Im fünften Teil der Reihe Stichpunkt Anästhesie schreibt Lothar Taubenheim über Schmerzausschaltung vor Kavitäten- und Kronenpräparationen:
Im Vergleich zur Leitungs- und der Infiltrationsanästhesie wurden bei allen nachstehend definierten Indikationen signifikant höhere oder zumindest gleiche Erfolgsraten dokumentiert:
Die intraligamentäre Anästhesie kommt als primäre Methode der Lokalanästhesie uneingeschränkt in Betracht für restaurative Maßnahmen an allen Zähnen – einschließlich Kavitäten- und Kronenpräparationen, endodontischen Behandlungen – auch bei Pulpitis apicalis angezeigt, Differenzialdiagnose unklarer irradiierender pulpitischer Beschwerden. Hinzu kommen Einzelzahnextraktionen im Dauergebiss, systematische Behandlung von Parodontopathien und auch zur Komplettierung partieller Anästhesieversager anderer Anästhesiemethoden ist die ILA angezeigt. Durch intraligamentale Nachinjektionen kann oft ein partielles Versagen der Leitungsanästhesie komplettiert werden [1-8/10-13].
Kavitäten- und Kronenpräparationen
Zu Recht erwarten die Patienten heute eine – weitgehend – schmerzfreie Behandlung auch bei invasiven Behandlungsmaßnahmen. Schmerzfreiheit ist eine wesentliche Voraussetzung für schonende therapeutische Maßnahmen an der Zahnhartsubstanz. Vor Kavitäten- und Kronenpräparation ermöglichen es Schmerzausschaltungen – hier ist primär die Lokalanästhesie zu nennen – dem Behandler, mit nur minimalen Beeinträchtigungen des Patienten auch komplizierte Präparationen ungestörter und somit exakter durchführen zu können. Die intraligamentäre Anästhesie (ILA) – lege artis appliziert – bewirkt eine ausreichend tiefe Anästhesie des zu behandelnden Zahns ohne unerwünschte Nebenwirkungen wie Taubheit der Wange, Zunge oder Lippen und Einschränkung über Stunden von Artikulation und Mastikation. Dies ist uneingeschränkt bei allen Zähnen, sowohl im Ober- und im Unterkiefer, als auch im Front- und Seitenzahnbereich möglich [1].
Von den durch Csides [1] in ihrer Studie dokumentierten 321 Fällen zahnerhaltender Maßnahmen unter ILA wären unter konventionellen Bedingungen 114 Zähne durch Infiltrations- bzw. Terminalanästhesie und 207 durch Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior anästhesiert worden (Tabelle).
Nach einer initialen intraligamentalen Injektion von Anästhetikum war bei 81,2 Prozent der Fälle eine ausreichende Analgesie gegeben; durch intraligamentale Nachinjektionen konnte der Anästhesieerfolg auf 99,4 Prozent gesteigert werden. Bei den verbliebenen zwei Fällen (Zahn 46 und 44) wurde versucht, durch eine Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior eine für die angezeigte Behandlung ausreichende Schmerzausschaltung zu erreichen, was in einem Fall erfolgreich war; ein Fall musste als absoluter Anästhesieversager dokumentiert werden (Phobiepatient). Zur Sicherheit des Behandlers sollte durch eine Sensibilitätsprüfung (Kälte-/Wärme-Test, Sondierung) die Ausprägung der intraligamentären Anästhesie festgestellt werden.
Neben der Schmerzausschaltung bei Präparationen in Gingivanähe bietet die intraligamentale Injektion eines Anästhetikums mit gefäßkonstriktorischem Zusatz (Adrenalin – Epinephrin) den Vorteil, dass die schon unmittelbar nach der Injektion sichtbar werdende Ischämie des marginalen Periodonts störende Blutungen während der Präparation, Füllungsapplikation oder Abformung minimiert. Um bleibende Schädigungen der Pulpa als Präparationsfolge zu vermeiden, hat der Zahnarzt bei allen Präparationen größte Sorgfalt walten zu lassen. Das Fehlen des Warners „Schmerz“ darf keinesfalls zu forciertem Arbeiten verführen.
Die gemachten Ausführungen gelten für die Kavitäten-Präparation einzelner Zähne und analog für die Kronenpräparation. Da der Ausbreitungsraum einer intraligamentären Anästhesie auf den zu behandelnden Zahn – der auch intraligamental anästhesiert wurde – und die approximalen Wurzeln des Nachbarzahns begrenzt ist, ermöglicht diese Lokalanästhesie-Methode auch die Behandlung von Zähnen in verschiedenen Quadranten in derselben Sitzung, ohne dass es nach Abschluss der Behandlung zu einer Beeinträchtigung der Dispositionsfähigkeit des Patienten kommt.
