie auch heute, zehn Monate nach ihrer Eröffnung, noch nicht bekommen. Sie hat das Gefühl, dass die Diskussionen im Team nicht so ablaufen, wie sie sollten. Es scheint sich meist eine Person durchzusetzen, die Diskussionen dauern sehr lange, und einmal glaubt sie, eine Mitarbeiterin weinen zu sehen. Unbefriedigend. Was Julia erlebt, geschieht im Moment in vielen Unternehmen. Die Inhaber nehmen sich vor, modern zu führen, setzen auf Selbstverantwortung und geben relevante Entscheidungen in die Hände des Teams. Der erhoffte Erfolg der Methode bleibt jedoch aus.
Woran liegt das?
Die Hauptursache ist meist, dass die Mitarbeiterinnen diese Art der Führung nicht kennen. Sie kommen aus Praxen, in denen der Chef alles entschieden hat. Mit manchen Entscheidungen waren sie zufrieden, mit anderen nicht. Aber selbst Entscheidungen zu finden und die Themen dann, einmal entschieden, auch entsprechend verantwortlich umzusetzen, das ist für viele neu und braucht Begleitung. Denn die meisten Personen wissen einfach nicht, wie es geht. Und dann geschehen zwei Dinge: Eine Person setzt sich gnadenlos durch, oder die Diskussionen dauern sehr lange, so lange, dass viele die Lust verlieren und sich alle wieder wünschen, es gäbe jemand, der ihnen die Entscheidung abnehme.
Selbstverantwortung will gelernt sein und eingeübt werden. Sie einfach anzuordnen reicht nicht aus. Deswegen ist es wichtig, dass sich der Praxisinhaber um den Ablauf der Diskussionen kümmert und sie moderiert, ohne inhaltlich einzugreifen. Er stellt Methoden zur Entscheidungsfindung zur Verfügung und achtet auf die Einhaltung des Prozesses. Wenn das Team das ein paar Mal erlebt hat, dann gelingt es auch ohne Moderation. Aber zu Beginn gelingt es meist nicht, ohne dass eine verantwortliche Person auf den Prozess schaut.
Welche Möglichkeiten gibt es nun?
Die einfachste Art zu Entscheidungen zu kommen ist die einfache Mehrheit. Es wird abgestimmt. Das geht, ist oft aber nicht befriedigend. Es bilden sich Widerstände, und diejenigen, die gegen eine Vereinbarung gestimmt haben, setzen es einfach nicht um. Deswegen haben sich andere Methoden bewährt. Eine sehr interessante Methode nutzt zwei Aspekte, die Menschen gerne tun: Zum einen möchten sie selbst überlegen und nicht durch schnellere oder dominante Personen zu einer Meinung gebracht werden. Und zum zweiten bewerten sie gern. Wie gut finde ich diese Idee?
Nehmen wir einmal ein einfaches Beispiel. Die Inhaber der Praxis stellen ein Budget zusammen, übergeben es dem Team mit der Aufgabe, eine geeignete Weihnachtsfeier auszurichten, die allen Spaß macht. Diese Aufgabe übergibt der Eigentümer dem Team in einem Meeting, und falls es weitere Kriterien gibt, die zu beachten sind, teilt er diese mit. Danach gibt es Zeit, um sich Gedanken zu machen. Jeder kann sich informieren, für sich Ideen zusammentragen, recherchieren und mit anderen sprechen.
Zu einem vereinbarten Zeitpunkt gibt es dann ein zweites Meeting. Hier schreibt jeder seine Idee auf eine Karte. Das können drei bis maximal fünf Sätze sein, die die Person notiert. Eine kurze Skizze. Noch keine Details. Diese Karten werden auf einem Tisch ausgelegt, und jeder läuft um den Tisch herum und liest alle Karten durch. Gleichzeitig bewertet er die Karten auf einer Skala von 1 bis 5, wobei 1 bedeutet: Diese Idee finde ich nicht so gut, und 5 bedeutet: super Idee, würde ich gerne umsetzen. Jeder Teilnehmer des Meetings bewertet nun die Ideen ganz für sich, ohne dass er die Bewertungen der anderen lesen kann. Das dient dazu, dass nicht die erste Bewertung die eigene Einschätzung beeinflusst. Am besten geschieht das auf Klebezetteln, die auf die Rückseite der Karte geklebt werden.
Nach Abschluss dieser Bewertungssession nimmt jeder seine Karten und rechnet die Punkte auf der Rückseite zusammen. Dann werden die drei Karten mit der höchsten Punktzahl identifiziert. Die Personen erhalten den Auftrag, gemeinsam mit einer Kollegin diese Idee genauer auszuarbeiten, damit man sich im Detail vorstellen kann, wie das Weihnachtsfest abläuft, Angebote einzuholen, falls nötig, und die Ausgaben genau zu berechnen. Diese drei Ideen werden dann zwei Wochen später im nächsten Meeting detailliert vorgestellt. Und wieder dürfen alle Punkte vergeben, um die Idee zu identifizieren zu der sie am meisten Lust haben. In manchen Fällen bleibt schon bei der ersten Runde nur eine Idee übrig, die alle mit Abstand am höchsten bewerten. Dann geht es in der zweiten Runde nur noch um diese Idee.
Mit dieser Methode kommt ein Team zu einer Entscheidung, ganz ohne endlose Diskussionen, Personen, die sich durchsetzen, oder anderen Zusammenstößen. Und: Diese Methode ist leicht zu lernen und bei anderen Themen ebenso umsetzbar.
Je mehr Verantwortung ins Team gegeben wird, umso wichtiger ist es, geeignete Prozesse zu liefern und das Team auf dem Weg in diese Selbstverantwortung eng zu betreuen. Dafür stehen eine Vielzahl von Tools zur Verfügung. Moderne Führung macht dann richtig Spaß und hält, was sie verspricht: engagierte und motivierte Mitarbeiter.
Dr. Susanne Klein, Offenbach