Die derzeit geltende S2k-Leitlinie „Fluoridierungsmaßnahmen zur Kariesprophylaxe“ stammt von 2013. Sie wurde von Pädiatern und Zahnärzten entwickelt. Doch im entscheidenden Punkt der konkreten Maßnahmen könnten sich beide Ärztegruppen nicht auf eine gemeinsame Empfehlung einigen. Jetzt revidiert die Zahnärzteschaft aufgrund aktueller Zahlen ihre Empfehlung.
Epidemiologische Studien zeigen große Unterschiede in der Entwicklung der Karieserfahrung bei Kindern im Vorschulalter und bei Jugendlichen mit vorwiegend bleibenden Zähnen. In der Gruppe der Zwölfjährigen ist die Karieserfahrung in den vergangenen 20 Jahren um fast 80 Prozent gesunken. Hier liegt Deutschland international mit Dänemark auf Platz eins. Das bedeutet, nur etwa jeder 60. Zahn ist kariös. Ganz anders sieht die Entwicklung der Karieserfahrung im Bereich der Milchzähne aus. Bei den Erstklässlern ist die Zahl der Karieserkrankungen im vergleichbaren Zeitraum zwar auch um 40 Prozent gesunken, verbleibt aber auf einem hohen Niveau. Fast jeder zehnte Zahn zeigt Karies.
Die Zahlen und den Vergleich mit internationalen Dosierungsempfehlungen haben Experten mehrerer zahnmedizinischer Fachgesellschaften aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden zum Anlass genommen, neue Empfehlungen für fluoridhaltige Kinderzahnpasten auszusprechen. Danach sollen Kinder vom zweiten bis zum sechsten Geburtstag zweimal täglich ihre Zähne mit einer erbsengroßen Menge einer Zahnpasta mit 1.000 ppm Fluorid putzen. Bereits ab dem Durchbruch des ersten Milchzahns sollen Kinder bis zum zweiten Geburtstag entweder zweimal täglich mit einer erbsengroßen Menge einer Zahnpasta mit 500 ppm oder einer reiskorngroßen Menge mit 1.000 ppm putzen.
Der Ansatz einer Fluoridprophylaxe allein über die Zahnpasta ist durchaus pragmatisch. Fluoridhaltige Zahnpasta ist quasi in jedem Haushalt vorhanden. Gemeinsam mit der Industrie möchten die Experten nun erreichen, dass Zahnpasten in der Viskosität vergleichbar sind und auch die Tubenöffnungen verkleinert werden, damit „erbsengroße“ oder „reiskorngroße“ Zahnpastastränge standardisiert auf die Zahnbürste aufgetragen werden können.
Ein Kritikpunkt an der neuen Fluorid-Empfehlung muss sein, dass wieder keine aktive Zusammenarbeit mit der Humanmedizin stattgefunden hat. Die humanmedizinische Sicht ist in den vergangenen Jahren nicht deckungsgleich mit der zahnmedizinischen gewesen. Zum Wohle der Kinder wäre eine Zusammenarbeit sinnvoll. Ein zweiter Kritikpunkt ist sicherlich die sprachlich bildhafte Dosierungsempfehlung „erbsengroß“ und „reiskorngroß“. Häufig genug werden wahre Zahnpastawürste aufgetragen. Und hier ist eben eine Überdosierung durchaus möglich. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat 2018 eine Bewertung zur Fluorid-Vorbeugung bei Säuglingen und Kleinkindern vorgelegt, die eine „gesundheitliche Beeinträchtigung bei Überdosierung von Fluoriden“ für „möglich“ hält. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hält eine Tagesmenge von 0,7 mg Fluorid für Kleinkinder für adäquat. 1 mg Fluorid ist in einem Gramm Zahnpasta mit 1.000 ppm enthalten. Insgesamt „ist das BfR der Auffassung, dass bei Kleinkindern keine Zahnpasta mit Fluoridkonzentrationen ≥ 1.000 ppm verwendet werden sollte ... Aus Sicht des BfR sollte daher im Säuglings- und Kindesalter nur eine Form der systemischen Fluoridierung gewählt werden.“ So viele Meinungen, zu viele Empfehlungen.