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Cross Check statt Kränkung
Kränkung

Wer bei Kritik nicht auf die richtige Wortwahl achtet, kann dazu beitragen, dass Mitarbeiter gekränkt sind und kündigen.

„Immer, wenn Sonja das Behandlungszimmer säubert, findet man noch etwas: Hier liegt ein Stück Zahnseide, da klebt noch etwas Abdruckmasse oder es findet sich ein Haar auf dem Tray.“ Was mit einem zufriedenen Lächeln und ohne böse Absicht von der Kollegin verkündet wird, kann Sonja ganz schön kränken. „Sag mal, stalkst du mich, Veronika?“, entgegnet sie. „Ist doch nicht böse gemeint. Ist mir nur so aufgefallen. Ich mache es dann vor dem nächsten Patienten einfach richtig sauber und fertig“, rechtfertigt sich diese.

Ausgleichen statt anklagen

Was oberflächlich wie ein kleiner netter Schlagabtausch zwischen Kollegen anmutet, kann unter die Haut gehen. „Aber das muss man doch verkraften können“, mag man einwenden, „wenn die Kollegin tatsächlich schlampig arbeitet, muss man sich das doch auch sagen dürfen.“ Ja, das geht auch. In dieser Form aber bleibt für Sonja das Gefühl, dass die Kollegin sie kontrolliert und bloßstellen möchte. Denn sie nimmt für sich in Anspruch, es besser zu können. Und das erzeugt ein schlechtes Gefühl. Denn „richtig sauber“ möchte Sonja das Behandlungszimmer auch hinterlassen. Und meistens gelingt es.

Unter vier Augen lassen sich ganz andere Dinge kommunizieren als im Teammeeting. Deswegen gehören solche „Entdeckungen“ nicht in den großen Kreis, auch nicht nett formuliert. Was für den Chef gilt, ist auch für die kollegiale Zusammenarbeit von Bedeutung. Für Feedback zieht man sich am besten zu zweit zurück. Publikum macht es immer schwerer, es in einer geeigneten Form zu formulieren und es anzunehmen. Am besten suchen beide eine gute Lösung für das Problem. Denn übersehen kann ja jeder mal etwas.

Prinzip aus der Flugsicherheit

Manche Praxen haben deswegen ein Vier-Augen-Prinzip, das Cross Check aus der Flugsicherheit, eingeführt. Eine Stewardess schließt die Flugzeugtür. Eine andere überprüft, ob diese verschlossen ist. Nicht, weil sie der Kollegin misstraut, sondern weil es so wichtig ist, dass die Tür sorgfältig geschlossen wird. Eine Mitarbeiterin säubert das Zimmer. Eine zweite schaut noch einmal drüber und entfernt übersehene Kleinigkeiten. Das ist keine Kontrolle, sondern dient der Hygiene in der Zahnarztpraxis.

Cross Check wird eher akzeptiert als Kontrolle. Das Ergebnis ist das gleiche, könnte man einwenden. Das mag sein. Aber die Haltung und der Ton sind ein anderer. Mit einem solchen festen Prozess zeigt man, dass ein Team dafür da ist, gegenseitig auszugleichen, nicht anzuklagen.

Kränkungen haben Folgen

Jede Kränkung hinterlässt eine kleine Narbe, welche die Grundlage für die nächste Interaktion und die nächste Kooperation bildet. Das Geschehen gelingt nicht mehr so unbefangen. Man passt mehr auf, verliert Vertrauen und sucht eher nach Fehlern bei der Kollegin, anstatt gut und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten.

Manche Menschen ziehen sich nach Kränkungen auch zurück. Um eine weitere negative Interaktion zu vermeiden, gehen sie der Kollegin aus dem Weg. Sie kooperieren nur noch oberflächlich, sind innerlich immer auf der Hut. Das Klima ist angespannt. Der Fokus auf eine negative Interaktion kann so intensiv sein, dass jedes Miteinander vor diesem Hintergrund interpretiert wird. Und jeder von uns weiß, was geschieht, wenn wir eine negative Erwartung haben: Wir sorgen selbst mit dafür, dass etwas Kritisches passiert, wenn auch unbewusst. Der Rückzug verstärkt sich, bis er sich zu einem Abnabelungsprozess entwickelt.