ILA bei Patienten mit gesundem Desmodont – Ergebnisse einer Multicenter-Studie
Im Rahmen einer Multicenter-Studie behandelten Dirnbacher [2], Weber [12] und Csides [1] nur junge Patienten (Soldatinnen und Soldaten) mit weitgehend gesundem Desmodont. Der dokumentierte Anästhesieerfolg (initiale und erforderlichenfalls komplettierende intraligamentale Anästhesie) betrug bei Dirnbacher 98,0 Prozent, bei Weber 97,8 beziehungsweise 94,1 Prozent – vor angezeigten Caries-profunda-Behandlungen beziehungsweise Vitalexstirpationen – und bei Csides 99,4 Prozent.
Die intraligamentale Injektion bei jungen, gesunden männlichen und weiblichen Patienten mit festem Desmodont wird mittels sensibler, auf die Injektionsmethode abgestimmter Instrumentarien erleichtert [2/9/12].
Eine erfolgreiche intraligamentäre Anästhesie setzt voraus, dass die behandelnde Zahnärztin/der behandelnde Zahnarzt mit dieser Lokalanästhesie-Methode vertraut ist und sie sicher beherrscht.
Erleichtert wird die intraligamentale Injektion, wenn Instrumentarien angewandt werden, die dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen, zum Beispiel eine mechanische Dosierrad-Spritze oder das elektronisch gesteuerte STA-System. Appliziert werden sollten bewährte Anästhetika, wie sie auch für die Leitungs- und die Infiltrationsanästhesie verwendet werden, zum Beispiel vierprozentige Articainhydrochlorid-Lösung mit Adrenalin.
Lothar Taubenheim, Erkrath
Literatur
[1] Csides M: Die intraligamentäre Anästhesie als primäre Methode der zahnärztlichen Lokalanästhesie unter besonderer Betrachtung der angewandten Injektionssysteme und der damit generierten Effekte beim Patienten. Diss, Jena, 2009.
[2] Dirnbacher T: Reduzierung unerwünschter Effekte bei der zahnärztlichen Lokalanästhesie. Diss, Jena, 2002.
[3] Glockman E, Weber M, Taubenheim L: Schmerzausschaltung vor Vitalexstirpationen. Endodontie 16 (3), 197-204 (2007).
[4] Heizmann R, Gabka J: Nutzen und Grenzen der intraligamentären Anaesthesie. Zahnärztl Mitt 84, 46-50 (1994).
[5] Husson R, Caux Y, Maquin M: L’anesthésie intraligamentaire. Revue française d’endodontie 4, 29-36 (1985).
[6] Kämmerer PW, Shabazfas N, Al-Nawas B: Zahnextraktionen unter intraligamentärer Anästhesie. Dent Implantol 14 (5), 306-313 (2010).
[7] Littner M, Tamse A, Kaffe I: A new technique of selective anesthesia diagnosing acute pulpitis in the mandible. J Endodon 9, 116 (1983).
[8] Malamed SF: The periodontal ligament (PDL) injection: An alternative to inferior alveolar nerve block. Oral Surg Oral Med Oral Pathol (53) 2, 117-121 (1982).
[9] Marshall M: Die intraligamentäre Anästhesie mit dem SoftJect zur Ermittlung der Praxistauglichkeit. Diss, München, 2001.
[10] Prothmann M: Die intraligamentäre Anästhesie vs. Leitungs- und Infiltrationsanästhesie unter besonderer Betrachtung des Aspekts der Generierung von druckbedingten Schäden am Parodontium durch intraligamentale Injektionen bei parodontal vorgeschädigten Patienten. Diss, RWTH Aachen, 2008.
[11] Simon DE, Jacobs TL, Senia ES, Walker WA: Intraligamentary anesthesia: Aid in endodontic diagnosis. Oral Surgery 54: 77-78 (1982).
[12] Weber M: Reduzierung der unerwünschten Nebeneffekte bei der zahnärztlichen Lokalanästhesie unter besonderer Berucksichtigung der Erfordernisse für endodontische Maßnahmen. Diss, Jena, 2005.
[13] Zugal W, Taubenheim L, Schulz D: Triade des Anästhesie-Erfolgs: Instrumente – Anästhetika - Methoden-Beherrschung. Z Stomatol (102) 1, 9-14 (2005).