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„Die Seniorenzahnmedizin muss medizinischer werden“

Prof. Sebastian Hahnel ist Direktor der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik des Universitätsklinikums Leipzig.

Prof. Sebastian Hahnel ist Direktor der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik des Universitätsklinikums Leipzig.

Es gibt immer mehr ältere Menschen in Deutschland. Wie können Zahnärzte den speziellen Bedürfnissen und Ansprüchen dieser Patientengruppe gerecht werden? Antworten darauf gibt Prof. Sebastian Hahnel. Der Direktor der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde am Universitätsklinikum Leipzig äußert sich im Interview mit DZW-Redakteurin Evelyn Stolberg außerdem dazu, welche Rolle Angehörige spielen können und warum ein abnehmbarer Zahnersatz bei Pflegebedürftigen sinnvoll ist.    

Sie sagen „die Zahnmedizin wird in Zukunft medizinischer werden müssen“. Warum?

Prof. Sebastian Hahnel: Weil sich die Patienten und ihre Bedürfnisse verändern. Wenn man sich die demografische Entwicklung anschaut, sieht man ja, dass es immer mehr ältere Menschen gibt. Auf die Prothetik bezogen kann ich sagen: Den jüngeren fehlen immer weniger Zähne, dafür verschiebt sich der Zahnverlust ins hohe Alter. Diese Patientengruppe hat viele Begleiterkrankungen, die ich als Zahnarzt berücksichtigen muss. Deshalb muss ein Zahnmediziner mehr medizinisches Wissen haben.  

Stichwort Multimorbidität: Vor welche Herausforderungen stellt dies den Zahnarzt?

Hahnel: Das hat ganz unterschiedliche Implikationen, beispielsweise können viele Patienten nicht mehr in die Praxis kommen, weshalb die aufsuchende Betreuung immer wichtiger wird. Bei der Wahl des Zahnersatzes stellt sich wiederum die Frage, welcher für den Patienten der jeweils richtige ist und ob er die Pflege noch selbst übernehmen kann.
Bei vielen Behandlungen müssen wir, selbst wenn es sich nur um die Entfernung von Zahnstein handelt, berücksichtigen oder in Erfahrung bringen, welche Medikation der Patient gerade einnimmt. Da ein Patient oft mehrere Grunderkrankungen hat, ist der  Austausch mit den Kollegen sehr wichtig. Und ich muss mich intensiv mit jedem einzelnen Patienten auseinandersetzen. Wie belastbar ist er? Und welche Art der Behandlung ist deshalb die sinnvollste für ihn?

Was muss ein Zahnarzt, der eine Pflegeeinrichtung aufsucht, beachten?  

Hahnel: Hier gibt es mehrere Hürden. Die Neuregelung durch die DSGVO erschwert den Austausch mit den Kollegen, etwa, wenn man sich einen aktuellen Überblick über die Grunderkrankungen und Medikamente verschaffen möchte. Oft sind die Patienten außerdem nicht geschäftsfähig, was bedeutet, dass der entsprechende Ansprechpartner kontaktiert werden muss. Aus diesem Grund dauert es zum Beispiel oftmals lange, bis ein Heil- und Kostenplan unterschrieben zurückkommt. Während so einer Verzögerung kann sich der Zustand des Patienten manchmal auch deutlich verändern, sodass eine Umplanung notwendig ist. Dafür habe ich leider noch keine gute Lösungsidee.

Wie ist es um das Engagement der Uni Leipzig bestellt?

Hahnel: Wir sind nicht in der Position und auch personell nicht in der Lage, die Einrichtungen selbst regelmäßig zu betreuen. Wir behandeln ambulant aber natürlich ältere Patienten mit und ohne Pflegebedarf. Zweimal im Jahr besuchen wir mit unseren Studierenden Pflegeheime. Sie befunden die Senioren und schreiben einen individuellen Behandlungsplan für sie. Die Idee dahinter ist, das Bewusstsein zu schärfen, weil die Seniorenzahnmedizin in Zukunft ein wesentlicher Aspekt der Zahnmedizin sein wird. Wir wollen Hemmschwellen abbauen und zeigen, dass es mit und ohne umfangreiche Ausstattung möglich ist, in Heimen zu helfen. Die Studierenden vor Ort können ganz konkret erfahren, wie unterschiedlich belastbar die Patienten sind. Über etwas zu sprechen oder es zu erleben, sind nun mal zwei unterschiedliche Dinge.

