Die durch das Gesetz in das Strafrecht aufgenommenen Paragrafen 299a und 299b StGB sind noch immer Neuland und bergen nach wie vor ein nicht zu unterschätzendes Unsicherheitspotenzial, wenn es um die Zulässigkeit spezifischer Vereinbarungen unter Beteiligung eines Zahnarztes geht. Dieses Neuland wird erst in den kommenden Jahren von den Staatsanwaltschaften und Gerichten detailgetreu betreten und erforscht werden. Deswegen kann auch heute – über ein Dreivierteljahr nach Inkrafttreten der Korruptionsnormen – die Zulässigkeit bestimmter Kooperationen und Absprachen nicht in jedem Einzelfall mit dem so herbeigesehnten hohen Maß an Rechtssicherheit prognostiziert werden.
Rechtsunsicherheit und Rechtssicherheit
Diese Unsicherheit im Hinblick auf kritische Einzelfälle bedeutet auf der anderen Seite aber nicht, dass nahezu sämtliche Zuwendungen an Zahnärzte nunmehr sanktioniert werden könnten. Die allgemeine Struktur des Tatbestands lässt bereits ausreichend Raum für juristische Analysen. Selbst wenn also manche Konstellationen knifflig zu beurteilen sein werden, lässt sich in den meisten Fällen auch jetzt schon eine Aussage darüber treffen, ob diese strafrechtlich verfolgt werden können oder nicht.
Ein Gespür für korruptionsrechtliche Vorgaben entwickeln
Es ist zwar durchaus richtig, dass Zahnärzte ein Gespür für die korruptionsrechtlichen Vorgaben entwickeln sollten. Streng genommen sollte ein gewisses Bewusstsein für möglicherweise konfliktträchtige Vorteilsnahmen in Verbindung mit heilberuflichen Entscheidungen aber auch schon zuvor vorhanden gewesen sein. Denn insbesondere die berufs- und vertragsarztrechtlichen Regularien sehen schon seit vielen Jahren ähnlich gelagerte Verbote vor. Die meisten der nun auch strafrechtlich zu ahndenden Verhaltensweisen waren deshalb auch schon vor Inkrafttreten der Paragrafen 299a; 299b StGB untersagt.
Keine Strafbarkeit für bloße Vorteilsannahme – egal wie teuer ein Goodie ist
Dieser Beitrag soll sich jedoch nicht in einer Mahnung mit dem Zeigefinger erschöpfen. Vielmehr besteht der vornehmliche Zweck darin, zur Beruhigung der Gemüter beizutragen.
Aktuell stellen sich viele Zahnärzte die Frage, ob sie sich etwa auf Berufsmessen überhaupt noch rechtskonform verhalten können oder ob sie permanent Gefahr laufen, sich in irgendeiner Weise bestechen zu lassen und sich dadurch strafbar zu machen. Dies gilt ganz besonders vor dem Hintergrund der in Kürze stattfindenden IDS in Köln, auf der Zahnärzte und die Dentalindustrie ganz offen miteinander sprechen, verhandeln, sich austauschen und natürlich auch Werbung betreiben werden.
Grenze der Sozialadäquanz spielt keine Rolle
In der Onlineausgabe der ZWP ist kürzlich unter der Rubrik „Wirtschaft und Recht“ ein Artikel erschienen, der sich bereits mit den Auswirkungen des Antikorruptionsgesetzes auf das Verhalten von Zahnärzten auf der IDS befasst hat. Unter dem Titel „Korruptionsfrei durch die Internationale Dental-Schau (IDS)“ beleuchtet der Beitrag zunächst die neuen Straftatbestände, um im Anschluss Zahnärzten einige Anhaltspunkte an die Hand zu geben, die sie im Sinne einer autonomen Korruptionsprävention auf der IDS beachten sollten.