Kränkungen führen zur (inneren) Kündigung

Da man Worte nicht ungeschehen machen kann, hilft ein: „Ich wollte dich nicht kränken, es fiel mir einfach nur auf“, in dieser Situation nicht weiter. Meistens entziehen sich diese Nettigkeiten untereinander ohnehin der Aufmerksamkeit des Arztes. Er bemerkt es gar nicht oder sagt einfach: „Entschuldigt euch und dann ist es wieder gut.“ Das gelingt nicht, und solche Kränkungen können nach einer Zeit zur inneren und später auch tatsächlichen Kündigung führen. Dann wundert sich der Praxisinhaber: „Habe gar nicht bemerkt, dass es dir bei uns nicht gefallen hat.“

Manchmal ist auch der Chef genervt. Dann greift er zu zynischen Äußerungen. „Mal sehen, ob Sie so die Probezeit bei uns überstehen werden“, klingt zunächst lustig und wird auch mit einem Augenzwinkern versehen, aber es kann genauso ins Herz treffen. Vor allem, wenn jemand auf sein Einkommen angewiesen ist, kann er darüber gar nicht lachen.

Mit Bedacht Kommunizieren

Was der Chef nach ein paar Minuten schon wieder vergessen hat, mag die Mitarbeiterin viele Tage beschäftigen. Manche schlaflosen Nächte und Tränen müssten nicht sein, wenn Menschen ihre Äußerungen bedacht wählen und sich nicht aus einer angespannten Lage zu unbedachten Sätzen hinreißen ließen. Auch, wenn es lustig gemeint ist.

Sicher gibt es für jede Situation eine Lösung, wenn alle Beteiligten daran interessiert sind. Gekränkte Menschen wollen aber oft keine Lösung mehr. Das Risiko, wieder gekränkt zu werden, ist für sie einfach zu hoch. Sie brauchen ein neues Umfeld, um sich wieder wohlzufühlen. Und besonders schwer ist es nicht, eine andere nette Praxis zu finden. Ein neuer Start kann alle Erfahrung vergessen machen und wohltuend wirken.

Cross Check statt Schuldzuweisung

In anderen Kulturkreisen ist der gesichtswahrende Umgang untereinander das wichtigste Element in Kommunikation und Zusammenarbeit. Nicht jeder hat ein dickes Fell. Deswegen kann es wichtig sein, sich hiervon etwas abzuschauen. Anstatt zu sagen „immer wenn Sonja …“, würde man dort gleich das Cross-Check-Prinzip vorschlagen, ohne jemanden persönlich vorzuführen oder anzugreifen. Lösungen sind besser als die Schuldfrage zu klären. Denn auch wenn man den Schuldigen gefunden hat, ist noch keine Lösung in Sicht.

In unserem Kulturkreis schützen wir uns selbst durch Schuldzuweisungen. Wir machen darauf aufmerksam, dass Sonja etwas übersehen hat, um von unserer eigenen Unzulänglichkeit abzulenken. Kein Mensch arbeitet fehlerfrei. Deswegen haben wir uns ja gegenseitig im Team, um gemeinsam optimale Leistungen zu erbringen. So kann Sonja Veronika ausgleichen und umgekehrt. Es zu tun, fällt leicht. Darüber zu sprechen ist oft schwierig. Das Tun toppt auch hier das Reden. Einfach mal etwas wegräumen, was der andere übersehen hat, ist gar nicht so schlimm. Und wenn jeder weiß, die Kollegin ist mein Back-up, kann Teamgeist und Zusammenhalt entstehen. Wenn ich mal etwas übersehe, passen die anderen mit auf. Dieser Gedanke entspannt den Tag, gibt Zuversicht und trägt zu einem guten Klima bei.

Intensivstationen machen uns das vor. Hier herrscht oft das beste Teamklima im Krankenhaus. Die Arbeit ist im wahrsten Sinne des Wortes intensiv, und deswegen sind alle hoch konzentriert bei der Sache. Für Spitzen und kritische Bemerkungen bleibt keine Zeit. Denn jeder ist auf den anderen angewiesen, und nur gemeinsam kann diese optimale Betreuung der Patienten gewährleistet werden. Vielleicht kann sich Veronika von dieser Art der Zusammenarbeit inspirieren lassen.