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Mitarbeiterführung: „Weil Sie kontrollieren, müssen Sie kontrollieren“

In dieser Situation Ruhe zu bewahren – vor allem dann, wenn sich eine Mitarbeiterin dazu noch krankmeldet und die andere heute scheinbar zwei linke Hände hat –, fordert Nerven aus Draht.

Wenn sich Stress breit macht

Im ganzen Körper kann man den Stress empfinden, der sich meist langsam aufbaut und immer stärker spürbar wird. Aktiv ist nun besonders unsere Steuerzentrale des Vegetativen Nervensystems: der Hypothalamus. Das Herz beschleunigt, der Blutdruck steigt, der Atem wird flach und die Temperatur steigt, wodurch die Kühlung einsetzt. Wir schwitzen, Kopfschmerzen bauen sich auf, die Muskulatur verspannt sich. Um den gesteigerten Energiebedarf zu decken, werden die Glukosespeicher leer geräumt. Damit macht uns der Körper kampf- oder fluchtbereit. Beides ist meist nicht ideal –  und das schlägt auf die Stimmung.

Abreagieren, aber wie und wo?

Dabei brauchen wir im Grunde genommen keine weitere Energie, sondern wir wollen ja umsichtig und ruhig und gelassen bleiben. Das ist gar nicht so einfach, wenn der Körper hochgefahren ist. Also einmal fest gegen die Wand treten? Oder um den Block rennen? Und wenn uns dabei einer sieht?

Körper und Geist reagieren auf Stress

Dabei ist das noch nicht alles. Nicht nur der Körper reagiert. Auch der Geist zeigt Stresssymptome. So sinkt unsere kognitive Leistungsfähigkeit schon nach kurzer Zeit. Zunächst sind wir voll fokussiert auf den Stressauslöser, kurze Zeit später nimmt die Aufmerksamkeitsfähigkeit rapide ab: Wir bekommen weniger mit als im entspannten Zustand, können weniger Informationen verarbeiten und auch weniger behalten. So kommt es, dass wir öfter nachfragen müssen, vergessen, was wir gesagt haben, unkonzentriert arbeiten und dann selbst dazu beitragen, dass eine Behandlung, die eh schon zu lange dauert, noch länger wird. Und je mehr wir das Gefühl haben, dass uns die Kontrolle über die Situation entgleitet, umso mehr möchten wir die Sache wieder im Griff bekommen.

Dabei gibt es durchaus einen positiven Stressanteil. Dieser aktiviert uns, steigert körperliche Fitness und Konzentration. Erst an dem Punkt, an dem es zu viel wird, geht es insgesamt abwärts: ein umgekehrt–u-förmiger Zusammenhang.

Den eigenen Stress erkennen

In der aktuellen Situation helfen die üblichen Methoden: Frische Luft atmen, einmal um den Block laufen, ein Glas Wasser trinken, die Muskulatur fest anspannen und dann die Entspannung genießen. Tipps gegen Stress gibt es viele. Voraussetzung für den Einsatz dieser Methoden ist aber, dass man bemerkt, dass man in einer stressigen Situation ist. Häufig nehmen wir das gar nicht richtig wahr, sondern haben eher das Gefühl, dass heute alle um uns herum mit dem falschen Fuß aufgestanden sind.

Das ist also der erste Schritt. Überlegen Sie, wie Sie selbst feststellen können, dass Sie nicht mehr voll leistungsfähig sind. Schon das Gefühl, dass alles und alle nerven, kann das anzeigen.

Auch „gefühlte Kontrolle“ hilft

Ein großer Stressfaktor ist außerdem oft ein hoher Anspruch an sich selbst. Man möchte alles 150-prozentig gut machen und darüber hinaus die Kontrolle über alles behalten. Je mehr Menschen an einer Sache beteiligt sind – ob Mitarbeiter oder Patienten –, umso mehr hilft es, Dinge abzugeben und zu akzeptieren, dass sie in anderen Händen zwar auch kompetent, aber anders gemacht werden.

Dabei ist es ein so gutes Gefühl, wenn alles durch die eigenen Hände läuft. Da wir aber ohnehin nicht jeden Ablauf und jede Kommunikation beaufsichtigen können, sprechen Wissenschaftler inzwischen schon von „gefühlter Kontrolle“. Das Gefühl, alles im Griff zu haben, bedeutet noch lange nicht, dass dem auch so ist. Und trotzdem tut einem das Gefühl gut, auch wenn es trügt.

Sich selbst mit einem Vertrauensvorschuss entlasten

Insofern ist ein großzügiger Vertrauensvorschuss in die Kompetenz und Leistungsfähigkeit Ihrer Mitarbeiter sehr hilfreich, wenn es darum geht, sich selbst zu entlasten und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Denn mit Ihrem Zutrauen im Rücken können Mitarbeiter deutlich bessere Leistungen erzielen, als wenn sie Zweifel des Chefs spüren. Das verunsichert und hebt die Fehlerrate. Das zeigen schon ganz alte Studien aus den 50er-Jahren: Wenn Lehrer einem Schülern viel zutrauen, weil sie fälschlicherweise davon ausgehen, dass dieser Schüler einen hohen IQ hat, dann ist sein Lernzuwachs proportional sehr hoch. Umgekehrt gilt das leider auch: Sind Lehrer davon überzeugt, dass ein Kind „dumm“ ist, und deswegen wenig investieren, fällt dieses Kind auch bei normaler Intelligenz hinter den anderen ab.