In diesem Zusammenhang wird insbesondere auf die Grenze der Sozialadäquanz hingewiesen. Damit ist gemeint, dass den Zahnärzten gewährte Zuwendungen nur dann unter die Korruptionsdelikte fallen können, wenn sie geeignet sind, die Zahnärzte bei ihrer Entscheidungsfindung unsachgemäß zu beeinflussen. Hier werden bestimmte Wertgrenzen diskutiert, die jedoch allesamt keinen verbindlichen Charakter haben.
Ob Gummibärchen oder High-end-Zahnbürste: Der Wert spielt keine Rolle
An dieser Stelle sei jedoch ausdrücklich hervorgehoben, dass die Zuwendung von Vorteilen an Zahnärzte – ob in Form von Gummibärchen, Kugelschreibern oder gar elektrischen Zahnbürsten im Wert von mehreren Hundert Euro – für sich genommen nicht strafbar ist. Es sind zwar die Grenzen des Heilmittelwerberechts zu beachten. Diese sind jedoch nichts Neues und dürften gemeinhin bekannt sein.
In dem genannten Artikel ist richtigerweise ausgeführt worden, dass die Vorteilsgewährung alleine gerade nicht geeignet ist, ein strafbares Verhalten zu begründen. Dies hat der Gesetzgeber auch explizit so vorgesehen. Bei der weiteren Lektüre könnte man allerdings den Eindruck gewinnen, dass bei Überschreitung der genannten Grenze der Sozialadäquanz eine Strafbarkeit drohe. Als Beispiel hierfür wird etwa die Mitnahme gleich mehrerer „Goodies“ von einem Stand genannt.
„Klimapflege“ ist nicht strafbewehrt
Klarstellend sei deshalb mit aller Deutlichkeit festgestellt, dass eine Strafbarkeit nicht allein durch die Gewährung eines Vorteils und die Annahme desselben durch den Zahnarzt angenommen werden kann. Das „Erkaufen allgemeinen Wohlwollens“ oder die „Klimapflege“ fallen ganz bewusst nicht unter das Spektrum des strafrechtlich relevanten Verhaltens. Vielmehr muss der dem Zahnarzt zugebilligte Vorteil nach dem Wortlaut des Gesetzes als Gegenleistung für eine ganz konkrete unlautere Bevorzugung eines Marktteilnehmers bei bestimmten Verordnungs-, Bezugs- oder Zuführungsentscheidungen des Zahnarztes gewährt werden.
Entscheidend ist, ob eine Gegenleistung vereinbart wird
Diese Voraussetzungen machen deutlich, worum es eigentlich geht: Nämlich um die sogenannte Unrechtsvereinbarung. Solange Zahnärzte also im Gegenzug für den Erhalt des Vorteils keine Gegenleistungen versprechen, beispielsweise in Form einer präferierten Abnahme von Zahnersatzmaterialien von bestimmten Herstellern, können sie alle Zuwendungen annehmen, die ihnen angeboten werden – auch jenseits der Schwelle der Sozialadäquanz.
Greifen Sie ruhig zu …
Fazit: Daher der Appell an die Zahnärzteschaft: Genießen Sie die IDS, lassen Sie sich ausführlich über die neuesten Technologien und Methoden informieren, führen Sie Verkaufsgespräche und greifen Sie auch gerne zu, wenn Ihnen an Werbeständen „Goodies“ angeboten werden.
… aber lehnen Sie Gegenleistungen ab
Bewahren Sie aber unbedingt den Blick dafür, dass Sie sich nicht im Gegenzug für die Gewährung solcher Vorteilen zu etwas verpflichten. Sobald ein Anbieter eine Zuwendung an Sie von eine Gegenleistung Ihrerseits im Rahmen der oben angeführten Entscheidungsfelder abhängig macht, lehnen Sie lieber ab. Wenn Sie dieses Kopplungsverbot beachten, geben Sie keinen Anlass für etwaige Annahmen der Korruptionszugänglichkeit und ersticken damit die Aufnahme von Ermittlungsverfahren bereits im Keim.