Welche Rolle spielen die Angehörigen bei der Zahngesundheit Pflegebedürftiger?

Hahnel: Aktuell gibt es gut zwei Millionen Pflegebedürftige, die zu Hause gepflegt werden. Die Angehörigen haben also einen entscheidenden Anteil an der Zahngesundheit und sollten entsprechend geschult und angeleitet werden. Wenn Angehörige eine Pflegeeinrichtung aussuchen, sollten sie fragen, ob es eine zahnärztliche Betreuung gibt, die eine gewisse Kontinuität gewährleistet.

Ab 2019 sollen Kooperationsverträge verbindlicher werden. Seniorenheime sollen innerhalb von drei Monaten einen Zahnarzt vermittelt bekommen. Ist das realistisch?

Hahnel: Das kann ich nicht beantworten. Ich denke aber, dass es gemessen an der Anzahl der Zahnärzte eigentlich funktionieren müsste. Ich glaube, wer sich hier spezialisiert, muss Idealismus mitbringen, denn Seniorenzahnmedizin hat wenig mit Hochglanzzahnmedizin zu tun.

Welche Art Zahnersatz im Alter ist der richtige?

Hahnel: Die eigenen Zähne zu behalten ist natürlich immer am besten. Je mehr eigene Zähne man noch hat, und umso kleinflächiger der Zahnersatz ist, desto besser. Das ist mein Credo, obwohl die Prothetik mein Fachgebiet ist. Wenn jedoch eine erhebliche Anzahl an Zähnen fehlt, gibt es von festsitzenden bis zu abnehmbaren Versorgungen viele Lösungen. Festsitzender Zahnersatz ist in der Regel komfortabler, allerdings gerade bei alten Patienten nicht immer die günstigste Lösung, da die Umbaumaßnahmen bei notwendigen Änderungen sehr groß sind. Da ist die Frage, ob man das in der aufsuchenden Betreuung überhaupt abbilden kann. Ein abnehmbarer Zahnersatz, den auch andere Personen reinigen können, ist dann die schlauere Variante.

Woran forscht die Uni Leipzig, um die Mundgesundheit von pflegebedürftigen Senioren zu verbessern?  

Hahnel: Wir haben eine Arbeitsgruppe, die sich intensiv mit Themen der Alterszahnmedizin beschäftigt. Mich persönlich interessiert die Mundtrockenheit, die häufig eine Nebenwirkung von Medikamenten ist und gerade bei alten Menschen sehr häufig auftritt. Das stellt uns beim Thema Prothetik vor Probleme, da sich die Prothesen nur ansaugen und festsitzen, wenn ausreichend Speichel vorhanden ist. Erwiesen ist außerdem, dass alte Patienten, die nachts ihre Prothesen tragen, eher eine Pneumonie entwickeln. Es ließen sich Keime auf den Prothesen nachweisen, die eindeutig damit assoziiert sind. Deshalb arbeiten wir an Werkstoffen, auf denen sich wenig Keime ansiedeln, beziehungsweise leicht entfernt werden können.

Zur Person

Prof. Dr. Sebastian Hahnel studierte Zahnmedizin an der Universität Regensburg und erhielt seine Approbation im Jahr 2006; von 2007 an war er an der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik des Universitätsklinikums Regensburg beschäftigt, seit dem Jahr 2011 als Oberarzt. Im Jahr 2007 schloss er seine Promotion und im Jahr 2011 seine Habilitation ab. Seit April 2018 ist er Direktor der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik des Universitätsklinikums Leipzig. Er ist qualifiziert fortgebildeter Spezialist für Prothetik der DGPro und Spezialist für Alterszahnmedizin der DGAZ.


Dieser Artikel ist Teil unseres Schwerpunktes "Patienten mit Beeinträchtigungen".