Die Nettoausgaben für Arzneimittel zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung haben im Jahr 2022 mit 52,9 Milliarden Euro wieder einen neuen Rekordwert erreicht. Im Zehn-Jahres-Vergleich sind die Nettokosten um 88 Prozent angestiegen.
GKV-Ausgaben: Mehr Geld für weniger Versorgung
Die Kosten für patentgeschützte Arzneimittel haben sich in diesem Zeitraum sogar verdoppelt: Sie lagen 2022 bei 27,8 Milliarden Euro, während es 2013 noch 13,9 Milliarden Euro waren. Damit entfiel bei den Arzneimittelausgaben 2022 mehr als jeder zweite Euro auf patentgeschützte Arzneimittel (52,6 Prozent). Zum Vergleich: Die Wirtschaftskraft Deutschlands stieg – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – im selben Zeitraum gerade einmal um knapp 38 Prozent.
Eine Auswertung der verordneten Tagesdosen zeigt, dass die patentgeschützten Arzneimittel nur 6,8 Prozent der Versorgung abdecken. Im Jahr 2013 lag dieser Wert noch bei 12,2 Prozent; er ist damit in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 30 Prozent gesunken. „Der langjährige Trend, dass patentierte Arzneimittel immer mehr kosten, jedoch gleichzeitig immer weniger zur Versorgung beitragen, hat sich auch im vergangenen Jahr fortgesetzt“, sagt Helmut Schröder, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). „Die 2011 mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz eingeführten gesetzlichen Regelungen zur frühen Nutzenbewertung und zu nachgelagerten Preisverhandlungen haben ganz offensichtlich nur begrenzten Einfluss auf die Preisgestaltung der Hersteller patentierter Arzneimittel.“
Verdoppelung der Kosten für patentgeschützte Arzneimittel
Während die Nettokosten der Arzneimittel in den vergangenen zehn Jahren um 88 Prozent gestiegen sind, ist die Anzahl der Verordnungen lediglich um 12,6 Prozent angestiegen – bei einem Anstieg der GKV-Versicherten um 5,5 Prozent.
Ursachen des Anstiegs der Arzneimittelausgaben sind neben einem generellen Anstieg der Verordnungsmenge auch die jährlich wachsenden Arzneimittelpackungspreise. Im Jahr 2022 ist der Wert je Verordnung erneut um 0,2 Prozent gestiegen, die Anzahl der Verordnungen stieg um 4,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Dezember 2022 betrug der durchschnittliche Preis für verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel 1.763,32 Euro, im Vorjahresmonat waren es noch 1.260,99 Euro (+ 39,8 Prozent). Patentgeschützte Arzneimittel wiesen im Dezember 2022 im Durchschnitt sogar einen Preis von 20.631,41 Euro pro Packung auf. Dieser Wert liegt 44,4 Prozent über dem Preis für patentgeschützte Arzneimittel des Vorjahresmonats (durchschnittlich 14.289,81 Euro). Auch aus diesem Grund wurde im Jahr 2022 jeder zweite Euro der Arzneimittelkosten für diese patentgeschützten Arzneimittel (52,6 Prozent) ausgegeben – bei einer nur geringen Verordnungsabdeckung von 6,8 Prozent (gemessen an den verordneten Tagesdosen).
„Auch im laufenden Jahr ist trotz gesetzlicher Maßnahmen wie dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz keine Trendumkehr zu erwarten. Es ist mit einem erneuten Anstieg der GKV-Ausgaben zu rechnen“, prognostiziert Schröder.
Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) sorgt seit 2011 dafür, dass neue patentgeschützte Arzneimittel ohne Zusatznutzen für Patienten erkannt werden. „Denn neu ist nicht immer innovativ“, betont Helmut Schröder. Dies zeigten die Ergebnisse der AMNOG-Verfahren bis 2021: Bei 61,5 Prozent der adressierten Patientengruppen konnte im AMNOG-Bewertungsverfahren kein Zusatznutzen gegenüber der existierenden Vergleichstherapie ermittelt werden. Relativ hohe Kosten entfallen auf neue Arzneimittel, die keinen Zusatznutzen gegenüber den bereits im Markt befindlichen Mitteln vorweisen können. Zwischen 2012 und 2021 hat die GKV 16,6 Milliarden Euro für Arzneimittel ohne jeglichen Zusatznutzen aufbringen müssen, allein im Jahr 2021 belief sich die Summe auf 3,8 Milliarden Euro. „Auch wenn mit dem AMNOG-Bewertungsverfahren die Spreu vom Weizen getrennt wird, wird durch eine Vielzahl dieser neuen Arzneimittel offenkundig keine Verbesserung der Versorgungsqualität erreicht“, so Schröder.
