Demografischer Wandel und Fachkräftemangel, Milliardendefizite und Digitalisierung: Das Gesundheitssystem in Deutschland steht vor enormen Herausforderungen. Beim Pfälzischen Zahnärztetag kritisierten die Zahnärzte den fehlenden Mut der Politik, grundlegende Reformen anzugehen. Sie forderten mehr Zutrauen in die Heilberufe und die Selbstverwaltung.
Neue Zeiten – neue Ziele“ lautete das Motto des Pfälzischen Zahnärztetages, zu dem die Bezirkszahnärztekammer (BZK) Pfalz und die Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) Rheinland-Pfalz Ende Juni eingeladen hatten. Dr. Michael Orth, Vorsitzender der BZK Pfalz, begrüßte mehr als 200 Gäste auf dem Hambacher Schloss, einem Symbol für Freiheit, Einheit und Demokratie. „Zahnärztinnen und Zahnärzte sind Teil der Bürgergesellschaft. Wir stellen uns dem politischen Diskurs, legen aber auch den Finger in die Wunde“, sagt er.
Er betonte die Bedeutung der Gesundheitspolitik als Teil der Daseinsvorsorge. Enttäuschend sei daher deren geringer Stellenwert im Koalitionsvertrag der neuen Regierung. „Wir hätten uns ein deutliches Bekenntnis zur Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung gewünscht“, erklärt Orth. Finanzierungslücken im Gesundheitssystem mit wiederkehrenden Kostendämpfungsmaßnahmen, steigende Praxiskosten und Bürokratie betrachtete er als Herausforderungen, die das Handeln der Zahnärzte lähmten. Dabei belegten die „gigantischen Präventionserfolge, was ein freiheitliches Gesundheitssystem schaffen kann, wenn man den Akteuren nicht die Luft zum Atmen nimmt“, betont Orth.
Falsche Fairness des Gesetzgebers
Dr. Christine Ehrhardt, Vorstandsvorsitzende der KZV Rheinland-Pfalz, beleuchtete die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung als drängende Herausforderung. Gerade in ländlichen und strukturschwachen Regionen sinke die Niederlassungsbereitschaft.
Unter dem Deckmantel eines Fairnessausgleiches plane der Gesetzgeber nun, in das zahnärztliche Zulassungsverfahren, die Bedarfsplanung und die Honorarverteilung einzugreifen. „Mit diesen Plänen werden die Zahnärzte für eine Entwicklung in Geiselhaft genommen, für die sie nicht verantwortlich sind. Die Politik blendet aus, wie es um die gesamte Infrastruktur in den strukturschwachen Gebieten steht. Deren Zustand ist ursächlich für das Abwandern, und zwar nicht nur von Zahnärzten, sondern von der Wirtschaft und großer Teile der jungen Generation“, kritisiert sie.
Verantwortlich sei vielmehr die Politik, die in der Fläche keine gleichwertigen Lebensverhältnisse geschaffen habe. Komme der Staat seinen Verpflichtungen nicht nach, würden auch staatliche Eingriffe in Zulassung und Honorarverteilung die wohnortnahe Versorgung nicht verbessern. Das zeigten die Erfahrungen bei den Ärzten, betont Ehrhardt. Die Pläne der Politik stellten einen Eingriff in die Selbstverwaltung dar, der zu weiteren Planungsunsicherheiten für die Zahnärzteschaft führen werde. „Dadurch sinkt die Bereitschaft zur Niederlassung mit hohen Investitionskosten weiter“, prognostiziert sie. Allerdings reichte sie der Politik die Hand: „Für einen wertschätzenden, konstruktiven Dialog sind wir jederzeit bereit, um vor Ort Lösungen für schwierige Versorgungssituationen gemeinsam mit den Krankenkassen und den Kommunen zu finden.“

Die Referenten und Gastgeber des Pfälzischen Zahnärztetages (von links): Dr. Michael Orth (BZK Pfalz), Prof. Dr. Bernadette Pretzl, Prof. Dr. Alena Buyx, Dr. Christine Ehrhardt (KZV Rheinland-Pfalz) und Dr. Jürgen Fedderwitz
Mangelnde Bereitschaft, mehr Eigenverantwortung zu fordern
Für Dr. Jürgen Fedderwitz, ehemaliger Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, entstehen Herausforderungen im Gesundheitswesen aus dem „magischen Dreieck“, in dem Staat, Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und Zahnärzteschaft mit unterschiedlichen Aufgaben und Interessen, aber gegenseitigen Abhängigkeiten agieren.
