Wissenschaftler um den Psychologen Kelly Lambert an der University of Richmond, veröffentlichen 2019 in der Zeitschrift Behavioural Brain Research eine Untersuchung, in der sie zeigten, wie sie Ratten komplexe Verhaltensweisen beibrachten. Sie wollten wissen, wie die Tiere darauf reagieren, wenn sie ein Auto steuern konnten.
Für die Studie wurden Spielzeugautos passend umgebaut, die die Ratten rechts, links und vorwärts steuern konnten. Die Nager nahmen ihre Aufgabe gerne an und fuhren mit dem Auto zu ihrem Futter, das sie zur Belohnung erhielten. Dabei steuerten sie mehrere Stellen an und sammelten ihr Futter ein. Die verschiedenen Steuerungsmöglichkeiten des Autos nutzen sie ausgiebig. Das Autofahren schien den Tieren Spaß zu machen. Eine Analyse zeigte sogar, dass die autofahrenden Ratten weniger Stressmarker im Kot hatten, als Tiere, für die das Futter frei zugänglich war. Das bedeutet, das Autofahren senkte sogar den Stresslevel der Tiere.
Lieber selbst- als fremdgesteuert
Die gleichen Tiere setzte man nun in ferngesteuerte Autos und fuhr diese Wagen von Futterstelle zu Futterstelle. Die Ratten schien das nicht so zufrieden zu stellen. Sie bevorzugten es deutlich, selbst fahren zu dürfen. Als Fahrer waren sie zufriedener, als in der Rolle des Beifahrers. Und selbst als man ihnen das Futter entzog, um ihnen das Autofahren wieder abzugewöhnen, fuhren die Ratten munter weiter. Sie ließen sich das Fahren nicht mehr nehmen, so viel Spaß machte es ihnen, das Auto selbstbestimmt durch ihren Käfig zu lenken.
Das, was Psychologen mit dem Begriff Selbstwirksamkeit beschreiben, scheint hier den besonderen Effekt auszumachen. Selbst etwas beeinflussen und steuern zu können ist ein so hoher Motivator, da braucht es keine zusätzliche Belohnung. Im Gegenteil. Das Gefühl der Selbstwirksamkeit belohnt an sich. Vielleicht erklärt das auch ein bisschen, warum Menschen sich so gerne in ihr Auto setzen. Trotz der vielen Staus.
Selbstbestimmung motiviert
Übertragen auf die Zusammenarbeit im Team können wir diesem Experiment entnehmen, dass jeder Mitarbeiter einen Entscheidungsrahmen oder einen Bereich braucht, in dem er selbstbestimmt handeln kann. Je höher der Anteil der Selbstbestimmung, umso zufriedener wird die Person mit ihrem Arbeitsplatz sein. Die Selbstbestimmung und das damit verbundene Gefühl der Selbstwirksamkeit fängt bei den Arbeitszeiten an, erstreckt sich auf Gebiete, in denen die Person Fachkompetenz besitzt und betriff schließlich auch den Umgangston und die Gemeinschaft. Je mehr Einfluss wir nehmen können, je mehr wir mitgestalten können, umso zufriedener sind wir mit unserer Tätigkeit und mit unserem Umfeld.
Wenn wir also die Glückseligkeit der autofahrenden Ratten gerne in unserem Team sehen möchten und die sich daraus entwickelnde positive Energie für das Team nutzen möchten, dann lohnt es sich, die Aufgabenverteilung in der Praxis nochmals genau zu prüfen:
- Wer hat sich in welche Richtung weiterentwickelt?
- Wer verfügt über welche Kompetenzen?
- Kann jede Person ihre Kompetenzen einsetzen?
Am besten bespricht man das jeweils mit der einzelnen Person und auch mit dem gesamten Team. Oft weiß ein Team besser, welche Person welche Stärke hat, als die Person selbst. Insofern kann das Team auch über jede Person Hypothesen generieren: „Anna kann besonders gut…“. Wenn es mit diesen Rückmeldungen und Justierungen gelingt, jede Person in ihren Stärken einzusetzen, dann geht es darum, den Entscheidungsrahmen zu erweitern:
- Was, das bisher Sie selbst entschieden haben, könnten Sie dieser Person abgeben?
- Wie kann es gelingen, dass diese Person mehr Selbstverantwortung übernimmt?
Entscheidungen übertragen
Wenn Sie unsicher sind, ob Sie die Entscheidungskompetenz der Person übertragen können, dann gibt es weitere Optionen. Die erste Option ist, die Entscheidung nicht komplett, sondern in kleinen Teilen zu übertragen. Vielleicht kann die Person den ersten Schritt entscheiden und Sie selbst den zweiten? Eine weitere Option ist, dass die Person selbstständig entscheidet und Sie sich ab und zu die Entscheidungen vorlegen lassen. Das schützt auch die Person davor, Fehler zu machen.
Für komplexere Entscheidungen gibt es darüber hinaus die sogenannte Beratungsregel. Eine Person darf eine größere Entscheidung treffen, insofern sie diese Entscheidung mit zwei Kollegen bespricht, die die Sachlage ebenso kompetent beurteilen können. Über die Einwände und Bedenken der Kollegen sollte die Person ernsthaft nachdenken und diese in ihre Entscheidung mit einbeziehen. Wenn sie alles gehört und integriert hat, kann sie die Entscheidung treffen.
Was zunächst etwas mühsam erscheint, entlastet einzelne Personen und das Verfahren stärkt das Team. Sie wissen, dass jeder gerne beratend zur Verfügung steht, nehmen einen Teil der Verantwortung mit auf ihre Schultern und trauen sich nach und nach mehr zu, denn sie stehen nicht allein da. Und wenn dieser Geist im Team etabliert ist und jede Person ihren „Drivers Seat“ gefunden hat und selbstbestimmt unterwegs ist, dann macht die Arbeit bestimmt genauso viel Spaß, wie den Tieren das Autofahren. Und: Möglicherweise haben die Mitarbeiter dann auch weniger Stresshormone im Blut.