Im neunten Teil der Reihe Stichpunkt Anästhesie schreibt Lothar Taubenheim über Zahnextraktionen und Osteotomien.
Zahnextraktionen unter intraligamentärer Anästhesie sind die erste Indikation dieser Lokalanästhesie-Methode, die in der Literatur beschrieben wird. Bourdin (1925) verweist auf seinen Lehrer Chompret, der 1920 in der Revue de Stomatologie die „Technique de l’injection intra-ligamentaire“ vor einer anstehenden Zahnextraktion darlegt [1,2]. Den Effekt nach erfolgter intraligamentaler Injektion beschreibt er so: Sie erreichen dann schnell, sehr schnell – mit einer sehr geringen Menge Lösung – die perfekte Anästhesie, die ihnen erlauben wird, zu syndesmotomisieren, zu luxieren und ihren Zahn zu extrahieren ohne Schmerzen und ohne Schaden für das angrenzende Gewebe.
Auch in der Lehre ist die intraligamentäre Anästhesie (ILA) für Zahnextraktionen angekommen. Bereits 2000 schreiben Schwenzer und Ehrenfeld: „In neuerer Zeit hat man dieses Verfahren (die ILA) nicht zuletzt aufgrund einer Verbesserung der hierfür erforderlichen Injektionsspritzen und Zylinderampullen erneut propagiert. Die Injektion erfolgt unter Verwendung einer besonders dünnen Kanüle. Die Lösung wird unter hohem Druck eingespritzt, insgesamt reichen etwa 0,5 ml (pro Zahn) aus.“ Angesichts der Gefahren der Keimverschleppung in das umgebende Gewebe und der Schädigung der Desmodontalfasern empfiehlt sich die intraligamentäre Anästhesie nur bei der Zahnextraktion“ [3].
Bis weit in die 1980er Jahre wurde auch von der ILA vor Zahnextraktionen abgeraten, weil sie – angeblich – Wundheilungsstörungen generiere. Tsirlis et al. (1992) analysieren den „Dry socket” mit Blick auf die Häufigkeit dieser Erscheinung nach intraligamentärer Anästhesie im Vergleich mit der Leitungsanästhesie. Sie applizierten 2-prozentiges Lidocain mit 1:80.000 Adrenalin – bei den intraligamentalen Injektionen mit einer Peripress-Pistolenspritze – und stellten fest, dass der Effekt der trockenen Alveole bei den dokumentierten 305 Fällen insgesamt elfmal eintrat und es keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Methoden gab [4].
In ihrer klinischen Studie vergleichen Heizmann und Gabka (1994) die drei Lokalanästhesie-Methoden Leitungs-, Infiltrations- und intraligamentäre Anästhesie bei indizierten Extraktionen [5]. Bei jeweils 110 Fällen betrachten sie für jede Anästhesie-Methode die Erfolgsquote, die applizierte Injektionsmenge, die Injektionslatenzzeit, die Dauer der Anästhesie, die empfundenen Injektionsschmerzen und das Auftreten von Wundheilungsstörungen (Tabelle).
Für die Injektionen wurden handelsübliche Instrumentarien angewandt: Für die Infiltrations- und die Leitungsanästhesie Aspirationsspritzen und für die intraligamentären Anästhesien die Dosierhebel-Spritze Citoject (Abb. 1).
Wundheilungsstörungen (Dolor post extractionem beziehungsweise trockene Alveole) traten auch bei der intraligamentären Anästhesie auf, aber es gibt keinen signifikanten Unterscheid zwischen den drei verglichenen Lokalanästhesie-Methoden. Heizmann und Gabka (1994) schreiben dazu, dass das verständlich ist, da die Infektionen nicht nur allein durch die Injektionen ausgelöst werden, sondern speziell durch die apikale Ostitis bei zerstörten Zähnen [5].
Jüngste Studien (Langbein 2011) zeigen, dass nicht nur die Extraktion einzelner Zähne unter intraligamentärer Anästhesie möglich ist, sondern auch Reihenextraktionen [6]. Bei der Dokumentation aller anstehenden zahnärztlichen Behandlungen unter Lokalanästhesie wurde mit den Patienten auch die anzuwendende Lokalanästhesie-Methode thematisiert. In 85 Prozent der Fälle wurde die intraligamentäre Anästhesie auf Wunsch des Patienten appliziert – wann immer es zahnmedizinisch angezeigt war. Im Rahmen dieser Studie standen auch Extraktionen und Osteotomien an, insgesamt 37, wovon 29 unter ILA erfolgten.
Dabei wurden auch – in einer Sitzung – die Zähne 34, 35, 36 und 37 sukzessive intraligamental anästhesiert und schmerzfrei für den Patienten extrahiert. Die applizierte Anästhetikamenge betrug 0,9 ml [6/7].
Bei einem weiteren Patienten konnten – unter ILA – alle 4 retinierten Weisheitszähne in einer Sitzung komplikationslos entfernt werden. Dazu wurde – unter Verwendung einer Dosierrad-Spritze (Abb.2) – initial Anästhetikum subgingival appliziert, um durch Aufklappung Zugang zum jeweiligen Zahn zu erhalten. Sodann wurde im Kontakt mit dem Zahn je etwa 0,5 ml Anästhetikum intraligamental injiziert. Für die vier zu extrahierenden Zähne wurden insgesamt 3,9 ml Anästhetikum appliziert. Nach Aussage der Patientin nach Abschluss der Behandlung war die Beeinträchtigung gering [6/7].
Konklusion
Die intraligamentäre Anästhesie ist die Lokalanästhesie-Methode der Wahl bei anstehenden Extraktionen und ermöglicht die Minimierung der Patientenaufklärung über Risiken und Alternativen wie der Leitungsanästhesie, die bei der ILA nicht gegeben sind.
Lothar Taubenheim, Erkrath
Literatur
[1] Bourdain, C.-L.: L’Anesthésie par l’injection intra-ligamentaire pour l’extraction des dents. These de Doctorat, Editions de la Semaine Dentaire, Paris (1925).
[2] Chompret: Technique de l’injection intra-ligamentaire. Revue de Stomatologie (1920).
[3] Schwenzer, N., Ehrenfeld, M.: Zahn-Mund-Kiefer-Heilkunde. Chirurgische Grundlagen. Georg Thieme Verlag, Stuttgart – New York (2008).
[4] Tsirlis, A.T., Iakovidis, D.P., Parissis, N.A.: Dry socket: frequency of occurence after Intraligamentary ansthesia. Quintessence Internat 23, 575-577 (1992).
[5] Heizmann, R., Gabka, J.: Nutzen und Grenzen der intraligamentären Anaesthesie. Zahnärztl Mitt 84, 46-50 (1994).
[6] Langbein, A.: Patientenschonende Lokalanästhesie bei zahnärztlichen therapeutischen Maßnahmen unter besonderer Betrachtung der intraligamentären Anästhesie als primäre Methode der Schmerzausschaltung. Diss, München (2011).
[7] Langbein, A., Taubenheim, L., Benz, C.: Die intraligamentäre Anästhesie – primäre Methode der Schmerzausschaltung? ZWR Deutsch Zahnärztebl 121 (7+8), 334-342 (2012).