Am 14. November 2018 fand der sechste parodontologische Fortbildungsabend unter dem Motto „Parodontologie jenseits der Kürette“ in Aachen statt. Die Initiatoren Prof. Dr. Jamal M. Stein und Dr. Christian Hammächer legten den Schwerpunkt in diesem Jahr auf die antiinfektiöse Parodontaltherapie unter besonderer Berücksichtigung der Beeinflussung der Mikroflora und der antibakteriellen Immunantwort mittels Medikamenten und Ernährungslenkung.
Diesem umfangreichen Thema widmete sich Prof. Dr. Ulrich Schlagenhauf (Würzburg). Der diesjährige Gastreferent lieferte hierzu neue praxisrelevante Daten.
Welche Maßnahmen sind aus heutiger Sicht für eine Gesunderhaltung des Parodonts entscheidend und welchen Stellenwert nimmt dabei die Mundhygiene ein? Wie gehen wir mit schweren Formen der Parodontitis um und welches Potenzial hat die antiinfektiöse Therapie? Können Antibiotika und Probiotika unsere Therapie signifikant verbessern und welche Bedeutung haben unsere Ernährungsgewohnheiten? Diese und weitere Fragen beantwortete Schlagenhauf auf dem parodontologischen Fortbildungsabend und stelle dabei das Würzburger Konzept zur systematischen Parodontitistherapie vor.
Bleibt ein sauberer Zahn gesund?
Zunächst beschäftigte sich der Referent mit der Frage, ob die landläufige Meinung, dass „ein sauberer Zahn gesund bleibt“, noch haltbar ist. Klassische skandinavische Studien, aber auch aktuelle Daten der Arbeitsgruppe um Prof. George Hajishingallis, deuten auf eine andere Sichtweise der Ätiologie entzündlicher Parodontopathien hin. Nicht das Ausmaß der häuslichen Mundhygiene, die nur einen unzureichenden Effekt auf den pathogenen subgingivalen Biofilm hat, sondern die Entzündungsbereitschaft des Patienten sei demnach entscheidender für die Entwicklung einer Dysbiose, das heißt einem Ungleichgewicht in der strukturellen beziehungsweise funktionellen Zusammensetzung der Mikroflora zugunsten der prozentualen Dominanz besonders virulenter Bakterien. Stress, Rauchen und eine ungesunde Ernährung können dazu führen, dass unspezifische Mechanismen der Immunantwort supprimiert werden, sodass eine Dysbiose gefördert wird. Am Beispiel von Stress sei die erhöhte Kortisolproduktion eine Ursache dafür, dass antimikrobielle Peptide (AMP) ihre unspezifische antibakterielle Schutzfunktion verlieren und somit die Prädominanz virulenter Bakterien nicht mehr ausreichend hemmen können. In ähnlicher Weise führt die humorale unspezifische Abwehr in Form des Komplementsystems nicht nur zur Destruktion virulenter, sondern auch stabilisierender Keime. Hinzu kommt, dass die im Rahmen der Entzündungsantwort sezernierten Proteine im Sulkus als Nahrung für diverse virulente Bakterien dienen, wodurch der pathogene Biofilm wachsen und reifen kann. Somit seien die früheren Überlegungen zur Bedeutung der Plaquemenge als primäre Ursache nicht mehr haltbar. Vielmehr gewinnen ökologische und opportunistische Hypothesen an Bedeutung, wobei die Entzündungsneigung der Patienten in Abhängigkeit von vielen Risikofaktoren, unter anderem des Lebensstils, eine bedeutendere Rolle zu spielen scheint. Dabei ist ebenfalls erwähnenswert, dass eine hohe Diversität bakterieller Spezies offensichtlich mit Gesundheit assoziiert ist, während eine proinflammatorische Mikroflora eher eine reduzierte Diversität aufweist.
Eine ursachengerichtete und tatsächlich wirksame Therapie ist die mechanische Eliminierung des subgingivalen Biofilms, die bei fortgeschrittenen Formen der Parodontitis mit systemischen Antibiotika ergänzt werden kann. Schlagenhauf zeigte an eindrucksvollen Patientenfällen, dass die alleinige nicht-chirurgische Behandlung der Parodontitis selbst an prognostisch hoffnungslosen Zähnen zu erfolgreichen und stabilen Langzeitergebnissen führen kann. Dabei gilt allerdings, dass eine ausreichende Zeit nach der antiinfektiösen Therapie abgewartet werden muss, um das regenerative Potenzial der Heilungsmechanismen auszuschöpfen. Adjuvante systemische Antibiotika sollten jedoch nur schweren Formen der Parodontitis vorbehalten sein. Die Kombination aus Amoxicillin und Metronidazol ist hierbei als Mittel der Wahl anzusehen und zeigt die besten Langzeitergebnisse, wie auch die kürzlich vorgestellte S3-Leitlinie der DGParo belegt.
Ernährung und parodontale Gesundheit
Im Fokus des Vortrags stand der Einfluss der Ernährung auf die parodontale Gesundheit. Anhand diverser Daten betonte Schlagenhauf die zuweilen in den Medien kontrovers diskutierte Bedeutung von Nitraten. Neben der Tatsache, dass nitratreduzierende Bakterien der Mundhöhle nützliche Kommensalen sind, die durch die Reduktion von Nitrat zu Nitrit aufgrund der weiteren Reduktion im Magen zu Stickoxid blutdruckstabilisierend wirken, scheint beispielsweise grüner Salat, der einen hohen Nitratanteil hat, antibakterielle Effekte zu haben. Anhand eigener Studien zeigte der Referent, dass nach Einnahme von nitratreichen Salatsaftgetränken der gingivale Entzündungszustand in ähnlicher Form reduziert werden konnte wie beispielsweise nach Anwendung von Chlorhexidin. Auch die zunehmend bedeutende Rolle von Probiotika wurde diskutiert. So konnten antiinflammatorische Effekte beispielsweise für Lactobacillus reuteri nachgewiesen werden, da dessen Einnahme in Form von Lutschtabletten zu einer deutlichen Verringerung gingivaler Entzündungen führte. Sogar an Implantaten mit periimplantärer Mukositis konnte nach alleiniger Anwendung von probiotischen Lutschtabletten im Vergleich zu einem Placebo eine signifikante Reduktion der Sondierungsblutung nachgewiesen werden.
Insgesamt zeigte der Abend, dass eine ausgewogene Ernährung und ein gesunder Lebensstil einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Ergebnisse der Behandlung haben. Die rege Diskussion bestätigte das große Interesse und die Relevanz der vorgestellten Konzepte für die Praxistätigkeit. In geselligen Runden mit weiteren kollegialen Gesprächen klang der ausgebuchte Abend mit durchweg positiver Resonanz aus. Der nächste parodontologische Fortbildungsabend ist für den 11. Dezember 2019 geplant.
Prof. Dr. Jamal M. Stein, Aachen