Die erste Ausgabe des Jahres böte sich eigentlich für einen Rückblick auf 2018 oder zumindest für einen Ausblick auf 2019 an, wenn da nicht wieder einmal der Blätterwald ordentlich gerauscht hätte. Denn kaum hatte sich der Feinstaub silvesterlicher Knallerei gelegt, gab es – zumindest auf den ersten Blick – wieder ein Aufregerthema. Die „Bild“ titelte Anfang Januar mit der Headline „Braucht mein Kind wirklich eine Zahnspange“. Daran ist zunächst nicht viel auszusetzen, denn diese Frage stellen sich jedes Jahr viele Eltern. Der Aufreger der „Bild“ steckte eher in der Dachzeile: „Regierung bestätigt Verdacht auf Abzocke“. Im Text heißt es dann außerdem „Jetzt zweifelt auch die Bundesregierung am Nutzen vieler Behandlungen“ …
Auslöser des Artikels war eine Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministeriums, das knapp acht Monate nach einem Papier des Bundesrechnungshofs, es gebe zu wenig Daten, um kieferorthopädische Maßnahmen hinsichtlich ihres Nutzens bewerten zu können, in einem Gutachten Stellung bezogen hat. Zum Hintergrund: Der Bundesrechnungshof hatte im April 2018 moniert, KfO-Maßnahmen hätten 2016 zwar Kosten in Höhe von rund einer Milliarde Euro verursacht, insbesondere der (Langzeit-)Nutzen kieferorthopädischer Behandlungen sei aber nicht oder nur unzureichend durch Studien gesichert. Weder das Gesundheitsministerium noch die Versicherer wüssten, wie groß der Nutzen von KfO-Behandlungen wirklich sei. Die Pressestelle des BMG bemühte sich noch am selben Tag der „Bild“-Berichterstattung, mit einer nachgeschobenen Pressemitteilung die Ansicht des Bundesgesundheitsministeriums unmissverständlich klarzustellen, die Kernaussagen jeweils fett gekennzeichnet und obendrein mit Kurzerläuterungen versehen. Denn die vom Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegebene und vom IGES-Institut durchgeführte Metastudie mit einem Umfang von immerhin 144 Seiten wurde wohl im eigenen Haus als doch zu sperrig angesehen, um in Gänze gelesen zu werden.
Fazit des Gutachtens ist jedenfalls nicht, dass KfO-Behandlungen keinen Nutzen bringen, sondern vielmehr, wie dieser Nutzen – auch Jahre nach Abschluss einer Behandlung – belegt werden kann. Dazu bedarf es allerdings, und auch das wird im Gutachten eingeräumt, sehr langwieriger Studien, um den langfristigen Benefit beurteilen zu können. Genau dies fordern die Autoren der Studie und unterstreichen damit die schon vom Bundesrechnungshof im April vergangenen Jahres aufgestellte Forderung nach wissenschaftlicher Absicherung. In diesem Zusammenhang wird auch das Fehlen entsprechender Leitlinien bemängelt, Leitlinien, die in anderen Ländern bereits existieren.
Jetzt will sich das BMG jedenfalls mit den Beteiligten zusammensetzen und den Bedarf an Forschung gemeinsam ermitteln. Und das nicht nur bezogen auf die unbestrittenen Erfolge kieferorthopädischer Interventionen, sondern auch mit Blick auf die Langzeitauswirkungen auf die Gesundheit der Patienten.
Aber: So sehr die wissenschaftliche Absicherung zu begrüßen ist, sie sollte mehr sein als ein willkommener Vorwand zur Kostendeckelung.