Ein Drittel der patentgeschützten Arzneimittel für Krebserkrankungen
Das umsatzstärkste Arzneimittel des Jahres 2022 ist Keytruda (Pembrolizumab, eingesetzt bei Krebserkrankungen) mit 1.308 Millionen Euro Nettokosten (+ 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, 471 Tausend Verordnungen), gefolgt von Eliquis (Apixaban, bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen) mit 1.257 Millionen Euro Nettokosten (+ 12 Prozent, 5,5 Millionen Verordnungen) und Xarelto (Rivaroxaban, bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen) mit 861,6 Millionen Euro Nettokosten (+ 4 Prozent, 3,1 Millionen Verordnungen). Alle drei Arzneimittel stehen unter Patentschutz.
Insgesamt wurden im Patentmarkt rund 8,1 Milliarden Euro bei 3,2 Millionen Verordnungen für Krebserkrankungen ausgegeben. Dies ergibt einen Wert von etwa 2.500 Euro je Verordnung. Damit entfallen immerhin 15,2 Prozent aller Arzneimittelkosten auf Krebstherapien, die gerade einmal einen Verordnungsanteil von 0,4 Prozent ausmachen. Patentfreie Mittel gegen Krebserkrankungen wiesen Nettokosten von 2,4 Milliarden Euro bei 5,3 Millionen Verordnungen auf. Dies ergibt einen Wert je Verordnung von rund 450 Euro – knapp ein Fünftel des Preises der patentgeschützten Mittel gegen Krebserkrankungen. Dies ist dadurch begründet, dass nach Patentablauf die Preise der Arzneimittel aufgrund des Wettbewerbs mit den Generika-Anbietern meist stark absinken.
WIdO-Veröffentlichung beleuchtet Entwicklung des Arzneimittelmarktes
Die aktuelle WIdO-Veröffentlichung „Der GKV-Arzneimittelmarkt: Klassifikation, Methodik und Ergebnisse 2023“ beleuchtet das Marktgeschehen im Arzneimittelbereich. So werden nicht nur Gründe für Marktbewegungen bei bestimmten Wirkstoffgruppen beschrieben, sondern auch die verordnenden Facharztgruppen ausgewertet.
Die meisten Arzneiverordnungen wurden 2022 mit 24.965 definierten Tagesdosen (DDD, Defined Daily Dose) von Hausärzten getätigt, gefolgt von den hausärztlich tätigen Internisten mit 12.434 DDD. Die höchsten durchschnittlichen Nettokosten je Arzt waren mit 5.233 Tausend Euro bei den Fachärztinnen und Fachärzten für Hämatologie/Onkologie zu verzeichnen. Die WIdO-Publikation informiert auch darüber, wie viele Arzneimittel jeder GKV-Versicherte im Jahr 2022 in Deutschland erhalten hat: Durchschnittlich wurden im vergangenen Jahr 645 DDD verordnet. Den niedrigsten Arzneimittelverbrauch wiesen die 25- bis 29-Jährigen mit durchschnittlich 110 DDD je GKV-Versicherten auf. Die meisten Verordnungen erhielt die Gruppe der 80- bis 84-Jährigen mit durchschnittlich 1.877 DDD. Nicht nur in den Altersgruppen gab es Unterschiede in den Verordnungen, sondern auch zwischen den Geschlechtern. Frauen erhielten mit 690 DDD rund 15 Prozent mehr Verordnungen als Männer mit 597 DDD.
Mit dem PharMaAnalyst bietet das WIdO auch ein Onlineportal für Analysen zum Arzneimittelmarkt an. Der PharMaAnalyst ermöglicht den Anwenderinnen und Anwendern passgenaue Auswertungen aller Verordnungsdaten der GKV für die Jahre 2012 bis 2022. Die jährlich 3.000 verordnungs- und umsatzstärksten Arzneimittel, die der GKV-Arzneimittelindex im WIdO qualitätsgesichert aufbereitet, stehen für individuelle Analysen zur Verfügung. Auswertungen können im PharMaAnalyst nach konkreten Fertigarzneimitteln sowie nach einzelnen Wirkstoffen oder Wirkstoffgruppen durchgeführt werden.
Zudem besteht die Möglichkeit, sich die 100 umsatz- oder verordnungsstärksten sowie die teuersten Präparate im gesamten GKV-Arzneimittelmarkt in Ranglisten anzeigen zu lassen.
Die Berechnungen des WIdO basieren auf anonymisierten Verordnungsdaten, die in öffentlichen Apotheken und Krankenhausapotheken in der ambulanten Versorgung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden. Die Daten basieren auf rund 468 Millionen Rezeptblättern und rund 820 Millionen einzelnen Verordnungen.
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