Anzeige
Harmonie versus Herausforderung
Gibt es männliche und weibliche Medizin?

Den ersten Teil dieses Artikels finden Sie hier.


Große Hürde Familienplanung

In einer weiteren Befragung bewerten 77 Prozent die Arbeit in kooperativen Strukturen am familienfreundlichsten. Dr. Dr. Ruben Stelzner vermutet, dass für viele Zahnärztinnen die Familienplanung die größte Hürde für die Niederlassung darstelle. Man könne als Zahnmedizinerin aktuell gut eine Stelle in der Anstellung finden, auch in Teilzeit: „Wir bemühen uns als Arbeitgeber außerdem, wirkliche Gleichberechtigung zu leben und stetig die Rahmenbedingungen für Frauen zu optimieren. Neue Kolleginnen sind hochwillkommen!“

Bei AllDent liegt der weibliche Anteil bei den Zahnärzten deutlich über 60 Prozent, bei den Oberärzten ist der Prozentsatz ausgeglichen. Lediglich bei den invasiven, blutigen Disziplinen Oralchirurgie und Endodontologie verschiebt sich das Verhältnis zugunsten der Männer.

Gibt es männliche und weibliche Medizin?

Schwangerschaften sind natürlich ein Riesenthema, weil die angestellten Ärztinnen sofort unter das Beschäftigungsverbot fallen, ebenso in der Stillzeit. „Wenn sie aber dann zurück in den Beruf gehen, sind sie meist extrem gut organisiert, wenig empfindlich und geben auch in Teilzeit Gas“, sagt Leventic.

Hin und wieder wird in Fachzeitschriften diskutiert, ob es eine „männliche“ oder „weibliche“ Medizin gebe. Manchmal findet man, dass Frauen in der Kommunikation erfolgreicher seien, eher nach der Meinung des Patienten fragten und das gegenseitige Verständnis abklärten.

Streng wissenschaftlichen Standards halten diese Annahmen jedoch selten stand. Eine Veröffentlichung der Stiftung Gesundheit 2018 hat sich mit „Gender in der ambulanten Medizin“ beschäftigt. Trotz der Tatsache, dass Ärztinnen generell fachlich nicht schlechter als Ärzte sind, wird interessanterweise eine höhere „positiv ausgezeichnete“ Patientenzufriedenheit bei männlichen Ärzten registriert.

Ähnlich steht es mit dem Grad der fachlichen Reputation. Die Frage, wie dieses Bild zustande kommt, wird durchaus kritisch diskutiert. Möglicherweise spielten „traditionelle Erwartungsmuster“ und „eine kulturell geprägte Verknüpfung von Geschlecht und Qualität“ eine Rolle, heißt es. Auch müssten bei künftigen Untersuchungen statistische Artefakte ausgeschlossen werden. Selbstkritisch geben die Wissenschaftler zu: „Qualität ist und bleibt neben allen Versuchen der systematischen und evidenzbasierten Messung zu einem guten Teil ,gefühlte Temperatur‘“.

Harmonie versus Herausforderung

„Wenn ich nach der Erstberatung an eine Zahnärztin weiterleite, wird sehr selten nach einem Mann verlangt“, sagt Leventic. Aus langer Erfahrung als zahnärztliche Oberärztin kann sie von Fall zu Fall reagieren. Jemand, der in der Vergangenheit von einem groben Zahnarzt traumatisiert wurde, ist eventuell bei einer feinfühligen Zahnärztin gut aufgehoben. Manche Patienten schätzten wiederum eine dominantere oder eine ältere Persönlichkeit, egal ob Mann oder Frau.

Gibt es denn nun typisch männliche oder weibliche Zahnmedizin? Leventic: „Auch, wenn sich Verallgemeinerungen verbieten, erfahre ich Frauen generell als teamorientierter. Sie können beispielsweise eher mal einen Schritt zurücktreten und einen Fall an einen Spezialisten in der Endodontie oder in der Chirurgie abgeben.“ Bei Konflikten suchten sie eher nach einer konstruktiven Lösung und seien auf Harmonie bedacht.

Insgesamt wollten sich Frauen in der Arbeit wohlfühlen, setzten verstärkt auf kollegialen Austausch und Zusammenarbeit: „Bei der Arbeit am Patienten haben sie gleichzeitig das Terminbuch im Blick und die Frage, ob es auch der Helferin gut geht.“

Stelzner ergänzt: „Männer suchen eher die Herausforderung oder den Wettkampf und sind eher auf den wirtschaftlichen Erfolg fokussiert.“ In vielen Vorstellungsgesprächen hat Leventic erlebt, dass Zahnärzte ihre Fähigkeiten oder ihre Position sehr selbstbewusst sähen und sich gerne überschätzten: „Dafür sehe ich Männer oft als im positiven Sinne innovationsfreudig und neugierig auf neueste Technik.“

Dieser Eindruck bestätigt sich durch einen Blick in den Vertrieb im Dentalsektor. Claudia Huhn, Diplom-Kauffrau, Vertriebstrainerin und Gründerin des Zahnärztinnen-Netzwerks betont beispielsweise in unterschiedlichen Veröffentlichungen, dass Frauen bei medizinischer Technik nicht primär auf „schneller, höher, weiter“ reagierten. Sie wollten eher vom Nutzen überzeugt werden und prüften verstärkt unter dem Aspekt Arbeitsverbesserung oder -erleichterung.

So ergeben sich beim Streifzug durch Fakten und Meinungen vielfältige Aspekte zur Feminisierung in der Zahnmedizin. Sicher ist, dass Klischees niemanden weiterbringen. Aber möglicherweise können aus den gewonnenen Erkenntnissen Schlüsse für eine optimierte Form von Arbeit jenseits des Mann-Frau-Schemas gezogen werden. Schließlich geht es auch noch um Persönlichkeiten mit individuellen Eigenschaften. Dr. Ivona Leventic sagt dazu: „Ich schätze unsere Teams, bei denen beide Geschlechter gut vertreten sind und jeder seine Stärken einbringen kann. Übrigens gilt das auch in der Assistenz.“ Diese gesunde Mischung und ein respektvoller Umgang miteinander kommen dann letztlich auch dem Patienten zugute.

Anita Westphal, München