„Mehr Licht“ hat sich schon der sehr alte Goethe gewünscht. Für die Entlastung der Augen in der täglichen Praxis sind gute Lichtverhältnisse ein zentraler Faktor. Dies und mehr erläutert Augenoptikermeisterin und Funktionaloptometristin Alexandra Römer im DZW-Interview.
Was macht eigentlich eine Optometristin?
Alexandra Römer: Ich bin genau genommen Funktionaloptometristin und beschäftige mich mit der visuellen Leistungsfähigkeit eines Menschen. Das hat nicht unbedingt etwas mit der Brille zu tun – damit befasse ich mich natürlich auch –, aber es gibt ganz viele andere Faktoren in der Sehverarbeitung, die funktionieren sollten, damit beschwerdefreies Sehen möglich ist. Diese teste ich mit speziellen Prüf- und Messverfahren und erkenne so, wo eventuell Defizite sind. Diese kann ich anhand eines Übungsplans „wegtrainieren“ beziwhungsweise vermindern. Oder der Patient bekommt eine spezielle Brille gegen die Beschwerden.
Sie haben gesagt, die Sehverarbeitung umfasst verschiedene Faktoren – was sind diese Bereiche des Sehens?
Römer: Erstes Element ist die Augenbewegung: bin ich überhaupt fähig, meine Augenmuskulatur so zu bewegen, dass ich zum Beispiel einen Lesetext Wort für Wort abscannen kann, habe ich da eine gewisse Flexibilität? Die Okulomotorik muss gut funktionieren, damit feinmotorische Aufgaben überhaupt exakt ausgeführt werden können. Der zweite Bereich ist die Beidäugigkeit. Nehmen beide Augen am Sehprozess teil, oder wird zum Beispiel ein Auge bei anspruchsvollen Sehaufgaben unterdrückt? Der Mensch braucht sein beidäugiges Sehen, um entlastend sehen zu können. Wenn dies nicht richtig funktioniert, verschwendet der Organismus sehr viel Energie für das Sehen, die ihm dann bei anderen Aufgaben fehlt. Der dritte Bereich ist die sogenannte Akkomodation oder Identifizierung. Damit ist die Flexibilität der Augenlinse gemeint, sich auf unterschiedliche Sehentferungen einzustellen, sich scharf zu zoomen. Das ist der Bereich, den viele Menschen ab einem Alter von Mitte 40 registrieren, wenn sie merken, dass die Arme immer länger werden müssen, um Handy oder Buch noch scharf sehen zu können. Der vierte Bereich ist die Wahrnehmung. In diesen Bereich fallen alle Sinne, hier ist die gesamte Seh- und Sinnesverarbeitung im Gehirn gemeint. Das muss funktionieren, zum Beispiel: Wie schnell kann mein Körper das umsetzen, was mein Auge sieht? Oder sich von etwas ein Bild machen, visualisieren. Sehen findet eigentlich im Gehirn statt, das verstehen viele Menschen nicht.
Wo liegt die besondere Belastung für die Augen des Zahnarztes?
Römer: Der Zahnarzt ist „Naharbeiter“. Er verbringt acht Stunden am Tag im Nahbereich, er guckt in eine Mundhöhle in einer Entfernung von etwa 40 Zentimetern. Dafür sind wir Menschen nicht gemacht, der Mensch braucht ein flexibles Sehverhalten: Wir sind ja eigentlich Jäger und Sammler, das bedeutet, wir müssen in die Ferne gucken, um unser Wild aufzuspüren, und in die Nähe, um zum Beispiel Beeren zu sammeln. Ein Zahnarzt guckt viel im Nahbereich. Das ist belastend für den Organismus und kann zu astenopischen Beschwerden führen, wie beispielsweise trockene, rote oder müde Augen, Nackenverspannungen, Kopfschmerzen – und auch zu schwankenden Sehleistungen. Viele merken, wenn sie abends mit dem Auto nach Hause fahren, dass sie die Verkehrsschilder nicht mehr scharf erkennen können.
Wie kann ich im Praxisalltag meine Augen entlasten?
Römer: Ganz wichtig ist es, unter guten Lichtverhältnissen zu arbeiten und für einen Ausgleich im Tageslicht sorgen. Wir wissen, Naharbeit macht kurzsichtig, wenn man aber einen Ausgleich am Tageslicht, hat, sich viel draußen aufhält, ist das der erste Schritt, dagegen anzugehen. Dann ist es wichtig, dass der Zahnarzt eine gute Arbeitsentfernung hat. In der Visualhygiene gibt es die Harmon-Entfernung, das ist die Unterarmläge einschließlich Faust. Außerdem müssen wir unser visuelles System flexibel halten. Wenn wir viel im Nahbereich arbeiten, müssen wir immer wieder in die Ferne schauen. Wir sollten unsere Augenmuskulatur beweglich halten.
Viele Zahnmediziner helfen sich mit Lupenbrillen. Was halten Sie davon?
Römer: Grundsätzlich sind Lupenbrillen natürlich eine tolle Sache. Der Zahnarzt kann bequem in einer guten Entfernung arbeiten und hat trotzdem die Vergrößerung. Sonst bekommt man die Vergrößerung durch Annäherung, das ist aber wieder schlecht für die Ergonomie. Der einzige Nachteil, den ich bei Lupenbrillen sehe: Wenn ich sehr früh damit anfange, entlaste ich natürlich auf der einen Seite meine Nahakkomodation, auf der anderen Seite trainiere ich sie aber auch nicht. Die Gefahr beim ständigen Arbeiten mit Lupenbrille besteht, dass meine Akkomodation sehr schnell nachlässt und ich verfrüht – auch im Freizeitbereich – merke, dass ich beispielsweise früher eine Lesebrille brauche und ich eventuell auch früher einen erhöhten Vergrößerungsbedarf bei Lupenbrillen habe. Und je höher der Vergrößerungsbedarf, desto kleiner der Bildausschnitt.
Was raten Sie?
Römer: Wenn ich viel mit Lupenbrillen arbeite, sollte ich ein Ausgleichstraining machen, auch in der Freizeit, um die Augen flexibel zu halten, insbesondere die Akkomodation.
Welche Übungen empfehlen Sie für dieses Ausgleichstraining?
Römer: Die Akkomodation kann sehr gut einäugig trainiert werden. Ein Auge wird abgedeckt, die freie Hand justiere ich in etwa 40 Zentimetern vor mein geöffnetes Auge und versuche nun, die Handinnenfläche scharf zu stellen. Dann öffne ich die Finger der freien Hand und schaue durch die Finger hindurch in die Ferne und konzentriere mich auf die Ferne. Entweder ich träume, oder ich fixiere ein Objekt ganz weit im Unendlichen. Dann werde ich eine Unschärfe in der Handinnenfläche bemerken, da die Augenlinse nun vollkommen fernadaptiert ist. Nun die Finger wieder schließen und mich vorne auf die Handinnenfläche scharf zoomen. Dann wieder loslassen und wieder durch die geöffneten Finger in die Ferne …
Wie oft sollte man das machen?
Römer: Zehnmal pro Hand pro Auge. Zweimal am Tag – wie das tägliche Zähneputzen.