Die Finanzierung der GKV sieht er als die wesentliche Herausforderung. Er bemängelte die Fixierung der Politik auf die Stabilität der Beitragssätze – deren Beibehaltung sei nahezu unmöglich – sowie deren mangelnde Bereitschaft, das solidarisch finanzierte Gesundheitssystem zu reformieren. „Solange dies nicht geschieht, wird sich nichts Grundlegendes ändern“, sagt Fedderwitz.
Er monierte auch den fehlenden Mut der Politik, von Versicherten mehr Eigenverantwortung zu fordern. Aus seiner Sicht führt die Abhängigkeit der zahnärztlichen Honorare von der Entwicklung der Grundlohnsumme zu einer anhaltenden Budgetierung, die den Alltag der Zahnärzte weiter prägen werde. Verschärft würden die Finanzprobleme der GKV durch die gesamtwirtschaftliche Situation und demografische Entwicklung.
Die Zahnärzteschaft stehe darüber hinaus vor Herausforderungen bei der Sicherstellung der Versorgung infolge der Überalterung im Berufsstand, der abnehmenden Niederlassungsbereitschaft und der wachsenden Zahl medizinischer Versorgungszentren.
Trotz dieser Hürden betont Fedderwitz den hohen fachlichen Anspruch der Zahnärzteschaft: „Unser Ziel muss es bleiben, Patienten lebenslang eine bestmögliche Zahngesundheit zu ermöglichen.“ Dafür fordert er klare politische Rahmenbedingungen, die eine qualitativ hochwertige und patientenorientierte Versorgung langfristig sichern.
Alle zwei Jahre ist das Hambacher Schloss Schauplatz des Pfälzischen Zahnärztetages. Die Zahnärzteschaft diskutiert neben zahnärztlichen Positionen auch gesellschaftskritische und wissenschaftliche Themen.
Festrednerin in diesem Jahr war Prof. Dr. Alena Buyx, Medizinethikerin und Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Technischen Universität München. In ihrem Vortrag „Medizin – Zwischen Mensch und Maschine“ sprach sie über die Möglichkeiten und Grenzen künstlicher Intelligenz (KI) in der Medizin. Sie betonte, dass die Diskussion zwischen Extremen schwanke.
„KI kann viel Gutes tun, ist aber auch brandgefährlich“
Ihrer Meinung nach ist KI „eine klassische Dual-Use-Technologie, wie Atomkraft. KI kann viel Gutes tun. Zugleich ist sie brandgefährlich.“ KI habe „fantastische Fähigkeiten“. Sie könne aber mit der menschlichen Intelligenz in all ihren Dimensionen nicht Schritt halten. „Wir sind mehr als Statistik. Unsere Intelligenz ist sozial, emotional, verkörpert und historisch“, erklärt Buyx. Deswegen dürften und könnten KI-Anwendungen niemals die moralisch relevante Letztverantwortung übernehmen und den Menschen ersetzen, mahnt sie. An die Zahnärzte appelliert sie, zum Wohl der Patienten mitzuentscheiden, welche Bereiche ihrer Tätigkeit für KI zugänglich gemacht werden und welche nicht. Diese Entscheidung könnten weder Programmierer noch Politiker treffen. Buyx: „Sie sind die Experten.“
Viel erreicht, aber manche Wünsche bleiben noch offen
Prof. Dr. Bernadette Pretzl, Oberärztin an Poliklinik für Parodontologie der Goethe Universität Frankfurt am Main und Direktorin der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe, skizzierte in ihrem wissenschaftlichen Vortrag, welche Erfolge durch zahnärztliche Therapie erzielt werden konnten. Sie spannte den Bogen von der Kariologie bis zur Parodontitis, untermauert durch Daten der Deutschen Mundgesundheitsstudien. Die Reduktion der Karies und der Zahnerhalt bis in höhere Alter nannte sie als positive Beispiele. „Wir haben schon viel erreicht, einige Wünsche zur Mundgesundheit bleiben aber noch offen“, bilanziert Pretzl.
So profitierten Kinder mit Migrationsgeschichte noch nicht gleichermaßen von den zahnärztlichen Präventionsangeboten. Rund 14 Millionen Menschen litten an einer schweren Form der Parodontitis mit großem Behandlungsbedarf. Sie lud die Zahnärzte deshalb ein, „auch in Zukunft gemeinsam mit den Patienten den Mut aufzubringen, scheinbar Unmögliches zu wagen, um das Mögliche zu erreichen“.