„Habe Fieber. Kann leider nicht kommen. Melde mich, wenn es besser wird.“ Wenn der mit Tag mit dieser Nachricht beginnt, dann ist der Stress programmiert. Eine Mitarbeiterin weniger fordert Höchstleistungen vom Team. Schnell zusammensetzen und überlegen, wie die fehlende Kraft ausgeglichen werden kann. Wer kann länger bleiben? Wer seine Mittagspause verschieben? Die meisten Teams stehen in solchen Situationen gerne füreinander ein. Und jeder Chef hofft, dass durch die Mehrbelastung nicht noch jemand ausfällt.
Eine Versuchsreihe in den 80er-Jahren zeigte, dass Menschen, die sich wohlfühlen, weniger anfällig für Grippeviren sind. Dafür hat der Sozialpsychologe Sheldon Cohen 276 gesunden Menschen Grippeviren in die Nase getropft und sie anschließend sechs Tage lang in Quarantäne beobachtet. Gleichzeitig wurde mittels Fragebogen ihre Stimmung ermittelt. Der Forscher wollte wissen, wie die vergangenen zwölf Monate verlaufen waren, welche einschneidenden Lebensereignisse es gegeben hatte und was die Personen gerade belastete. Das Ergebnis war eindeutig: Die Teilnehmer, die sich dauerhaft gestresst fühlten, infizierten sich leichter mit den Grippeviren.
Diese Untersuchung ist nicht nur ein Meilenstein in der Gesundheitspsychologie, sie macht auch Mut, darüber nachzudenken, wie ein Arbeitsumfeld gestaltet werden kann, damit Mitarbeiter entspannter und mit mehr Freude arbeiten können. Vermutlich ist es ergiebiger, sich an dieser Stelle Gedanken zu machen, als einfallsreich ein optimales Krisenmanagement bei spontanen Ausfällen zu beherrschen. Und dennoch kann man beobachten, dass erst dann nachgedacht wird, wenn der Erstfall eingetreten ist.
Gelassen bleiben
Menschen, die einmal im Monat Stress erleben, stecken sich zweimal so häufig bei erkrankten Mitmenschen an, wie Personen, die keine besondere Belastung empfinden. Und das gilt unabhängig von Virustyp, Jahreszeit oder Status der Antikörper. Das konnte Cohen in weiteren 25 Forscherjahren immer wieder bestätigen. Chronischer Stress wirkt sich aus. Und eine Erkältung ist hier nur der Anfang. Viele andere typischen Erkrankungen unserer Leistungsgesellschaft folgen. Dabei ist die allgemeine Lebensführung ein genauso wichtiger Faktor wie der Arbeitgeber. Immerhin können wir in der Art und Weise der Zusammenarbeit diesen Anteil beeinflussen und dafür sorgen, dass es den Mitarbeitern in der Praxis gutgeht.
Stress meint in diesem Zusammenhang nicht unbedingt viel Arbeit. Auch wenn viele Patienten da sind, man sehr aufmerksam arbeiten muss und maximal gefordert ist, kann das Spaß machen und das Immunsystem sogar stabilisieren. Vor allem dann, wenn sich das Team beim Schließen der Praxistür gemeinsam über einen erfolgreichen Tag freuen kann. Und wenn es gelungen ist, auch bei viel Arbeit und anstrengenden Situationen miteinander fröhlich und freundlich umzugehen. Denn eine anspruchsvolle Arbeit kann als befriedigend empfunden werden.
Entscheidend ist in der Regel weniger das Ausmaß der Belastungen als die Bewertungen derselben. Ist die Selbstwirksamkeit gefährdet, verlieren wir Energie. Die Selbstwirksamkeit gibt uns das sichere Gefühl „Ich kann das“ und „Ich schaffe das“. Wenn sich hier Zweifel auftun, dann werden wir unsicher, entwickeln Ängste und verausgaben uns.
Fühlen wir uns einer stressigen Situation gewachsen, tritt dieser Effekt nicht ein. Deswegen ist es als Chef in der Praxis wichtig, hier die Vorbildrolle einzunehmen und auch in Zeiten, in denen sehr viel zu tun ist, freundlich und gelassen zu bleiben. Auch dann, wenn es nicht so „fluppt“, wie Sie es sich vorstellen. Werden Sie nun ungehalten, blicken unzufrieden und äußern Kritik, verursachen Sie Stress, der die Situation nicht verbessert. Ermutigend unterwegs zu sein, die stressige Situation zu bestätigen und gleichzeitig freundliche Zuversicht auszustrahlen, hilft eher und unterstützt die Arbeitsweise und die Kompensationsstrategien der Mitarbeiter, als zusätzlich zum Stressfaktor für andere zu werden.
„Wenn viel los ist, kriegt der Chef schlechte Laune und quengelt ständig“, erzählte einmal eine Mitarbeiterin einer großen Praxis, „und dann wird es richtig anstrengend und macht keinen Spaß mehr.“ Quengeln hilft keinem und verschärft nur die Situation. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein paar Tage später jemand krank ist, nimmt deutlich zu – entweder weil sich tatsächlich Viren eingenistet haben oder einfach weil die Person eine Auszeit aus der angespannten Atmosphäre braucht. Einer weniger im Team erhöht die Arbeitslast der Verbleibenden. Wen wundert es, wenn ein paar Tage später noch einer eine Auszeit braucht. Und die Person, die am längsten durchhält, erkrankt dann möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt chronisch.
Für gute Stimmung sorgen
Einfluss und Kontrollmöglichkeiten gehören nicht umsonst zu den salutogenetischen Prinzipien. Denn wenn wir Dinge beeinflussen und etwas tun können, das die Situation verbessert, dann fühlen wir uns direkt besser.
Männer reagieren häufig anders als Frauen auf Stress. Während sich Männer eher zurückziehen, suchen Frauen nach sozialer Unterstützung. Und es ist nicht besonders schwierig, sich in fordernden Zeiten gegenseitig zu unterstützen. Dafür können Sie auch gemeinsam mit Ihrem Team eine Vereinbarung treffen. Wenn wir bemerken, dass es anstrengend wird, wie kann es uns dann gelingen, gemeinsam bei guter Laune zu bleiben? Manche Praxen vereinbaren dafür ein Codewort oder eine Geste, um den Kollegen oder den Chef daran zu erinnern, ein nettes Gesicht zu machen, damit die Atmosphäre gut bleibt. Andere stecken sich etwas zu, einen gemalten Smiley oder eine kleine Leckerei. Weil sich so alle gemeinsam für die gute Laune verantwortlich fühlen, gelingt es eher, diese aufrechtzuerhalten und einen freundlichen Umgangston zu pflegen.
Was auch die Laune und die Gesundheit tatsächlich nachgewiesen aufbessert, ist regelmäßige Bewegung. Bei älteren Menschen führt das zu einer höheren Konzentrationsfähigkeit, schnellere Reaktionszeit und besseren räumlich-visuellen Funktionen. Für Menschen im mittleren Lebensalter gibt es dazu noch keine Studien. Aber jeder, der einen Selbstversuch startet, wird über den Effekt von Bewegung erstaunt sein. Warum nicht dem Team eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio ermöglichen oder sogar einmal in der Woche gemeinsam an einem Kurs teilnehmen? Was präventiv Stimmung und Fitness verbessert, kann darüber hinaus auch noch den Teamzusammenhalt stärken. Dann heißt die Nachricht am Morgen danach vielleicht: „Habe Muskelkater, kann heute nicht lachen. Wie geht es euch?“ Und diese Nachricht macht erheblich mehr Spaß als eine Krankmeldung.