In seinem Meinungsbeitrag „Fluorid: Die Menge macht das Gift“ (DZW 48/17) kommt Kollege Dr. medic-stom/RU F.H.K. Klehmet zu dem Ergebnis, dass Schwangeren aus neurotoxikologischen Gründen keine Fluoride gegeben werden dürfen, auch nicht in Zahncremes. Er spricht in diesem Zusammenhang von „Wässerchen und Pülverchen“, die bei guter Zahnpflege und halbjährlichem Recall überflüssig seien. Dieser Position muss aus zahnmedizinischer, aber auch der Sicht anderer medizinischer Disziplinen entgegengetreten werden.
Klehmet beruft sich allein auf eine internationale Studie, die an Mutter-Kind-Paaren in Mexico City durchgeführt wurde [1]. Darin wurde gefunden, dass eine Zunahme von 0,5 mg Fluorid je Liter Urin mit einem um den Wert 3,15 niedrigeren Intelligenzquotienten (IQ) einhergeht. Die im Auftrag der US-Regierung durchgeführte Untersuchung zur chronisch-toxischen Wirkung von Fluorid scheint insgesamt auf einem hohen Niveau zu sein [2]. Aus eben diesem Grund werden darin methodische Schwächen offen angesprochen, die sich unter anderem auf einen nicht geklärten Einfluss von Blei und Quecksilber beziehen.
Weiterhin fehlen Daten zum Fluoridgehalt des Trinkwassers, das die Probanden verwendet haben. Da der mögliche neurotoxische Zusammenhang tendenziell erst bei höheren Urin-Fluoridwerten gefunden wurde, könnten die Ergebnisse durch Probanden aus entsprechenden Gebieten verfälscht worden sein. Interessant ist eine von Prof. Dr. Ulrich Schiffner diskutierte medizinische Dissertation, die drei Jahre zuvor von einem der Autoren der Mexiko-Studie vorgelegt wurde [3]. Im selben Probandenpool wurde hier ein günstiger Effekt erhöhter Fluoridzufuhr (!) auf die Intelligenz von 6- bis 15-jährigen Jungen gefunden (nicht von Mädchen).
Unabhängig von diesen Ungereimtheiten scheint es kaum Studien zu geben, die methodisch sauber zu einem ähnlichen Ergebnis kommen wie die von Klehmet zitierte Untersuchung [1]. Wurden Zusammenhänge mit der Intelligenz gefunden [4, 5], waren die gemessenen Urinwerte deutlich höher als in Deutschland aufgrund üblicher Fluorid-Quellen, insbesondere Trinkwasser, zu erwarten [6]. Eine aktuelle, groß angelegte und randomisierte Studie aus Neuseeland zeigte zudem keinen statistischen Zusammenhang zwischen Fluoridzufuhr und IQ-Wert bei Probanden im Schulalter (7 und 13 Jahre) und mit 38 Jahren [7].
„Die Menge macht das Gift“
Kollege Klehmet schreibt in seinem Titel ganz richtig, dass Giftwirkungen von der Dosis abhängen. Das gilt auch für eine chronisch-systemische Fluoridzufuhr [8]. Zugleich sei bekannt, dass Fluorid bei genetisch bedingter Empfänglichkeit „zur Hemmung der Proteinsynthese und von Enzymaktivitäten führen“ könne. Grenzwerte spielen hier laut Klehmet bei sensiblen Patienten keine Rolle. Das trifft bei Allergien sicher zu, aber kaum bei toxischen Wirkungen.
Auch die von Klehmet zitierten Experten aus „Endokrinologie und Pädiatrie“ sind nicht besonders glaubwürdig. Der emeritierte Diabetologe Dr. Helmut Schatz ist nicht mehr, wie angegeben, Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, sondern seit 2015 Betreuer des Online-Blogs. Haltung und Kenntnisstand maßgeblicher deutscher Pädiater zum Thema zahnmedizinische Fluoridierung sind hinlänglich bekannt.
Die Forderung, Prof. Dr. Stefan Zimmer, einer der führenden deutschen Prophylaxe-Experten, solle sich „zu jeder Zeit Forderungen aus der Allgemeinmedizin unterordnen“, erscheint vor dem Hintergrund des oben Gesagten unangemessen. Kollege Klehmet hat offenbar vor dem Schreiben seines Beitrags nicht sehr genau hingesehen und sitzt deshalb im Glashaus.
Wichtiger erscheint aber, dass die zitierte Studie aus Mexiko kaum als Grundlage dafür dienen kann, auf den bekannten präventiven Effekt von Fluoriden zu verzichten. Bei Schwangeren mit der Dosierung besonders genau hinzuschauen, ist sicher nicht falsch. Fluoride grundsätzlich zu verweigern, erscheint aber aus (zahn-)ärztlicher Sicht nicht gerechtfertigt.
Hinweis: Der Autor erklärt, dass er keinen Interessenkonflikt hat.
Literatur
[1] Bashash M, Thomas D, Hu H, Martinez-Mier EA, Sanchez BN, Basu N et al. Prenatal Fluoride Exposure and Cognitive Outcomes in Children at 4 and 6-12 Years of Age in Mexico. Environmental health perspectives 2017;125:097017.
[2] Schiffner U. Zahnärztliche Fluoridierungsmaßnahmen in der Schwangerschaft sind sicher! Studienkritik. zahnärztliche mitteilungen 2017;108:46-49.
[3] Thomas D. Fluoride exposure during pregnancy and its effects on childhood neurobehavior: A study among mother-child pairs from Mexico City, Mexico. Med Diss, Ann Arbor 2014. https://deepblue.lib.umich.edu/bitstream/handle/2027.42/110409/deenatho_1.pdf 2014
[4] Choi AL, Sun G, Zhang Y, Grandjean P. Developmental fluoride neurotoxicity: a systematic review and meta-analysis. Environmental health perspectives 2012;120:1362-1368.
[5] Choi AL, Zhang Y, Sun G, Bellinger DC, Wang K, Yang XJ et al. Association of lifetime exposure to fluoride and cognitive functions in Chinese children: a pilot study. Neurotoxicol Teratol 2015;47:96-101.
[6] Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Durchschnittlicher Fluoridgehalt in Trinkwasser ist in Deutschland niedrig. Information Nr. 037/2005 des BfR vom 12. Juli 2005. www.bfr.bund.de/cm/343/durchschnittlicher_fluoridgehalt_in_trinkwasser_ist_in_deutschland_niedrig.pdf 2005
[7] Broadbent JM, Thomson WM, Ramrakha S, Moffitt TE, Zeng J, Foster Page LA et al. Community Water Fluoridation and Intelligence: Prospective Study in New Zealand. American journal of public health 2015;105:72-76.
[8] Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin. Verwendung fluoridierter Lebensmittel und die Auswirkung von Fluorid auf die Gesundheit. Stellungnahme des BgVV vom Juli 2002 www.bfr.bund.de/cm/343/verwendung_fluoridierter_lebensmittel_und_die_auswirkung_von_fluorid_auf_die_gesundheit.pdf. 2002