Der Mitarbeiter wächst mit dem in ihn gesetzten Vertrauen

Was damals „Rosenthal-Effekt“ genannt wurde heißt heute „Kevin-und-Chantal-Phänomen“. Und wir erfahren es täglich im Umgang mit Mitarbeitern. Trauen wir in einem passenden Rahmen einer Mitarbeiterin etwas zu, dann kann sie sich auch gut entwickeln.

Wenn Sie viel kontrollieren, dann gibt es in der Regel zwei Verhaltensweisen aufseiten der Mitarbeiter: Entweder Sie kontrollieren zu Recht und müssen nachbessern, weil der Mitarbeiter immer wieder fehlerhaft oder nachlässig arbeitet. Dann wird diese Person einen Weg finden, um Ihre Kontrolle auszutricksen. In diesem Bereich sind viele Menschen sehr erfinderisch. Die Person findet dann die Schuld bei anderen oder redet sich heraus.

Falsche Kontrolle demotiviert

Misstrauen Sie aber fälschlicherweise, dann fühlt sich der Mitarbeiter gekränkt und die Beziehung ist unnötigerweise belastet. Die daraus resultierende Demotivation „Sie kontrolliert ja eh und will am liebsten alles selbst machen“, verschlingt zusätzliche Energie.

Richtiger Umgang mit Kontrolle

Wenn Kontrolle in einer Praxis zu einem wesentlichen Führungsinstrument wird, dann lernen Mitarbeiter schnell, nicht mehr das gemeinsame Praxisziel im Auge zu behalten, sondern in erster Linie, die Kontrollmechanismen zu durchschauen und zu bedienen.

Hat eine Mitarbeiterin bemerkt, dass sie in Ruhe gelassen wird oder gar dafür belohnt wird, wenn sie beispielsweise regelmäßig nach der Ordnung im Wartezimmer sieht, dann tut sie das. Sie tut es aber nicht, damit die Patienten, die später am Tag kommen, sich genauso wohlfühlen wie die Patienten, die früher einen Termin haben. Sie bedient lediglich die Kontrolle. Das bedeutet aber auch, dass sie aufhört, nach dem Rechten zu sehen, wenn die Kontrolle weniger wird oder gar entfällt.

„Ich tue nur das, was kontrolliert wird“

Durch die Kontrolle entfernt sich der Fokus vom eigentlichen Anliegen „Wir möchten, dass sich unsere Patienten bei uns rundherum wohlfühlen“ weg hin zu „Ich tue das und nur genau das, was kontrolliert wird“. Mitarbeiter machen zunächst das, was sie im Sinne der gemeinsamen Praxisphilosophie für richtig halten. Wenn sie aber das machen müssen, wofür sie kontrolliert werden, dann haben sie für die wesentlichen Aufgaben weniger Zeit.

Kontrolle kostet wertvolle Zeit

Mit Kontrolle beruhigen wir uns vor allem selbst: Wir entspannen unsere eigene Angst vor Fehlern, vor unzufriedenen Patienten, vor Begehungen. Wir beruhigen unseren eigenen Anspruch an Perfektion und fühlen uns besser, wenn wir wissen, dass alles gut gelingt. Gleichzeitig brauchen wir auch Zeit, um kontrollieren zu können. Und mit der Erfahrung, dass die Dinge nicht mehr funktionieren, wenn wir nicht kontrollieren, bleibt das Gefühl: „Immer muss ich alles kontrollieren …“ bestehen. Obwohl es falsch herum gedacht ist: Weil Sie kontrollieren, müssen Sie kontrollieren.

Die Führungskultur muss stimmen

Aus diesem Dilemma gibt es nur einen Ausweg: Die Führungskultur muss stimmen. Wenn Sie selbst als Vorbild wirken, feste Informationswege nutzen und eine konstruktive Fehlerkultur etablieren können, dann brauchen Sie nicht mehr zu kontrollieren. Werden Sie bei Fehlern ungehalten, dann wird dafür gesorgt, dass Sie diese nicht mehr bemerken. Passieren werden diese Fehler trotzdem.

Eine Fehlerkultur gelingt dann, wenn Fehler gewürdigt werden. Nicht „Wer hat Schuld?“ ist hier die richtige Frage. Sondern „Was kann die Person selbst oder gar das ganze Team daraus lernen?“ bringt alle weiter. Und Stress kann dann gar nicht mehr so schnell entstehen, weil das ganze gute Gelingen auf vielen Schultern ruht.